26 Mai 2008

HH - Insel Pellworm Tag 1 "Truly a perfect Day"

Früh war es, heute nach dem Aufstehen. Früher als sonst - 3 Uhr. Ich vertrieb den Schlaf aus Kopf und Augenwinkeln. Stöhnte beim Anziehen. Aber was hilft das Jammern? Die Fähre nach Pellworm, eine Nordseeinsel unter Amrum, würde nicht auf mich warten.

Time set: 14:30 Uhr legt das Schiff ab.

Geplante Fahrzeit so um die 8 Stunden, plus Sicherheitspuffer, falls ich mich mal wieder verfahren, ein Schlauch platzen oder sonstwas passieren würde.

Und so stieg ich auf die Speedmachine und rollte pünktlich um 4 Uhr los. Das frühmorgendliche Hamburg lag im düsteren Zwielicht. Kein Auto auf der Straße. Wie ein Teppich aus dickem Schnee lag eine ungewohnte Ruhe auf der sonst so geschäftigen Stadt. Weit hinten torkelte ein Teen nach Hause, die Spatzen, die fröhlich den neuen Tag begrüßten, waren das einzige Geräusch dieses noch jungen Tages.

So fuhr ich, Alleinherrscher des Asphalts, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf Autos, Ampeln und Vorfahrtsregeln und ohne den sonst lebensnotwendigen Blick in den Rückspiegel. Es war kalt. Klirrekalt. Flott diesen eisigen Morgen durchradelnd bildete sich eine dicke Reifschicht auf meinen Knien, nebelige Atemschwaden verloren sich bei jeder Lungenkontraktion im Fahrtwind hinter mir.

Aber auch hier half kein Jammern: Time set 14:30 Uhr.

Hinter Rellingen, zwischen erwachenden Kühen und grasenden Pferdeherden, schickte sich dann die Sonne an, langsam aufzugehen. Dichter Nebel lag über sattgrünen Weiden und immer wenn ich eine der flauschigen Schwaden durchfuhr, sank die Körpertemperatur schlagartig ab.

Entschädigung aber zahlte mir die Sonne - mit einem Anblick, den man so bewusst selten hat. Erst zart-rosa, fast verlegen, malte sie zwei pastellende Striche in den Morgenhimmel. Dann fügte sie etwas Orange hinzu, dann langsam, immer mehr. Bis sie sich schließlich ihrer sicher zu sein schien, und mit einem überwältigendem gelben Glühen auftrumpfte. Und da stand sie nun und brachte die Wiesen zum Dampfen.

Ich trat rein - Gas geben so lange die Straßen leer sind - das war die Devise. Elmshorn war schnell erreicht, dann Itzehoe und weiter ging es, weiter Richtung Norden. Und so zog ich es durch, den Wind als Verbündeten, Kilometer um Kilometer abspulend.

Lange passierte nichts, die Landschaft blieb flach, die Weiden grün. Dithmarschen at it´s best: Der Himmel biederte sich mit einem makellosen Blau an, die Sonne tat so, als hätte es nie eine andere Jahreszeit gegeben und auch ich wärmte mich langsam wieder auf. Es duftete wild nach Heu, Harz und Wasser. Salzig die Luft, frischer Atem von Mutter Natur, den ich einsog, so tief und bewusst wie ich nur konnte.

Gleichförmig trat ich, rund, wie die ganze Fahrt bis hier her. Ich war glücklich. Grinste in mich hinein und freute mich, den Tag so früh begonnen zu haben.

Dann war die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal erreicht, die Hälfte der Tour war vorrüber. Hier hielt ich an und nutzte die Zeit für einen Corny, ein paar Fotos und 5 Minuten Pause. Als ich hinter ihr nun endgültig den Norden unseres Landes erreicht hatte, wurden auch die Radwege schlagartig besser. Geisterhand: Sind die Radweg-Straßenbauer hier besser? Bekommen sie mehr bezahlt? Oder wissen die Kommunen hier, dass zufriedene Rad-Touristen öfter wiederkommen und mehr Geld da lassen? Hier kann sich Hamburg mal ein Beispiel nehmen.

Die Menschen wurden freundlicher, die Dörfer pitturesker und allenthalben flog ein herzliches "Moin Moin" zwischen bordsteinpflegenden Reetdachbesitzern und dem komischen Typen auf dem komischen Fahrrad hin und her.

Heide ließ ich links liegen und lenkte die Speedmachine ins "Holländerstädtchen" Friedrichstadt. Wunderschöne Kulisse für Butterfahrten und Filme mit Romy Schneider. Fachwerkhäuschen, Bachmühle und akurate Geranienkästen. Dorf Neuschwanstein. Noch ein Geheimtipp, ohne Touri-Busse.

Time set: 14:30 Uhr.

Die Uhr zeigte eine unerwartet frühe 11, als ich Husum erreichte, das gerade auf dem Trockenen lag. Ein wunderschönes blondes Nordenmädchen erklärte mir geduldig und charmant den Weg nach Nordstrand, von wo aus ich die Fähre auf meine Insel nehmen würde.

Es war 12 Uhr, als ich nach rasanter Fahrt auf einem exzellenten Radweg die Fähre erreichte, die nicht auf mich warten würde.

Ich machte mich schon auf zwei Stunden Sonnenbaden gefasst, als - welch´ Glück - 12:40 Uhr eine außerplanmäßige Fähre ablegen würde. Eine, die zumindest im Internet nicht angezeigt war.

Da kam sie dann auch schon durch die Tiefwasserrinne angedampft: Die "Pellworm I"

Die Überfahrt war entspannt. Ich nahm auf einem Poller Platz, schaute nach Achtern und verlor mich im quirrligen Kielwasser, ließ die Sonne mein Gesicht braten und genoss es. Ich roch die salzgeschwängerte Seeluft und versuchte, mit dem leichten Schaukeln des Schiffes zu wippen. Die Brise trug die Anstrengungen der letzten Stunden fort, so auch den Arbeitsstress der Woche und die schwirrenden Dinge in meinem Kopf. Der Urlaub hatte begonnen.

Am Horizont besah ich drei Halligen und noch weiter draußen rotierten fleißige Windräder für meinen Ökostrom. Wieviel CO2 hatte ich heute gespart? Wie viele Glühbirnen würde ich mit der Energie meiner Beine zum Leuchten gebracht haben?

Da spürte ich eine Hand auf meiner Schulter: Kapitän Nemo.

Er stand da, grinste mich an. Dem Seehelden meiner Kindheit, genialen Erfinder, Rächer der Sklaven und Kommandaten des fantastischen U-Bootes "Nautilus" war er wie aus dem Gesicht geschnitten: Braunes, sonnen- und windgegerbtes Gesicht, tiefe Falten, die von Leben erzählten, eine markante Nase und Augen, die zu alles sondierenden Schlitzen verengt waren.

Und eine enge Radlerhose.

Er deutete auf sein Rennrad, das hinter meiner Speedmachine stand.
"Na, auch einmal um die Insel und dann wieder weg?" fragte er.
"Nee, ich bleibe" sagte ich - und bin froh, heute nicht mehr fahren zu müssen, fügte ich in Gedanken hinzu.
Ich sagte, ich komme aus Hamburg. Er nickte anerkennend und ließ noch einmal seine Pranke auf meine Schulter fallen: "Denn heize nicht so rum, minjung."
Er grinste und ging zum nächsten Achterdeckspassagier. Schnacken.

Da pellte sich die Insel aus dem Horizont - klar konnte ich sie als grünen Saum erkennen. Und da, ganz links den roten Leuchtturm. Dort, wo meine Pension war.
Das Schiff legte an, wir strömten aufs Eiland.

Doch nun wollte mein Magen gefüllt werden, mit lautem Grummeln meldete er seine Ansprüche an. Legitim, nach dieser Anstrengung, denn er hatte es sich ja auch redlich verdient. Sieben Stunden treten - bei ein paar Müsliriegeln, einem Laugenbrötchen und einer labbrigen Tankstellenwiener, das ist nichts, für einen Körper im Leistungsdruck.

Am Hafen, an dessen bescheidenen Kais ich unsicher ausschauend ein paar Runden drehte, fand ich schließlich eine Terasse mit viel versprechendem Speisenangebot. Die "Pellwormer Krabbenpfanne" mit viel Sahne und reichlich Champignons hatte es mir dann angetan, nachdem ich unter tosendem Beifall und Gejohle einer gut alkoholisierten Reife-Damen-Gruppe mein Rad abgestellt hatte. Die Frauen verlangten dann auch prompt eine Einführung in die Theorie des Liegeradfahrens. Eine Ehre, die ich den lustigen Frauen nicht ausschlug.

Und während ich mir das Meeresgetier einverleibte, strömten vor meiner Terasse Massen an Pellwormern an die Pier. Die Menge blickte immer wieder ungeduldig aufs Meer. Was war hier los?
"Da kommen Sie!" raunte es ab und zu durch die Leute, manche mit Ferngläsern und Teleobjektiven ausgestattet. Und wie an einer Perlenkette aufgereiht liefen wenig später die Krabbenkutter Pellworms ein.

Stolz wie Kaiser´s Schlachtschiffflotte. Majestätisch reckten sich die Ausleger zum Krabbenfang in die Luft, Flaggen - Deutschland, Schleswig-Holstein und Pellworm - flatterten im Wind. Signalhörner ertönten.

Angeführt wurde die Prozession vom ersten Kutterneubau seit Jahren - und die ganze Insel freute sich. Dort, wo das Boot festmachte, stand ein Bierzelt, wo das Nass in Strömen floss, es gab Grillzeug und viel Shantychor. Sie alle umarmten und freuten sich.
Und ich mich mit ihnen. Inselgemeinschaft. So sieht das also aus.

Satt war ich und zufrieden und lenkte mein Gefährt die letzten beiden Kilometer zum Leuchtturm. Dort begrüßte mich, aus der Eingangstüre mir entgegen springend, auch gleich ein fescher Boy.
"Hi, ich habe ein Zimmer reserviert" sagte ich ihm, meinen Namen nennend.
Mich angrinsend: "Du ... schläfst heute natürlich in meinem Bett!" sprachs und grinste.
Inselgemeinschaft.

Tatsächlich bezog ich wenig später ein tadelloses Zimmer gegenüber des rot-weißen Leuchtturms. Allein, natürlich. (Bei dem Husumer Nordenmädchen hätte ich ja nichts gegen eine solche Offerte gehabt ... aber so?!?) Duschen, umziehen und die liebe Pensionsmutter verwöhnte mich erstmal mit einer heißen Schokolade und frischer Waffel mit Eis und heißen Kirschen.

Dann spazierte ich ein Stündchen. Wieder zum Hafen, wo man immer noch den neuen grünen Kutter feierte. Ich saß und aß eine Maischolle, trank ein großes Pils und lehnte mich zurück.
Am Deich entlang ging es dem Bett entgegen. Ich schlenderte, sah der Flut bei ihrer Arbeit zu und freute mich über lustige Schafe, kreischende Möwen und einen fantastischen Sonnenuntergang.

Ich erreichte mein Bett, schaute im Schlafanzug noch einmal in die Nacht, wo der Leuchtturm stoisch Signal gab und schlummerte, umgarnt vom stetigen Wehen des Windes, der durch die Vorhänge sog, in einen tiefen, zufriedenen Schlaf.

Gefahren: 151 km in 7 h 20 min und 20,7 km/h Schnitt




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