01 Mai 2008

HH-COE Tag 5 "Kreisverkehrschaos und ganz neue Seiten meines Körpers"

Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Noch nie hatte ich so lange auf einem Fahrrad gesessen - 8 einhalb Stunden. Acht Stunden! Ein regulärer Arbeitstag. Einer, wie er im Buche steht.

Halb Sieben war es, als der Wecker mich aus Mels warmem Bett klingelte. Und so schwer es mir auch fiel, mich von ihrem noch wärmeren, eben jene schönen Träume spendierenden Rücken zu trennen - sie rief mich, die Straße.

Pünktlich 8 Uhr ging es los. Vom Hof gerollt. Ein letztes Winken im Rückspiegel, Coesfeld, das war es mit uns beiden für dieses Mal. Ciao.

Noch war das Wetter schön. Doch rechts von mir zog es bedrohlich über den jungfräulich blauen Himmel heran. Ein dunkles Wolkenband schob sich von Osten über den Zenit. Und genau vor mir, scheinbar in greifbarer Nähe, leuchtete es himmlisch Blau. Doch dorthin, wo ich keine Wolke den Himmel trüben sah, würde ich noch mindestens 30 km fahren müssen. Mit dem Wind im Rücken, der die Wolken vorantrieb, kurbelte ich so schnell ich konnte durch diesen Morgen, um dem schlechten Wetter davonzufahren.

Mein Hotel hatten wir Tags zuvor gebucht. In knapp 100 km lag es vor mir. Die Aufgabe stand. Also los!

Irgendwie hatte der Tag bei Mel Wunder gewirkt, denn nichts schmerzte. Selbst die sonst bekannten anfänglichen Schwierigkeiten auf den ersten Kilometern ... sie waren verschwunden. Runder Tritt und hohe Geschwindigkeit von Anfang an. Hinzu kam der leicht schiebende Seitenwind.

Um 12 dann die Enttäuschung: Die 100 km zum Hotel entpuppten sich als nicht mal 85. So konnte der Tag doch nicht enden?! Also den Kopf geschüttelt, die Herberge links liegen gelassen und reingetreten - auf in die Ankumer Berge, die als grüner Fleck auf der Landkarte ohne viel Ortschaften vor mir lagen.

Längst schon hatte ich den Wettlauf mit den Wolken gewonnen und fuhr in perfektem Sonnenschein. Schnell lag Fürstenau hinter mir. Dann fuhr ich ein, in den Naturpark. Und stieg die ersten Höhenmeter an. Hier zu radeln erinnerte mich an die vielen 3sat-Dokus über das sommerliche Sibirien: Schlechte Straßen durch dichte, grüne Kiefernwälder. Wellig, ab und zu ein Schlagloch, aber wildromantisch und einzigartig duftend. Der Naturpark "Terra Vita" glänzte über zwei Dutzend Kilometer mit Autofreiheit, hungrig machendem Harzgeruch und allerlei Gezwitscher hocherfreuter Waldbewohner.

So machten dann auch die langgezogenen Anstiege Spaß, die Abfahrten umso mehr.

Mittlerweile zählte ich den 100ten Kilometer und ich entscheid mich, mich langsam nach einer Bleibe umzusehen, da mein Tagesziel erreicht schien. Doch keine Ortschaft wartete mit einer Bleibe auf. Die nächste Stadt war Cloppenburg. Also hin. Was solls.

Ich erreichte die bekleidungstechnisch klingende Kreisstadt gegen 15 Uhr und kurvte auf der scheinbar von einem Vollidioten beschilderten "Hotelroute" durch die Innenstadt auf der Suche nach einem selbigen. Was ich dann auch tatsächlich fand. Der "Schlömer" mitten in der Fußgängerzone.

"Ah, der erste Radler dieses Jahr!" freute sich überschwänglich die Rezeptionistin.
Ich mich mit ihr. Den Anmeldeschein ausgefüllt. Mich auf eine Dusche freuend - immerhin war ich schon 115 km gefahren, machte ich mich daran, wieder die Speedmachine aufs Zimmer zu wuchten.

"Das Rad mit aufs Zimmer?" fragte die Dame, gar nicht mehr überschwänglich.
"Klar. Ist das ein Problem?" meinte ich.

Ja, war es. Von abgekratzten Tapeten, ölverschmierten Teppichbelägen und anderen Hotelleriehorrorszenarien berichtete sie mir und bot mir immer wieder irgend einen Schuppen für mein Rad an. Ich fuhr weiter.

So heiß kann die Dusche bei Euch nicht sein, dass ich mein gutes Rad in einem schnöden Schuppen schlummern lasse!

Also ließ ich dieses radlerfreundliche Hotel hinter mir und kurbelte in den Nachmittag hinein. Mittlerweile mit gar nicht mehr so rundem Tritt. Und bei jedem Kilometer schoss es mir schmerzhaft durch meine Vorstellung, wie schön es doch wäre, noch einen Tag länger in Coesfeld geblieben zu sein und jetzt beim Grillen an einem schönen saftigen Nacken oder -steak knabbern zu können.

Da ich die Nase von Cloppenburg voll hatte, versuchte ich mein Glück außerhalb der Stadt. Auf meiner Route gen Norden selbstverständlich. Die Karte gab ein neues Ziel an: Wildeshausen. Etwa 30 km entfernt. Noch ein ganz schönes Stück, aber was sollte ich tun? Langsam sollte ich etwas zum Bleiben finden, denn mittlerweile verließen mich meine Kräfte, meine Knie auch (Neu: Heute das Linke, tut es sonst nie ...) und eine graue Wolkendecke hatte sich über mir zusammengezogen.

Schön sind ja auch folgende Sachen: Radwege, die links von der Straße verlaufen.

Erstmal kein Problem, denn zwischen Auto und Rad ist ein Meter Rasen und Pfeiler alle 50 Meter. Aber kommt man dann an einen Kreisverkehr, wirds spannend. Denn nun wird der Radfahrer zwangsweise zum Geisterfahrer.

Und das geht dann zum Beispiel so: Ein Truck windet sich behäbig um den Kreisel - mir entgegen - und blockiert die Fahrbahn im Kreisel selbst. Perfekt, denn so kann kein anderes Fahrzeug in oder aus dem Kreis ein- oder abfahren. Ich wähne mich in Sicherheit und fahre über die Einmündungen, die der LKW gerade blockiert, von links kommt nichts, im Kreisel selbst ist nur der Brummi.

Ich bin auf der Mitte beider Fahrbahnen, als plötzlich hinter dem LKW mit hoher Geschwindigkeit ein Golf herangeschossen kommt. Und abbiegt. In meine Straße, die ich gerade ebenfalls überqueren will.

Der Rest ist Zeitlupe: Ich versuche eine kontrollierte Vollbremsung hinzulegen, was in Kurvenlage mit 22 km/h nicht sehr einfach ist, der Golffahrer sieht etwas Tiefes, Orangefarbiges heranfliegen, erschrickt und bremst dann erst. Viel zu spät, das wusste ich sofort.

Ich sehe ihn heranfliegen. Höre seine Reifen quietschen. Fühle mein Hinterrad ausbrechen. Merke, wie die Trägheit der sich in Bewegung befindlichen schweren Gepäcktaschen den Bremsweg verlängert, wie sie förmlich von hinten schieben. Ich kippe. Drehe meinen Kopf nach rechts und sehe den Golf in die Eisen gehen.

10 cm (!) vor seinem Kotflügel stehen wir beide. Und ich kippe um.

Der Fahrer springt raus. Hilft mir hoch, entschuldigt sich, sichtlich geschockt. Ich winke ab - schließlich hatte er Vorfahrt. Und ich als Radfahrer hatte wieder mal die Arschkarte.

Also, liebe Straßenplaner - entweder, Ihr baut den Radweg um den gesamten Kreisel mit entsprechender Beschilderung, sodass man wie alle anderen auch im Rechtsverkehr um den Kreisel fahrt, oder Ihr investiert in Ampeln. Denn so, wie es jetzt ist, ist es nicht nur saublöd gelöst, sondern lebensgefährlich!

Na, Ende gut, alles gut - Ein schickes Zimmer in einem sauteuren Hotel bezogen, eine Riesenportion handgemachte Spätzle in Käsebad gegessen und mich einer langen Wadenmassage hingegeben.

Was für eine Trittleistung - denn wie gesagt, Rekorde sind zum brechen da ...

... Gefahren: 157,97 km in sagenhaften 8 h 22 min und flotten 18,85 km/h Durchschnitt.

Soll ich es morgen in einem Rutsch nach Hamburg schaffen?




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