08 März 2010

Suicide Ride

"Mann oder Manuela?", fragt Velolars immer ins Twitter-Netzwerk, wenn wir anderen uns über Regen, Steigungen oder Bibberkälte aufregen und dies als mehr oder weniger verständliche Gründe vorschieben, eben nicht aufs Rad zu steigen.

Heute Morgen bin ich Mann, entscheide ich mich, und lege mich in die Speedmachine.

"Bist Du lebensmüde?!?", brüllt mich einer an der Kreuzung ein paar hundert Meter später an. Und Recht hat er. Es ist die bescheuertste Idee seit meinem Alptraum-Ritt durch den Autobahntunnel bei Porta Westfalica.

In Niendorf, meinem Bezirk, sind die Straßen weder geräumt noch gesalzen - eine zentimeterdicke Schneeschicht hat sich gebildet. Im Halbdunkel des grauenden Morgens kann ich nur sehr schwer die Eisflächen ausmachen. Mehr Tasten als Fahren. Oft reißt es mir plötzlich den Lenker aus den Händen, wenn ich in vereiste Spuren gerate. Und ich wundere mich immer noch, wie ich BMX-artig auf dem Liegerad die Balance halten konnte.

Auf den großen Straßen sieht es nicht besser aus: Dort ist zwar gesalzen, aber halbgefrorene Abschnitte aus Matsch oder purem Eis treiben mir den Schweiß auf die Stirn.

Gefährliche Parfaits glänzen tödlich auf den Fahrspuren. Radweg? Zu spät, ich bin mitten in der Rush-Hour. Hinter, neben, vor mir die Leute in ihren Blechdosen.

Dann passiert es: Ich schieße mit 42 km/h bergab, realisiere zu spät, dass das eine dumme Idee war, und kann nicht anders, als direkt vor mir die bisher nur nass-matschige Straße in pures Eis wechselt. Nichts geht mehr: Bremsen? Vergiss es!

Jetzt bloß keinen Fehler machen!
Vor mir: Wehe Ihr bremst!
Festhalten, nicht mehr treten, schön ausrollen lassen.

Da springt die Ampel auf Rot. Wenn ich jetzt bremse, bin ich tot. Fahr, fahr doch! Halte nicht an, bitte, flehe ich, dass der rote Corsa vor mir doch noch mal Gas gibt. Wenn der bremst war es das. Bitte! Ich merke, wie unter mir alles schlingert. Bodenhaftung ist was anderes. Fahre ich noch oder kippe ich schon? Scheiße! Scheiße! Adrenalin rauscht mir durch die Adern, schießt mir ins Gehirn. Fahr doch! FAHR DOCH!

Und er fährt. Gott sei Dank - die Kreuzung ist eisfrei, ich kann bremsen. Endlich. Zittern. Hormone sabbern mir aus den Ohren. Wie bescheuert, ohrfeige ich mich selbst - auf einer zweispurigen Fahrbahn neben 60, 70 km/h schnellen Autos - und LKWs! - bei diesem Scheißwetter zu fahren!

Nur ein kleiner Buckel aus Eis.
Nur eine kleine Rille.
Ein kleiner Klumpen würde reichen.
Sturz. Sofort. Keine Chance.

"Bist Du lebensmüde?!?", brüllt mich also dieser Opelfahrer an. Und normalerweise würde ich ihm freundlich grinsend einen meiner Finger darbieten. Heute aber, heute hat er Recht.

Nicht, dass ich auf Radwegen besser dran wäre - denn die probiere ich nach meinem Kamikaze-Ritt aus. Teilweise 15 Zentimeter dicker, angefrorener Schnee. Mehr als Schrittgeschwindigkeit ist nicht drin. Beide Schuhe einklinken schon gar nicht.
Aber das Rad, das merke ich mit jedem Meter, das Rad hätte heute gar nicht bewegt werden dürfen.

An der Alster wirds ganz schlimm - die Fahrbahn ist pures Eis. Die Wege neben ihr Tiefschnee.

Irgendwann komme ich in der Agentur an. 13 Kilometer, die ich sonst mit einem 30er Schnitt in unter einer halben Stunden rocke. Heute 54 Minuten. Eine Stunde. Und einmal fast tot.
Ich zittere am ganzen Leib. Nicht, weil es kalt war, sondern weil mir bewusst ist, dass ich und mein Liegerad heute einer Katastrophe entkommen bin. Glück. Nur Glück war es.

Mann oder Manuela?
Manchmal ist Manuela doch die klügere Wahl.


Gefahren: Agentur hin 12,83 km in 54 min und Agentur zurück 13,16 km in 39 min

5 Kommentare:

Kamran ali hat gesagt…

i held my breath while reading your blog. i could imagine the fear that it must have created in your heart.
i have made some road accidents in my life and have survived many. in both cases i realized how precious the life is.

thank god no accident happened to you today.

take care of yourself my friend.
god bless you,
kamran

Unknown hat gesagt…

that´s what i say, my friend ...

greets, L

Olli hat gesagt…

Ich kenn solche Fahrten, selbst auf dem Upright mit Spikes wird es da manchmal kriminell. Ich konnte nur den ganzen Winter durch fahren, weil ich die Chance habe über halbwegs fahrbahre Nebenstraßen ins Büro zu gelangen, so daß ich dem gefährlichen Autoverkehr großteils entgehen kann.

velolars hat gesagt…

Also ich fühle mich geehrt, dass ich es mal in deinen Blog geschafft habe ;-)

Aber ich frage dich nie wieder, ab heute bist du offiziell keine Manuela mehr. Aber um das mal klarzustellen: solche Ritte mache ich mit einem Upright mit Spikereifen... da bin ich auch lieber Manuela. Wenigstens warst du wach, als du auf Arbeit angekommen bist ;-)


Ein Glück, dass dir nix passiert ist!

Aber ich weiß, was dich angetrieben hat: Ich (und wohl nicht nur ich) kenne das Gefühl, wenn man es nicht mehr aushält, unbedingt auf das Rad steigen und fahren will. Komme was da wolle... Ich habe schließlich seit Anfang Dezember selbst eine SPM, die beste Anschaffung ever, gebaut zum fahren. Ich habe damit seit der Jungfernfahrt lächerliche 250 km damit zurückgelegt. Ich könnte heulen. Zumal wenn draußen die Sonne so schön scheint...

Viele Grüße und immer Hals und Beinbruch

Lars

Unknown hat gesagt…

aaach, die gute ist meinen harten reitstil doch gewöhnt - nur, weil sie ein neues kleidchen anhat, heißt das ja nicht, dass man sie nicht mehr "benutzen" darg ...

grüße ins münsterland.

L