28 März 2010

RecumbEntdecker

Nachdem ich gestern unbeabsichtigt im großen Hamburger Hafen verschollen war - und es wettermäßig heute am Sonntag echt Spitze aussieht - entscheide ich mich zu einer gewollten Tour durch das Hafengelände südlich der Elbe.

Riesig das Areal - und menschenleer, an einem Sonntag. Sollte man nicht ahnen in einer Welthandelsmetrolpole und in einem der wichtigsten Häfen Europas - aber ist so.

Und wisst Ihr, warum ich Hamburg so liebe?

Für genau solche Aus- und Anblicke:

In bester Pracht liegt die Stadt da. Industrieromantik pur - Riesige Fabriken, Tanks, verschiedenste Gerüche, aber nie fremd, eine Mischung aus Kaffee, Gewürz, Kakao, Stahl, Diesel und Gummi. Interessant.

So fahre ich zunächst zu Blohm & Voss - letzte Woche erst nach Abu Dhabi verkauft - und defiliere an einer Fregatte der Bundesmarine vorbei. Aber keine Matrosen winken, auch hier tote Hose.

Weiter an einen Kai, der mit tausenden leerer geparkter Container zugestellt ist. Nach Farben - also Firmen - geordnet. Hapag Lloyd, MOL und ... und dann leuchtet es mir in hellstem Celeste entgegen: Na Hossa, bei der China Shipping Company ist man also auch Bianchi-Fan?

Da musste ich doch gleich anhalten und eine kleine Fotosession veranstalten. So viel Celeste sieht man wahrscheinlich selbst in Italien nicht auf einem Haufen.

Fast tarnt sich mein Liegerad vor den Containern.
Speedmachine-Mimikry.

Ah, herrlich - und wie die Sonne ab und zu durchzudringen vermag, mich wärmt und liebkost. Danke an den Wind, der die Wolken für ihre Strahlen zerreißt. Der Wind wird seine Gebühren für diesen Dienst schon noch erheben ...

Ein dicker Stückgutfrachter dümpelt am Kai. Kleine Feeder, Dieselmotoren auf Leerlauf, gerade genug, um die Notbesatzung an Bord mit Strom zum Miracoli-Kochen zu versorgen.

Lost - inmitten eines riesigen Hafens. Faszinierend: Keine Absperrungen, keine Kontrollen, nichts und niemand. Wenn ich wollte, ich könnte an Bord der Schiffe springen. Keine Menschenseele hier. Freie Fahrt am Kai.

Wie Dinosaurier, längst vergessen, längst ausgestorben stehen die Kräne am Wasser, haben nichts zu tun, senken traurig ihre Köpfe.

"Darf ich Dich verladen?", scheinen sie rostend im Wind zu ächzen.
"Nein, danke," antworte ich und gebe lieber Gas - bevor die Ungetüme zum Leben erwachen.

"Made in Germany" steht auf den Kisten, die zu zahllosen Exemplaren an einer der Straßen gestapelt sind. Was sie wohl beherbergen? Essbares? Motoren? Vielleicht Fahrräder?

Ich genieße die Einsamkeit und kurve herum. Schaue mal hier und mal da. Die Norderwerft, einen, zwei, drei Frachter vor Ort, Verladebäume, riesige Pakete für Übersee, Müll und Unrat, Stahl und Rost.

Wie auf Schienen gleite ich durch diesen grandiosen Vormittag. Im Rausch dieser mannigfaltigen Kulissen, die so faszinieren.

Weite Welt, hier kommt sie an.

Ein fetter Cosco-Frachter wird hinter mir entladen. Computergesteuerte Containerlader surren automatisch über ein menschenleeres Kai, be- und entladen den Stahlbauch des Überseeschiffes, auch hier, habe ich das Gefühl, ist Menschsein nur hinderlich.

Verschnaufpause am Turmbau zu Babel - mit den Containern, die hier so überall herum stehen, könnte man eine ganze Stadt beherbergen. Living in a Box.

Ich summe, singe, genieße die Sonne, die mir meine Nase rot zu brennen beginnt.

Am König der Löwen genieße ich die Aussicht auf Hamburgs Millionengrab, die Elbphilharmonie. Und obwohl das Teil mit über 300 Millionen Euro Kosten (bisher) mehr als das doppelte verschlingt, wird es, was es von Anfang an werden sollte - ein neues Wahrzeichen, ein Landmark. Sinnlose Geldverschwendung angesichts der dringenderen Probleme - aber die Leute werden den Bau lieben.

Weiter geht es. Ich entscheide mich nach 30 Kilometern den Heimweg anzutreten. Und ich sage Bye-bye zum Hafen, als ich in den Elbtunnel einrolle und mich hinüber ins von Touristenmassen zugeschwemmte Nordufer mache.

Ja, das gibt es nur in Hamburg. So eine Tour kann man nur hier machen.

Heute war es wundervoll. Alles hat gepasst. Das Liegerad surrt (zu laut und knatternd zwar, aber das gibt sich bald), das Wetter passt und ich passe.
Kein Gelaber, niemand, der stört, niemand der fragt, niemand der nervt.

Hamburg - Du bist eben die schönste Stadt der Welt!

Ach ja, dann kommt die Rechnung.
Der Herr der Winde will seinen Anteil.
Erhebt die Steuern.

20 Kilometer lang weht er mir alles entgegen, was er hat. Wie würde Lord Beaufort das nennen? Es Bremst mich brutal herunter. Strecken, die ich sonst locker mit 28, 30 km/h fahre, werden zu 20 km/h Schwerstarbeit. Aber mich kümmerts nicht sonderlich - ab Blankenese bis Pinneberg geht es sowieso die meiste Zeit bergauf. So heiße ich den Gegenwind als guttuende Kühlung in meinem schweißnassen Gesicht willkommen.

Ab Pinneberg wendet sich das Blatt - mit 35 km/h und den schiebenden Luftmassen im Heck fliege ich Heim. Außer Atem - und voller Endorphine komme ich zu Hause an.

Ein Nudelauflauf wartet auf mich.
Steht bereit - Goldbraun gebratener Käse, Proteinoverdose, dazu Kohlehydrate in Pasta.
Ab ins Rohr damit, satt werden.

Und dann den Rest vom Sonntag genießen.

Wunderbar, einfach herrlich, kann ich nur sagen. Ich schreibe eine SMS nach der anderen. Und teile der Welt mit, wie gut es mir geht. Und wie einfach das Rezept ist: 20 Kilometer Entdecker sein. Kundschafter. Abenteurer im Hafen.


Gefahren: 76,15 km in 3:21 Stunden und 23er Schnitt


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9 Kommentare:

Sarah hat gesagt…

ich sollte dir das schreiben verbieten, solange pinki noch nicht da ist :-).

das klingt nach einer prächtigen ausfahrt. ich habe in der zwischenzeit hundert seiten grisham gelesen, auf dem balkon gelegen und noch einmal den roten oktober angesehen.

hoffentlich kommt sie morgen. meine spm. ich will auch endlich endlich umherdüsen.

Unknown hat gesagt…

:o)))

jaaaa, die vorfreude, sie ist doch eben immer noch die schönste freude, newahr :-)

alles wird gut, große S, alles wird gut. noch ein paar mal aufwachen und dann ist er da, dein traum in pink.

LG L

hinze hat gesagt…

Siehste, Sarah's Rad hat auch schon einen Namen, obwohl es noch nicht mal da ist! Dein celestefarbenes Unikat kann man doch nicht nur Speedmachine oder Liegerad nennen! Vielleicht "Celesty"?
norbi

Unknown hat gesagt…

und wie heißt dein neues? hoppi?

na, an das eisenschwein kommt sowieso so schnell nichts & niemand ran ...

LG L

hinze hat gesagt…

constantly in transit. hat gesagt...
und wie heißt dein neues? hoppi?

Gute Idee, norbi fährt hoppi !
Meistens geben nur Frauen technischen Geräten irgendwelche Namen, ich frag mal meine, was sie dazu sagt.
Grüße, norbi

Unknown hat gesagt…

... ja, das stimmt. hihi.

ich hatte früher mal ne S51 enduro, die hieß "austernmann" ... war aber angemalt wie ein tiger. naja. die abiturzeit. nur gesoffen ... :o)

velolars hat gesagt…

Schöner Bericht, hast sicherlich Spaß gehabt!

Da haben wir dann nun pinki, hoppi und celesty. Dann nenne ich meine taxi. Wenn jemand fragt, kann ich dann sagen ich fahre jeden Tag mit dem Taxi zur Arbeit. Wenn das mal nicht dekadent ist...wer kann sich das sonst schon leisten? ;-)

Sarah: Ich habe geschlagene 6 Wochen auf meine SPM gewartet, bin ca. 5 mal gefahren und dann waren 3 Monate Winter...da hast du immerhin bessere Vorzeichen. Bin gespannt auf deinen ersten Bericht!

Viele Grüße aus Halle

Lars

Chris hat gesagt…

Moinsen,
wenn Sarahs Rad "Pinky" heißt, müsste la bella macchina ja "The Brain" sein

Wenn Du mal an einem Samstag durch den Hafen fahren möchtest, Lars, empfehle ich den Wilhelmsburger Markt am Stübenplatz zu besuchen. Dort hat ein Bäcker seinen Stand, der in seinem Wagen Franzbrötchen backt. Mit die besten, die ich bislang essen durfte...
Gruß
Chris

Unknown hat gesagt…

hi chris,

jo, "the brain" ist im gespräch. aber wie norbi schon sagte, diese namenssache ist eher was für damen, ist mir nicht so wichtig.

den markt kenne ich, glaub ich. da sind wir anfang letzten jahres bei der rad-hafen-schnitzeljagd auch vorbei gekommen.

den franzbrötchenmann allerdings kenne ich noch nicht, den werde ich wohl mal probieren müssen.

LG L