18 Juni 2008

Weg mit dem braunen Sumpf!

Es war 1936. Die Nazis hatten Deutschland im Würgegriff und nutzten Olympia, um sich bei der Welt einzuschleimen. Damals entstand folgender Gesetzestext:

„Zeigen wir dem staunenden Ausländer einen neuen Beweis für ein aufstrebendes Deutschland, in dem der Kraftfahrer nicht nur auf den Autobahnen, sondern auf allen Straßen durch den Radfahrer freie, sichere Bahn findet.“ (Presserklärung des Reichsverkehrsministeriums zur Einführung der allgemeinen Radwegebenutzungspflicht in der RStVO vom 1. Okt. 1934) WIKIPEDIA

Es ist 2008, Nazis gibt es zum Glück nur noch wenige (und die haben keine Macht, Ätsch!) und wir müssen uns nicht in der Welt einschleimen. Die Radwegebenutzungspflicht gibt es immer noch.

Und jeden Morgen das selbe: Wohngebiet Niendorf, schicke Einfamilienhäuser, getrimmte Vorgärten und gediegene Eisentore mit automatischem Öffnungsmechanismus. Deutsche Gemütlichkeit. In Beige gefliesten Küchen wird Buttertoast gegessen, Männer fahren zur Arbeit in ihre Reedereien, Mütter bringen die Kinder zur Schule und die Sonne kitzelt einen leichten Niesreflex hervor.

Gediegen. Hamburg halt.

Mit flotten 28 km/h ziehe ich leise surrend durch die deutsche Gemütlichkeit. Und jedes mal werde ich von einem silbernen Honda überholt. "HH-CG" habe ich bisher gerlernt. Der Honda kommt heran, schließt auf - und hupt.

Dann zieht er davon, bis ich zehn Sekunden später wieder neben ihm stehe, Ampelrot. Er würdigt mich keines Blickes. Natürlich.
Aber jeden Morgen muss er mich anhupen, der Reichsstraßenverkehrsordnung genüge tun - schließlich darf ein Radfahrer nicht die heilige Fahrbahn der Automobile benutzen.

Da habe ich ihn nun also, meinen ganz persönlichen Radweg-Nazi.

Gestern hatte ich ihn dann auch auf dem Heimweg. Und vor lauter Frust gab er schon 250 m hinter mir Signal. Er hupte sich all den Stress seines Jobs vom Leibe, trat extra noch einmal aufs Gas um mich nach besonders knappem Überholen gleich wieder an einer roten Ampel auszubremsen. Ich grinste, wie immer.

Armer Autofahrer, denke ich immer, das kostet alles Lebenszeit, erhöht dein Herzinfakrt-Risiko.

Er biegt ein zur Shell-Tanke. Ich auch. Ich halte neben ihm, lächle ihn freundlich an und frage, warum er jeden Morgen die Niendorfer Anwohner mit einem Hupkonzert belästigt.
Er rastet aus.
"Sie müssen auf den Radweg!" faucht es mir feucht entgegen.
Ich weise ihn freundlich darauf hin, dass die Radwegbenutzungspflicht nur bei zumutbaren Wegen gilt und ich den unseren hier für nicht zumutbar halte.
"Das haben Sie nicht zu entscheiden!" faucht es weiter.
"Das kann ich genauso entscheiden wie Sie, ob Sie überholen oder nicht." lächle ich ihn weiter an.
Es wird immer aggressiver.
"Ich ... ich hole die Polizei und ... und dann erklären die Ihnen das mal!"
Ich muss nun auflachen. Nicht gut - er spuckt nun beim Fauchen.
Verhaspelt sich.

Als ich - grinsend - losfahren und ihn stehen lassen will in seinem silbrigen Feierabend-Honda ruft er mir noch ein verhaspeltes "... und Sie haben die PLFICHT auf der Straße zu fahren ... ähh ... dem Rad- ... Radweg!" hinterher. Tankende schütteln ihren Kopf.

Ich winke ihm zum Abschied und sehe im Rückspiegel, wie er frustriert seinen Schlauch in das Tankloch schiebt.

Warum sind in Deutschland alle Autofahrer sofort in ihrer Männlichkeit gestört, wenn sie ein Rad überholen müssen? Oder frustriert es sie, dass ich keine 1,50 € pro Liter zahle und trotzdem an der Ampel wieder neben ihnen stehe?

Hupt euch meinetwegen taub, ihr Autofahrer, hupt Euch das "auf den Radweg mit Dir!" aus der Seele, schneidet mich, brüllt mich an und beleidigt mich - ich werde weiterhin auf UNSERER Fahrbahn fahren!

Und wegen Euch Radweg-Nazis mache ich mir meine teuren Felgen nicht auf unseren schlechten Radwegen kaputt, fahre nicht Hindernis-Parcours um parkende Autos herum, lasse mir nicht von unsicher fahrenden Kindern ins Vorderrad einbiegen und schlurfe auch nicht mit 8 km/h im Radweg-Stau, weil ganz vorn zwei Muttis nach dem Lidl-Besuch nicht schneller können.

Eine Speedmachine gehört auf die Straße. Und keiner hat gesagt, dass wir alle verpflichtet sind einem Autofahrer möglichst bremsfreie Bahn zu ermöglichen.

Es wird endlich Zeit, dass dieses unsinnige Gesetz wegkommt - oder baut vernünftige, breite und sichere Radwege.

Und immer lächeln, Jungs.

Gefahren: Agentur zurück, 8,47 km in 23 min und 22 km/h Schnitt

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es besteht in Deutschland seit über zehn Jahren keine allgemeine Radwegnutzungspflicht mehr in der STVO. Die Pflicht besteht nur noch dort, wo der Radweg mit einem der drei blauen Schilder mit dem Fahrrad drauf gekennzeichnet ist und zusätzlich in einem akzeptablen Zustand ist. Diese Änderung der STVO wurde 1997 durchgeführt um den Verkehr sicherer zu gestalten, weil man eingesehen hat, daß dies mit radwegen nicht immer möglich ist. Siehe http://www.berlin.de/polizei/verkehr/liste/archiv/28671/

Unknown hat gesagt…

moin olli,

die radwegebenutzungspflicht bei entsprechend gekennzeichneten radwegen meine ich ja. und die besteht nach wie vor.

gerne stellen kommunen die blauen schilder auf, obwohl sich die radwege in erbärmlichem zustand befinden.

mir gehts ja eigentlich auch nicht um die pflicht selbst, sondern um das bedauernswerte, peinliche und kleinbürgerliche verhalten einiger autofahrer, die ihre armselige piefke-mentalität rauslassen müssen und ihre aggressionen am radfahrer auslassen.

klar gibts auch genug radfahrende idioten - keine frage.

aber diese aggressivität ist es, die mich so nervt. meine güte leute: dann fahrt halt mal 30 sekunden hinter einem rad mit nur 30 km/h her ... als ob dadurch der schwanz kleiner wird?!?

das nervt ...


gruß nach B

Anonym hat gesagt…

Da habe ich in Berlin vielleicht einfach Glück. Die haben hier zwar kein geld, die radwege in Ordnung zu halten - aber sie haben auch kein Geld dumme blaue Schilder aufzustellen ;-)

Ja, die beleidigten Auftofahrer kenne ich nur zur Genüge. Und für mich selbst muß ich sagen: Radfahren befreit. Wenn ich mal Autofahren muß, dann macht mich das auch immer aggressiv und senkt die Laune. Kommt zum Glück nur selten vor.

Viktor hat gesagt…

Bald gehöre ich auch zu den Speedmachine-Fahrern und bin jetzt auf deinen Blog gestoßen, dieser Bericht brachte mich irgendwie zum Schmunzeln :D


Wenn man sich heute eine dieser Protzkisten (z.B. die mit den vier Ringen) kauft, gibt's zu diesem Auto immer ein Stück Lebenslüge dazu. Man verkauft zusammen mit dem Auto noch das Gefühl, auf der Straße eine gewisse Priorität zu haben, bedingt durch Motorisierung und Design. Ein böses Erwachen, wenn man bitter erfahren muss, dass man auf der Straße nicht alleine ist.

Da sind die 30 Sekunden, die man mit 30 km/h hinter einem Rad herfährt, eine Zumutung! Achtung: Diese Autofahrer fühlen sich durch Radfahrer GENÖTIGT.

Mir tun diese Autofahrer leid. Sie merken leidglich langsam, dass die Freiheit, die man ihnen verkauft hat, nur eine Werbelüge ist. Tanken, im Stau stehen und ständig diese lahmen Gurken, die sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten. Kein Wunder, dass die auf uns Radfahrer eifersüchtig sind ;)