02 Juni 2008

HH - Insel Fehmarn Tag 1 "Welcome to the Church of Bike"

... aber zu erst war Aufstehen angesagt. Nun hatte ich mir schon mitleidsvoll eine Stunde mehr gegeben als sonst, denn die 3-Uhr-Weckaktion vom letzten Mal hatte mich für meinen Geschmack dann doch etwas zu brutal aus süßen Träumen gerissen. Zu stressig war die Woche gewesen und zu wohlverdient ein langer Schlaf. Nein, um drei ist unmenschlich, das sehe ich nun ein.

Der Wecker klingelte um vier.

Um sechs, pünktlich eine Stunde zu spät, stand sie dann vor mir, die schwer beladene Speedmachine, ready to to go. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, die Temperaturen stiegen spürbar, fast hätte man die Plusgrade laut mitzählen können.

Dieses Mal der ultimative Test für meinen großen Trip nach Portugal: Ich sollte heute in keinem sauberen Bett in einer schnieken Pension schlafen, denn ich führte mein Haus mit. Zelt, Schlafsack & das ganze Pipapo, das man so zum Zelten braucht.

Mein Ziel: Ein Campingplatz am Ostufer der laut Google 150 km entfernten Insel Fehmarn, Sprungbrett nach Dänemark und sonnenreichste Insel unseres schönen Landes.

Auf gings.

Mittlerweile war die Sonne am lupenreinen Blau des Sommerhimmels empor gekraxelt, die Sonnenbrille und entsprechende Milch mit UVA-Filter und Faktor 30 schützten mich. Bei jedem Atemzug sog ich den typischen Geruch dieser Creme ein und - vielleicht machen die das mit Absicht - fühlte mich sofort in Urlaubsstimmung. Das werde ich mir denn dann auch merken für die Wintermonate, wenn es kalt, dunkel und deprimierend ist: Einfach ein bisschen Sonnenmilch auftragen und Standfotos angucken, der Rest kommt ganz autosuggestiv von selbst.

Ich fuhr gegen einen östlichen Wind an (der selbe, der mir schon die Pellworm-Tour teilweise zur Hölle gemacht hat), aber diesmal wehte er von der Seite, was nervte, aber nicht wirklich bremste.

Bad Oldesloe war schnell erreicht, Ahrensbök ebenfalls und nach einigen Bergen und schicken Abfahrten rollte ich in Oldenburg i.H. ein. Hier grummelte mein Magen derart, dass ich mir an der Tanke zwei Mayonnaise-Massaker kaufte (Ei + Thunfisch-Sandwiches) und mich an einen kleinen Fluss zur Pause bettete.

Da erschien er mir - der Heiland. Er hatte sich angeschlichen, stand plötzlich hinter mir. Oder hatte er sich einfach so aus dem Nichts materialisiert?
"Ist ja richtig Quality ..." meinte er.
Ich drehte mich um, einen unzerkauten Thunfisch im Mund. Er stützte sich auf ein altes Fahrrad, hatte einen riesigen Bauch auf dem ein blaues, fleckiges T-Shirt spannte. Seine Haare waren lang wie die Yoko-Onos, allerdings anders als ihre durchzogen von weißen Strähnen. Ein Bart ziehrte sein Gesicht, einer der wilden Sorte.
Er bückte sich und schaute auf mein Kettenblatt: "Aha, mmh, ordentliche Schaltung hatter auch, ich erkenne das!"
Ich nickte.
Adieu, ruhige Pause am Flussufer, urteilte ich vorschnell.
Der Mann hatte einen Fahrrad-Mantel um den Hals.
"Früher, als ich noch 25 Kilo weniger hatte, bin ich jeden Tag 70 km gefahren." sagte er und grinste.
"Ich fahre nach Fehmarn." meinte ich.
Aber das interessierte Jesus nicht. Er hatte meine Lampe entdeckt.
"Ist die mit LEDs?" fragte er.
"Nee, eine Normale, denke ich."
"Meine hier ist mit LED, Standlicht und macht vierzig Lux, der Vogel." schnackte der Heiland in reinstem Norddeutsch weiter.

Es stellte sich heraus, dass der Mann richtig Ahnung von Fahrrädern hatte. Er erzählte von Touren mit 220 km Tagesleistung, von 3-Gang-Schaltungen kurz nach dem Krieg, von seinem Kumpel, "einem ziemlich bekannten, norddeutschen Turner", der sich durch Übermut die Knie zerstört hatte und präsentierte voller Stolz sein Fahrrad, das ich vorhin noch als Schrott bezeichnet hätte.

"Den Rahmen hab ich von ALDI," begann er und schlug auf den Mittelholm, "wollte schauen, wie lange die Scheiße hält, aber nun fahre ich 2 Jahre und der Kahn geht nicht kaputt! Den Lenker hab ich angebaut, ich mag dieses Verstellorgien nicht, ordentliche Griffhörner, patente Bremsen und diesen alten Ledersattel hier, nicht so´n Gel-Quatsch." Dann zog er seinen Computer ab und zeigte ihn mir: 22.000 km stand da.

Ich verneigte mich vor Velo Christus. Und musste dann aber auch los - der Thunfisch schwamm in meinem Magen.

Ich hätte gern noch ein Foto gemacht, aber man darf sich ja kein Bild von seinem Herrn machen. Allseits Gute Fahrt, Heiland der Zweiräder, gesegnet sei dein Schlauch!

Satt war ich. Und gut drauf. Weiter gings in Richtig Neustadt, dann ein Schwenker nach Norden - Puttgarden auf Fehmarn stand nun auch schon auf den Verkehrsschildern. Mal fuhr ich B-Straße, mal kleine verträumte Landstraßen, die sich durch grüne Kornfelder windeten.

Kurz vor Heiligenhafen, die Ostsee schon im Blick, hielt ich kurz an. Eine Trinkflasche war leer und ich wollte die volle aus den Tiefen meines Gepäcks pellen. Ich kniete so in der Sonne, Dampf flimmerte über dem Asphalt und die Ostsee-Brise vermochte kaum für Erfrischung sorgen.
Als es knallte.
Wieder und wieder.
In unmittelbarer Nähe.
Das waren keine Jäger. Was schon gruselig genug gewesen wäre: Das war Maschinengewehrfeuer! Salve um Salve knatterte davon. Kaum 200 m entfernt war da dann wohl ein Schießplatz. Das gruselige an der Sache war, dass auf jede Salve, die unmittelbar neben mir abgegeben wurde, jemand weiter weg, leiser, aber unmissverständlich, antwortete.

Ich füllte schnell um und hoffte, dass ich da in kein Duell oder irgendeine neue und praxisnahe Ausbildungsform der Bundeswehr geraten war.

In Heiligenhafen schoss ich am Kai vorbei, wo die weißen Millionärsboote lagen, erklomm einen kleinen Berg und hatte die Fehmarnsundbrücke im Blick. E-Straße. Kein Radweg. Nur ein Seitenstreifen. Autos, so schnell wie auf der Autobahn. Darf ich hier fahren?

No Chance - über die Brücke gab es nur einen Weg - die Straße. Unverständlich, warum hier nicht für Tagestouristen ein Radweg eingerichtet wurde! Also ordnete ich mich in fließendem Verkehr ein und schoss auf die Brücke zu. Eines ums andere Mal zuckten Autos vorbei. Aber der Streifen war breit und das Speedlimit bei 80. Kein Problem also.

Mitten auf der Brücke erfasste mich ein starker Seitenwind, bremste mich ab. Harte Arbeit folgte.

Dann ein schön bunter Anblick, den man selten hat: Wie an einer Perlenkette aufgereit kamen mir röhrend an die 20 Opel-GTs entgegen - tiefe Sportwagen aus den 70ern, fast wie kleine unausgewachsene Corvettes. Sportwagen-Tennager sozusagen. Wundervolles Fahrtwetter, dachte ich, vor allem im Cabrio. Aber ich hatte es ja auch gut, liegend in meinem fahrenden Fernsehsessel. Allerdings schmerzten langsam die Beine, Zeit, endlich anzukommen.

Fehmarn war bald erreicht, bei Burg von der E-Straße und die letzte Stunde zum Ostufer geradelt. Da war er nun: Mein Zeltplatz, ich sah mich schon am Strand. Freuet mich. Dies unerträgliche Hitze bald abkühlen zu können.

Direkt an einem steil abfallenden Uferteil gelegen, das Rauschen des Meeres stetig im Ohr. Ich suchte eine böschungsgeschützte Stelle und stellte mein Zelt auf. Allenthalben kamen freundliche Leute vorbei, denen ich mich vorstellte. Man grinste sich an, sagte Hallo und war miteinander Freund.

Als mein Haus endlich stand, packte ich mich auf die faule Haut und genoss etwas die Sonne.

Sofort setzte Urlaubsstimmung ein. Ich war angekommen. Es roch nach damals, als ich mit Mutti und Vati an der Ostsee war. Als Urlaub war. Als alles perfekt war. Und nun saß ich da, zwischen Bully-Fahrern, Dauercampern und einer Abi-Klasse im Riesenarmeezelt.

Ich unternahm einen Spaziergang am Meer. Blickte hinaus und freute mich, schaute feucht glitzernde Strandsteine an und wandelte über die Gebeine von Millionen Muscheln. Die Fähren rüber nach Rodby in Dänemark glänzten weiß am Horizont, ebenso wie die Insel Lolland. Der Wind kühlte, es roch salzig nach Seetang. Und verzückt im wilden Wind segelnde Möwen kreischten ihr nordisches Lied.

Perfekt. Perfekt, freute ich mich in mich hinein.

Als ich zurück kam und mich für das Abendessen fertig machen wollte, knatterten dumpf brummend eben jene Sportwagen auf die Zeltwiesedie ich noch vorhin auf der Fehmarnsundbrücke gesehen hatte. Zufälle gibts ... Einer der Opel-Gang erkannte mich sogar und kam zu einem Schnack rüber. Es war der, dessen Lackierung genau der Farbe meiner Speedmachine entsprach: RAL 3011.

Und so schaute ich in der Zeltplatzkneipe dem 2:1 der deutschen Nationalmannschaft zu, kaute auf einem Schnitzel herum und schnackte mit einem schwedischen Camper auf Denglisch, was die EM so bringen wird.

Beim Schlag der Wellen und fernen Beats der feiernden Abiturienten träumte ich mich im Schlafsack meines Zeltes dann in die Nacht ... hinüber ins Morgen, wenn die Rückfahrt anstehen sollte.

Gefahren: 136,7 km in 7 h und 19,3 km/h Schnitt


Den Post des nächsten Tages gibt es im Archiv ->

1 Kommentar:

drea hat gesagt…

also.. gesegnet sei dein schlauch?! nun männer unter sich.. das sollte mich nicht wundern. sag mal du bist ja wild unterwegs, auch das kommende wochenende? denn ich hab ne hochzeit am samstag in hh. also soNNige grüßle ;)