26 Mai 2008

HH - Insel Pellworm Tag 1 "Truly a perfect Day"

Früh war es, heute nach dem Aufstehen. Früher als sonst - 3 Uhr. Ich vertrieb den Schlaf aus Kopf und Augenwinkeln. Stöhnte beim Anziehen. Aber was hilft das Jammern? Die Fähre nach Pellworm, eine Nordseeinsel unter Amrum, würde nicht auf mich warten.

Time set: 14:30 Uhr legt das Schiff ab.

Geplante Fahrzeit so um die 8 Stunden, plus Sicherheitspuffer, falls ich mich mal wieder verfahren, ein Schlauch platzen oder sonstwas passieren würde.

Und so stieg ich auf die Speedmachine und rollte pünktlich um 4 Uhr los. Das frühmorgendliche Hamburg lag im düsteren Zwielicht. Kein Auto auf der Straße. Wie ein Teppich aus dickem Schnee lag eine ungewohnte Ruhe auf der sonst so geschäftigen Stadt. Weit hinten torkelte ein Teen nach Hause, die Spatzen, die fröhlich den neuen Tag begrüßten, waren das einzige Geräusch dieses noch jungen Tages.

So fuhr ich, Alleinherrscher des Asphalts, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf Autos, Ampeln und Vorfahrtsregeln und ohne den sonst lebensnotwendigen Blick in den Rückspiegel. Es war kalt. Klirrekalt. Flott diesen eisigen Morgen durchradelnd bildete sich eine dicke Reifschicht auf meinen Knien, nebelige Atemschwaden verloren sich bei jeder Lungenkontraktion im Fahrtwind hinter mir.

Aber auch hier half kein Jammern: Time set 14:30 Uhr.

Hinter Rellingen, zwischen erwachenden Kühen und grasenden Pferdeherden, schickte sich dann die Sonne an, langsam aufzugehen. Dichter Nebel lag über sattgrünen Weiden und immer wenn ich eine der flauschigen Schwaden durchfuhr, sank die Körpertemperatur schlagartig ab.

Entschädigung aber zahlte mir die Sonne - mit einem Anblick, den man so bewusst selten hat. Erst zart-rosa, fast verlegen, malte sie zwei pastellende Striche in den Morgenhimmel. Dann fügte sie etwas Orange hinzu, dann langsam, immer mehr. Bis sie sich schließlich ihrer sicher zu sein schien, und mit einem überwältigendem gelben Glühen auftrumpfte. Und da stand sie nun und brachte die Wiesen zum Dampfen.

Ich trat rein - Gas geben so lange die Straßen leer sind - das war die Devise. Elmshorn war schnell erreicht, dann Itzehoe und weiter ging es, weiter Richtung Norden. Und so zog ich es durch, den Wind als Verbündeten, Kilometer um Kilometer abspulend.

Lange passierte nichts, die Landschaft blieb flach, die Weiden grün. Dithmarschen at it´s best: Der Himmel biederte sich mit einem makellosen Blau an, die Sonne tat so, als hätte es nie eine andere Jahreszeit gegeben und auch ich wärmte mich langsam wieder auf. Es duftete wild nach Heu, Harz und Wasser. Salzig die Luft, frischer Atem von Mutter Natur, den ich einsog, so tief und bewusst wie ich nur konnte.

Gleichförmig trat ich, rund, wie die ganze Fahrt bis hier her. Ich war glücklich. Grinste in mich hinein und freute mich, den Tag so früh begonnen zu haben.

Dann war die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal erreicht, die Hälfte der Tour war vorrüber. Hier hielt ich an und nutzte die Zeit für einen Corny, ein paar Fotos und 5 Minuten Pause. Als ich hinter ihr nun endgültig den Norden unseres Landes erreicht hatte, wurden auch die Radwege schlagartig besser. Geisterhand: Sind die Radweg-Straßenbauer hier besser? Bekommen sie mehr bezahlt? Oder wissen die Kommunen hier, dass zufriedene Rad-Touristen öfter wiederkommen und mehr Geld da lassen? Hier kann sich Hamburg mal ein Beispiel nehmen.

Die Menschen wurden freundlicher, die Dörfer pitturesker und allenthalben flog ein herzliches "Moin Moin" zwischen bordsteinpflegenden Reetdachbesitzern und dem komischen Typen auf dem komischen Fahrrad hin und her.

Heide ließ ich links liegen und lenkte die Speedmachine ins "Holländerstädtchen" Friedrichstadt. Wunderschöne Kulisse für Butterfahrten und Filme mit Romy Schneider. Fachwerkhäuschen, Bachmühle und akurate Geranienkästen. Dorf Neuschwanstein. Noch ein Geheimtipp, ohne Touri-Busse.

Time set: 14:30 Uhr.

Die Uhr zeigte eine unerwartet frühe 11, als ich Husum erreichte, das gerade auf dem Trockenen lag. Ein wunderschönes blondes Nordenmädchen erklärte mir geduldig und charmant den Weg nach Nordstrand, von wo aus ich die Fähre auf meine Insel nehmen würde.

Es war 12 Uhr, als ich nach rasanter Fahrt auf einem exzellenten Radweg die Fähre erreichte, die nicht auf mich warten würde.

Ich machte mich schon auf zwei Stunden Sonnenbaden gefasst, als - welch´ Glück - 12:40 Uhr eine außerplanmäßige Fähre ablegen würde. Eine, die zumindest im Internet nicht angezeigt war.

Da kam sie dann auch schon durch die Tiefwasserrinne angedampft: Die "Pellworm I"

Die Überfahrt war entspannt. Ich nahm auf einem Poller Platz, schaute nach Achtern und verlor mich im quirrligen Kielwasser, ließ die Sonne mein Gesicht braten und genoss es. Ich roch die salzgeschwängerte Seeluft und versuchte, mit dem leichten Schaukeln des Schiffes zu wippen. Die Brise trug die Anstrengungen der letzten Stunden fort, so auch den Arbeitsstress der Woche und die schwirrenden Dinge in meinem Kopf. Der Urlaub hatte begonnen.

Am Horizont besah ich drei Halligen und noch weiter draußen rotierten fleißige Windräder für meinen Ökostrom. Wieviel CO2 hatte ich heute gespart? Wie viele Glühbirnen würde ich mit der Energie meiner Beine zum Leuchten gebracht haben?

Da spürte ich eine Hand auf meiner Schulter: Kapitän Nemo.

Er stand da, grinste mich an. Dem Seehelden meiner Kindheit, genialen Erfinder, Rächer der Sklaven und Kommandaten des fantastischen U-Bootes "Nautilus" war er wie aus dem Gesicht geschnitten: Braunes, sonnen- und windgegerbtes Gesicht, tiefe Falten, die von Leben erzählten, eine markante Nase und Augen, die zu alles sondierenden Schlitzen verengt waren.

Und eine enge Radlerhose.

Er deutete auf sein Rennrad, das hinter meiner Speedmachine stand.
"Na, auch einmal um die Insel und dann wieder weg?" fragte er.
"Nee, ich bleibe" sagte ich - und bin froh, heute nicht mehr fahren zu müssen, fügte ich in Gedanken hinzu.
Ich sagte, ich komme aus Hamburg. Er nickte anerkennend und ließ noch einmal seine Pranke auf meine Schulter fallen: "Denn heize nicht so rum, minjung."
Er grinste und ging zum nächsten Achterdeckspassagier. Schnacken.

Da pellte sich die Insel aus dem Horizont - klar konnte ich sie als grünen Saum erkennen. Und da, ganz links den roten Leuchtturm. Dort, wo meine Pension war.
Das Schiff legte an, wir strömten aufs Eiland.

Doch nun wollte mein Magen gefüllt werden, mit lautem Grummeln meldete er seine Ansprüche an. Legitim, nach dieser Anstrengung, denn er hatte es sich ja auch redlich verdient. Sieben Stunden treten - bei ein paar Müsliriegeln, einem Laugenbrötchen und einer labbrigen Tankstellenwiener, das ist nichts, für einen Körper im Leistungsdruck.

Am Hafen, an dessen bescheidenen Kais ich unsicher ausschauend ein paar Runden drehte, fand ich schließlich eine Terasse mit viel versprechendem Speisenangebot. Die "Pellwormer Krabbenpfanne" mit viel Sahne und reichlich Champignons hatte es mir dann angetan, nachdem ich unter tosendem Beifall und Gejohle einer gut alkoholisierten Reife-Damen-Gruppe mein Rad abgestellt hatte. Die Frauen verlangten dann auch prompt eine Einführung in die Theorie des Liegeradfahrens. Eine Ehre, die ich den lustigen Frauen nicht ausschlug.

Und während ich mir das Meeresgetier einverleibte, strömten vor meiner Terasse Massen an Pellwormern an die Pier. Die Menge blickte immer wieder ungeduldig aufs Meer. Was war hier los?
"Da kommen Sie!" raunte es ab und zu durch die Leute, manche mit Ferngläsern und Teleobjektiven ausgestattet. Und wie an einer Perlenkette aufgereiht liefen wenig später die Krabbenkutter Pellworms ein.

Stolz wie Kaiser´s Schlachtschiffflotte. Majestätisch reckten sich die Ausleger zum Krabbenfang in die Luft, Flaggen - Deutschland, Schleswig-Holstein und Pellworm - flatterten im Wind. Signalhörner ertönten.

Angeführt wurde die Prozession vom ersten Kutterneubau seit Jahren - und die ganze Insel freute sich. Dort, wo das Boot festmachte, stand ein Bierzelt, wo das Nass in Strömen floss, es gab Grillzeug und viel Shantychor. Sie alle umarmten und freuten sich.
Und ich mich mit ihnen. Inselgemeinschaft. So sieht das also aus.

Satt war ich und zufrieden und lenkte mein Gefährt die letzten beiden Kilometer zum Leuchtturm. Dort begrüßte mich, aus der Eingangstüre mir entgegen springend, auch gleich ein fescher Boy.
"Hi, ich habe ein Zimmer reserviert" sagte ich ihm, meinen Namen nennend.
Mich angrinsend: "Du ... schläfst heute natürlich in meinem Bett!" sprachs und grinste.
Inselgemeinschaft.

Tatsächlich bezog ich wenig später ein tadelloses Zimmer gegenüber des rot-weißen Leuchtturms. Allein, natürlich. (Bei dem Husumer Nordenmädchen hätte ich ja nichts gegen eine solche Offerte gehabt ... aber so?!?) Duschen, umziehen und die liebe Pensionsmutter verwöhnte mich erstmal mit einer heißen Schokolade und frischer Waffel mit Eis und heißen Kirschen.

Dann spazierte ich ein Stündchen. Wieder zum Hafen, wo man immer noch den neuen grünen Kutter feierte. Ich saß und aß eine Maischolle, trank ein großes Pils und lehnte mich zurück.
Am Deich entlang ging es dem Bett entgegen. Ich schlenderte, sah der Flut bei ihrer Arbeit zu und freute mich über lustige Schafe, kreischende Möwen und einen fantastischen Sonnenuntergang.

Ich erreichte mein Bett, schaute im Schlafanzug noch einmal in die Nacht, wo der Leuchtturm stoisch Signal gab und schlummerte, umgarnt vom stetigen Wehen des Windes, der durch die Vorhänge sog, in einen tiefen, zufriedenen Schlaf.

Gefahren: 151 km in 7 h 20 min und 20,7 km/h Schnitt




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HH - Insel Pellworm Tag 2 "Mordgedanken vs. Zen-Meisterschaft"

Es war wohl der Schlaf des Zufriedenen - oder doch das Pulsieren des Leuchtturms, das mich in Trance wiegte? Es kann auch am stetigen, frischen Wind gelegen haben, der wenig auf- oder anschwellend immer gleichförmig wehte. Es war schön, um es kurz zu machen, eine Nacht, so ruhig und vollkommen wie lange nicht mehr.

Ich ohrfeigte mich innerlich, hatte ich es doch versäumt, einen womöglich überwältigend klaren Sternenhimmel zu betrachten.

Und so wachte ich um 6:30 Uhr auf - Time set: 7:45 Uhr. Und dieses Mal, das hatte ich verifiziert, würde keine unerwartet nicht im Internet eingetragene Fähre zur Stelle sein. Leider bedeutete dies aber auch, dass ich ohne Frühstück habe die Pension verlassen müssen. Und dabei ist doch das Frühstück die wichtigste Malzeit des Tages, zumal 150 km vor mir lagen.

Ich schleppte das Rad über den Deich, die Schafe blökten Tschüs.

Die Sonne war längst schon aufgestiegen, die Temperatur leicht über 10 Grad. Nicht ganz so chillig wie noch am Tag zuvor. Ich fuhr direkt am Strand - es war wieder Ebbe - zur Fähre. Geblendet von einer dieses Mal in reinstem Platinweiß strahlenden Sonne, die sich myriardenfach im noch wasserfeuchten Ebbe-Boden der Nordsee widerspiegelte, radelte ich ruhig über den 1 km langen Damm hinaus zum Fähranleger. Und bekam dabei schon einen Vorgeschmack auf das, was mir auf dieser Rückfahrt blühen sollte.

Das war kein Gegenwind.
Das war stetiges Entgegenwerfen von Luftmassen.
Das waren wütende Faustschläge aus Sauerstoff.

Doch zunächst rollte ich wieder auf die Fähre, parkte meine Speedmachine an gewohntem Platz und fand mich unter Deck in einer Schlange am Schiffskiosk wieder. Und was für eine tolle Sache: Da konnte man zum Beispiel Nutellabrötchen ordern. Was die Familie vor mir auch tat. Ein beleibter Fährangestellter in kurzem Uniformhemd nahm ruhig und gelassen die Bestellung an, nickte und drehte sich um. In aller Seelenruhe schnitt er ein Brötchen auf, holte eine Dose Lätta aus dem Kühlschrank und bestrich die Häften mit einer dünnen Schicht Margarine. Dann drehte er das Nutellaglas auf, angelte eine ordentliche Portion Schokocreme mit dem Messer hervor und verteilte diese auf dem Gebäck. Alles auf einem weißen Tellerchen platziert, 1,50 Euro wechselten den Besitzer und ich war an der Reihe.
Ein Kaffee musste es sein.
Schön heiß und schön süß.

Wieder an Deck verwickelten mich sogleich zwei ältere Herren in ein Gespräch. Der Eine, aus Sachsen, erzählte mir von seinen Erfahrungen mit einem Fast-Liegerad und von seinen Touren, als er noch jung war. Schnell gesellte sich ein weiter Mann hinzu.

Er nannte sich selbst den "Bäcker von Pellworm" - etwa 2,50 m war der Mann groß, wettergezeichnet, lustig und offen. Durchtrainiert war er, voller Schnellkraft und Energie. Und wie bei allen Pellwormern fiel mir auch bei ihm diese Vitalität, diese freundliche Offenheit für Neues und Fremdes auf.

Auch er war ein Radbegeisterter, war er doch unterwegs zu einer Tour rund um Husum, die von einer Holsteiner Zeitung veranstaltet wurde.

Der Mann war 70 Jahre alt.

Wir verabschiedeten uns in Nordstrand, ich rollte von Bord und trat sie an, die Tour zurück. Brutal warf mir ein Tief seine Luftmassen entgegen. Wo ich gestern noch ohne Anstrengung locker mit 32 km/h über den Deich geschossen bin, hatte ich heute Mühe und Not, überhaupt 15 km/h zu halten. Anstrengend war es und schon nach 15 km schmerzten Gelenke, Waden und Knie.

Eine Stunde später erreichte ich endlich Husum, traf leider das Nordenmädchen nicht an, dafür aber war Flut. Und wo gestern noch grauer Schlick träge den leeren Hafen verschlammte, schwabbte heute fröhliches Brackwasser schillernd zwischen den bunten Fischerbooten.

Eine Böe holte mich meist aus allzu kontemplativen Gedanken in die Gegenwart, verlangte doch jeder Lufstoß zuweilen energisches Gegenlenken und Ausbalancieren. In Theodor Storms Friedrichstadt, in der der "Schimmelreiter" entstand, vermochte ich demnach auch nur kurz den Geranienkästenpflegern einen Seitenblick zu schenken und steuerte verbissen gegen die stetigen Windstrom an.

Dann kam kurzzeitige Erlösung: Die Straßenführung sollte mich über knapp 20 km über einen großen Schlenker in Windrichtung fahren lassen. Und kurz konnte ich sie so genießen - eine Fahrt mit 30 km/h Schnitt und ohne große Anstrengung. Ach, wenn es doch immer so sein könnte ...

In Heide war nichts besonderes mehr.
Itzehoe - ich will nach Hause.

Mittlerweile war die Wut in mir hochgestiegen. Wie konnte das sein? Gutes Wetter war angesagt - wie passt so ein Sturm dazu? Ich schrie meine Wut in den Wind, brüllte gegen seine Kraft an. Und fast hatte ich das Gefühl, dass mit jeder Beleidigung, die ich in die Heide brüllte, der Wettergott einen Knoten draufpackte. Nur um zu sehen, wann mir die obszönen Schimpfworte würden ausgehen. Aber ich hatte da noch Einige auf Lager.

Aber der Wettergott leider auch noch einige Knoten Reserve.

Irgendwann ergab ich mich allem. Was half es auch? Mit stoischer, fast mönchsgleicher Ruhe betete ich mir immer das gleiche Mantra vor: Dafür hattest Du gestern fast ausschließlich Rückenwind. Den Preis zahlst Du heute.

Mit anderen Worten: Man kann nicht nur die Abfahrten genießen - denn den Berg zu erklimmen gehört dazu.

Wenn ich einen Zen-Grad erwarb, dann auf dieser Rückfahrt.

Ich traf einen freundlich winkenden Liegeradfahrer, der mit dem Wind an mir vorbeischoss. Ein amerikanischer Langlieger, über 2,50 m lang und ein wenig tiefer als meine Speedmachine. Gern häte ich da mal Probe gelegen.
Wenig später, in einem Unterführungstunnel, ein großes "Hallo", als ich einem Liegerad-Tandem begegnete.
Die Gruppe Feuerwehrleute, die mit Bollerwagen Lieder singend nach einer Übung offenbar schon sehr betüdelt über die Nord-Ostsee-Hochbrücke steuerte, überholte ich genauso spielend, wie eine schwer beladene Velo-Touristin, die sich mit mindestens 50 kg Zusatzgewicht auf Vorder- und Hinterrad ebenso wie ich im Mahlstrohm aus O2 versuchte, vorwärts zu bewegen.
An einer Tanke genehmigte ich mir ein Magnum, manches mal wusste ich nicht, ob ich lieber noch Sibirien oder doch nach England fahren sollte. Aber Hamburg, mein warmes Hamburg mit Wohnung, eigenem weichen Bett, das war das Ziel.

Heimat, geliebte Heimat, als ich in Pinneberg einrollte und auf den Bushaltestellenschildern endlich der Hamburger Verkehrsverbund stand. Hamburg ... nun haste mir wieder!
Rellingen folgte.
Über die Autobahn.
Vorbei an den grünen Wiesen.
Niendorf, mein Niendorf!

Ich fiel aus dem Rad. Pellte mich aus verschwitzten Klamotten, die nach Wut rochen und kroch in einer heiße Wanne, wo ich den Staub einer anstrengenden Etappe abwusch, meine pulsierenden Waden massierte und mich hinüberträumte, zurück auf den grünen, weichen Deich, zu den weißen, weichen Schafen.

Zurück auf die tolle kleine Insel mit dem großen, großen Herz.

Gefahren: 146,33 km in 7 h 30 min und 19,5 km/h Schnitt.
Tour gesamt: 298,33 km in 14 h 50 min

22 Mai 2008

Gesagt - getan!

Gestern noch davon geträumt - heute schon den Rekord abgeräumt. So müssten alle Tage anfangen. Unter frechester Auslegung der Straßenverkehrsordnung, teilweise abenteuerlichstem Gekurve zwischen Blechkolonnen und Formel-1-mäßigen Kickstarts an gerade Gelb anzeigenden Ampeln, konnte ich heute erstmals die 20-Minuten-Grenze für den Hinweg zur Agentur erreichen.

Glatte 5 Minuten im Schnitt zum bisherigen Arbeitsweg aufgeholt ... so muss er sich gefühlt haben, der Ulle, als er früher die Etappensiege eingeheimst hat.

Gefahren: 8,51 km in WOW!-20 min 54 sek und für die morgendliche Rush-hour absolut unfassbaren 24,5 km/h Schnitt.

Allez! Allez!

21 Mai 2008

Sport, Sucht & Sex

Naja, zugegeben, der Sex peppt hier heute nur die Headline auf und vervollständigt den Hattrick der Worte mit "S", aber ganz zu Unrecht steht es da ja auch nicht.

Denn nach nun mittlerweile fast 2.200 km in 3 Monaten beobachte ich die ersten Veränderungen an meinem Körper. Und wer ihn kennt, der weiß, dass dieser eher in die Kategorie "schlanker Hirsch" gehört. Aber, wie eine schlaue Kollegin mal meinte - Männer müssen die Hantel eigentlich nur anschauen und setzen Muskeln an.

Und das passiert bei mir auch gerade. Immer mehr definieren sich stahlharte Stränge rund ums Knie, an den Waden und vor allem den Oberschenkeln aus. Geilomat - und faszinierend.
Zudem war ich ja schon immer ein verfressener Lulatsch, aber seit dem ich die Speedmachine reite, muss ich zwei mal in der Woche den Lidl leerkaufen. Proteine, Ballaststoffe - das sind Schlagworte, auf die ich beim Einkauf jetzt achte. Jeden Morgen eine Taxofit für die Gelenke, jeden Abend eine mit Magnesium für den Muskelaufbau. Alles ändert sich. Man wird fitter. Ausdauernder. Fühlt sich besser, stärker, zufriedener.

Sport ist was tolles.

Alles macht sich halt bemerkbar. Und so, wie der Körper immer mehr an Konturen gewinnt, immer ausgeformter und attraktiver wird (das wäre dann jetzt auch der Beitrag zum Thema Sex gewesen), steigt natürlich auch die Lust auf mehr.

Auf mehr Kilometer, auf mehr Geschwindigkeit, auf mehr ... mehr ... mehr. So fechte ich zum Beispiel jeden Morgen und jeden Abend einen Kampf mit meinem Vortags-Ich aus: Wer wird schneller zur Agentur fahren und wer wird schneller wieder nach Hause kommen? Rekorde purzeln wenn ichs schaffe, Tränen - krokodilsgroß - kullern, wenn der Gesternlars siegt.
Andere Blüten treibts mit den Teilnehmern im Verkehr: Wie wäre ich doch in meiner Ehre gekränkt, würde mich ein Radfahrer überholen! Und dazu noch vielleicht einer auf einem schnöden Sitzrad ohne so geile hautenge Trikots wie ich? Unvorstellbar! (Womit das Thema Sucht dann auch ganz gut abgehandelt wäre)

Andererseits lohnt sich jeder Tritt in die Pedale, denn die ganze Schose hat auch viel Romantisches: Erfahrungen von Zeit und Raum, die man in Flugzeug, Auto oder ICE so nie machen würde. Die Zeit zu haben, sich eine Stunde lang, während man durch einen Kiefernwald im Wesergebirge fährt, mit den würzigen Facetten des Harzduftes auseinander zu setzen, ist unbezahlbar, weil bei TUI und Consorten nicht zu buchen. Mit einem Seitenblick zwei seltene Bussarde in trauter Zweisamkeit und Formation segeln zu sehen, ist ein Genuss, den man nicht bestellen kann. Und letztlich, funkelnde Kinderaugen, dazu beherzte, weil ehrliche und spontane Ausrufe, "Papa, schau mal, DAS FAHRRAD IST COOL!" und erst das Grinsen der Racker, wenn man dem kleinen Zwerg im Vorbeiflug zuwinkt ... all das und noch tausend köstliche Augenblicke mehr, all das sind die Speedmachine Adventures.

Á propos Sucht: Heute endlich fast erreicht, den neuen Rekord für Hinfahrten zur Agentur. Denn wo ich sonst für die 8,5 km 23 bis 24 Minuten brauche, schaffte ich es heute in sensationellen 21,43 min, was einem Schnitt von 23,54 km/h entspricht. Und das ist Spitze im ampelrotbedrohten Alle-wollen-morgens-zur-Arbeit-Verkehrschaos. Die 20-Minuten-Grenze ist das Ziel.


P.S. - Mich hat natürlich noch nie ein schnöder Radfahrer überholt. Phüü.

19 Mai 2008

Speedmachinespeedtalking & Straßenverkehrsmimikry

Vorhin, auf dem Nachhauseweg, sah ich eine andere Speedmachine vor mir. Ich gab Gas und holte sie an der nächsten roten Ampel ein.

Eine pulitzerverdächtige Konversation verlangte alles von uns:

"Hey, Speedmachine ..." eröffnete ich originell.
"Ahh. Hi." sagte der Andere. Seine Hand zum Gruß flog kurz an meinem Gesicht vorbei. "Das ist aber ´ne Sonderlackierung, die Du da hast." Kam er gleich auf den Punkt.
"Joa, was man so braucht." entgegnete ich. "Und? Wo musst Du hin?"
"Schnell nach Schnelsen" sagte er.
Er hat mir dabei keck zugezwinkert.
Fürchte ich.
Dann wurde es Grün und wir stieben auseinander wie zwei Magnete, die sich abstoßen.

Ein rasantes Gespräch. Wie der Fahrstil.

Aber, das ganze hatte auch was Gutes, denn eine neue Erkenntnis gewonnen heute. Ich weiß nun endlich, warum sich die Autofahrer - entgegen aller kursierender Vorurteile - so verdammt viel Mühe geben, mich nicht zu überfahren: Speedmachine + Fahrer sehen von hinten aus wie ... Rollstuhl.

Denn das war auch mein erster Gedanke, als ich den anderen Recumbent-Fahrer heute weit vor mir sah.

Aber ich finde, von dieser Tarnung profitieren wir beide, der Rollifahrer und die Liegeradler: Imagetransfer und mehr Sicherheit

Und soll das ja auch sein.

Gefahren: Agentur hin & zurück, 8,5 km in jeweils 24 Minuten.

18 Mai 2008

Vatertag ...

... kam mir da nur in den Sinn. Denn man sah allenthalben engagierte Daddies mit ihren Kleinen Fahrradfahren üben. In trauter Zweisamkeit kümmerten sich Heerscharen von Erzeugern darum, ihre Kinder in die Geheimnisse des Straßenverkehrs einzuweihen.

Wobei ich mit der Zeit und nach eingehendem Studium dieses Phänomens dann durchaus vermochte, Unterschiede in den pädagogischen Vorgehensweisen zu erkennen: Die Klassifizierung der Väter kann demnach in drei Hauptgruppen vorgenommen werden.

1. Der Safety-first!-Typ
Er geht mit gutem Beispiel voran. Er ist voll ausgestattet mit Bein- und Armschonern, Sturzhelm und Handschuhen. Einige Exemplare haben sich und ihren Kleinen zudem Signalflaggen an schlingernden 4 Meter-Masten an die Gepäckträger geschraubt.

Natürlich ist auch das Kind eingepackt, manchmal erkennt gar nicht, ob Junge oder Mädchen in der schockabsorbierenden Plastikrüstung steckt.

Und so hangeln sich die zwei von Ampel zu Ampel, wobei Vati diese Stopps dann nutzt, um seinem Sprössling in Rotphasenintervallen die Verkehrsregeln zu erklären - und in Hamburg gibt es VIELE Ampeln ... der Kleine indes schaut meist anteilnahmslos umher, zurrt mal hier mal da am zwickenden Safety-Equipment und nickt, wenn Papa was über "rechts vor links, hörst Du, Marc?" erzählt.

2. Der Multitasker
Beiweitem nicht so gut ausgestattet, wie Straßenverkehrs-Vater-Typus 1. Er radelt meist in legére Tennisklamotten gehüllt hinter seinem Kind her. Ab und zu redet er mit ihm oder ihr, aber meist lässt er lange Leine - schließlich radelt die kleine Steffi nicht zum ersten mal, die kann das ja schon so toll, hat ein ganz neues 18-Gang-Barbie-Bike und außerdem kennt sie den Radweg ja auch in- und auswendig. Denn hier muss Daddy sie ja auch jeden zweiten Tag und Samstags zum Reitunterricht bringen.

Locker mit einer Hand sein Trekkingrad steuernd telefoniert Typ 2 auch mal gern am Handy, checkt am PDA die Termine für nächste Woche oder beschaut sich den neuen Chayenne, den sich die andere Anwaltsfamilie seiner Straße letzte Woche zugelegt haben.

3. Der RTL II-Typ
Diesem Daddy steht der Ärger über das Ausscheiden Michael Schumachers aus der Formel 1 noch immer ins Gesicht geschrieben - wäre doch jetzt, 13 Uhr, Start zu einem spannenden Rennen, welches er (freilich nicht auf RTL II) nun bei einem kühlen Oettinger pro Stunde genießen könnte. Aber dem Kubica will er nicht zuschauen, das ist nicht mehr sein Ding.

Statt dessen kann er ja nun "mal raus gehen und was mit der Tochter machen", wie ihm seine Frau eindringlich bei den sonntäglichen Spirelli-mit-Tomatensauce geraten hat.
Und so trottet er - der einzige Typus ohne eigenes Fahrrad - zigarettenrauchend hinter seiner Janice her, die sichtlich Spaß hat, mit ihrem pinken Prinzessinnen-Fahrrad über Kastanien zu fahren.

Ab und zu raunt er ihr etwas zum Thema Sicherheit und "guck nach vorn!" hinterher, aber Janice hat gelernt, wie sie das aufzunehmen hat.

Natürlich könte man diese Klassifizierung noch verfeinern. Und auf geografische Gegebenheiten, das heißt unsere Stadtteile, übertragen. Aber mein Sozialpädagogik-Studium habe ich nicht umsonst abgebrochen.
Jedenfalls ein schöner Anblick, wie sich die Daddies da gekümmert haben, egal ob Typ 1, 2 oder 3. Hauptsache die Kleinen haben Spaß und lernen was dabei.

Satz des Tages: "Schau nach vorn, sonst stirbst Du!"

Was ich mich jedoch die ganze Zeit frage: Wo waren die Mütter? Oder ist das Fahrradfahrbeibringthema auch so eine Männersache?

Hamwa wieder was gelernt ...

Á propos gelernt: Eigentlich hatte ich vor nach Friedrichsruh, dem Landsitz des Fürsten Bismarck, seines Zeichens Eiserner Kanzler und Reichgründer, Erfinder der Sozialversicherung und eines gerollten Fischsnacks zu fahren.

Das Schloss habe ich leider irgendwie mal wieder nicht gefunden. Dafür aber das älteste Seat-Autohaus Hamburgs. Auch was.

Da fragt man sich doch: Seat gibts schon seit 30 Jahren? Wahnsinn. Daran merkt man dann wohl auch, dass man langsam älter wird ...

Pulsbeschleunigung gab es dann noch auf dem Weg zurück zur City Nord, als ich mit ca. 35 Sachen einen Radweg (und für Hamburger Radwege ist alles über 30 Rekord ...) hinabschoss und plötzlich hinter einer kleinen Kurve eine Frau auf dem Gehsteig liegen sah.

Schock!

Ein Mann hatte sich schon über sie gebeugt und drehte sie gerade in die stabile Seitenlage. Als ich ankam, erreichten noch zwei andere Radfahrer den Ort des Geschehens sowie ein Gelber Engel vom ADAC.

Die Frau war gestürzt, Rollerbladerin, ihr Partner schnallte ihr gerade Schuhe und Helm ab. Sie stöhnte und schrie fast. "Soll ich einen Notarzt rufen?" fragte ich.
Nein, nein, alles okay, meinten beide.
"Äh, echt?"
"Ja, ja, das passiert ihr ständig." sagte er, seinen stöhnenden Schatz weiter von Protectoren befreiend.
Aha.

Da beruhigte sich der Herzschlag wieder - sie war über einen Huckel gefahren, hatte die Kontrolle verloren und war wohl ziemlich unsanft auf ihrem Po gelandet. Alles halb so wild. Und so ließ ich sie an meiner Apfelschorle teilhaben, wir schnackten noch eine Runde und philosophierten über die katastrophalen Zustände der Radwege in unserer schönen Hansestadt und dann gings weiter - heim.

Leider hatte mir das Regenwetter am Samstag einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn usprünglich wollte ich ja nach St. Peter Ording, mein Zelt-Equipment ausprobieren, aber das mache ich dann eben nächstes Wochenende. Dafür konnte ich gestern auch wieder mal schön mit der Mu den Kiez abtanzen, was der Mensch ab und zu ja auch mal braucht.

Kleine Sonntagsrunde, heute gefahren: 49,97 km in gemütlichen 2 h 44 min und stadtverkehrsbedingten 18,23 km/h Durchschnitt.

Okay, okay, es hätte auch heißen können: "Schau nach vorn, sonst stürzt Du!", aber wer versteht schon jedes Wort an einer vielbefahreren Kreuzung?

17 Mai 2008

Ertüchtigungsstrategien, Aufstehmotivation und effiziente Wochenendnutzung

Wir haben ja alle irgendwie zwei Gesichter. Und Körper. Die Wochen über in Rüstungen gehüllt, in Verkleidungen gesteckt oder in Raumanzüge gezwängt, die unser Arbeitsplatz verlangt. Das Corporate Behaviour züchtigt nach den Vorgaben, die die Tätigkeiten geben - wir müssen Geld verdienen.

Der Eine, den wir als betrunkenen Breakdancer vom Hamburger Berg kennen, der steht sonst in Uniform auf Kreuzungen und regelt den Verkehr. Eine Andere, sonst durchgeknallt und flippig, geht mit mäusepiepsig-kreideschmeichelnder Stimme ans Telefon und nimmt charmant Bestellungen über 3.000 l Desinfektionsmittel an.

Und ich, ich bin Werber im Onlinebereich, hecke Strategien aus, brüte über Designs und texte Bannerkampagnen. Meine Uniform ist die Nadelstreifenhose und das Jackett.

Aber am Wochenende, da ändern wir uns. Wir alle. Der eine geht Breakdancen, die nächste flirtet sich die Pfunde nur so weg und ich, ich ziehe meine zweite Uniform an: Das Trikot, die Radlerhose und den Fahrradhelm.

Ich gebe es zu: Ich bin tretlagersüchtig. Ich brauche Kettenwachs und das Kilometerklackern, brauche B-Straßen und Wadenmuskelkater. Ich diene in zwei Armeen.

Und manchmal, da diene ich beiden gleichzeitig. Spion zwischen den Fronten? Nein, das geht: Morgens, zur Arbeit fahren. Früh durch die (noch) leeren Hamburger Straßen fliegen. Hellwach werden von kühler Morgenluft die an den Knien kondensiert. Leicht schwitzend ankommen, als erster, früher, viel früher als alle anderen.

Ich könnte fast 30 Minuten länger schlafen, mit dem Rad bin ich so verdammt schnell in Winterhude. Aber das tue ich nicht. Kann nicht ruhig liegen bleiben. Vor Freude. Vorfreude.
Eine halbe Stunde - andere würden für 30 MInuten mehr Schlaf töten. Aber ich, ich springe hoch, schlürfe grinsend meinen Morgenkaffee, ziehe meine Uniform an und düse los.

Das muss Motivation sein. Süchtig nach 8 Kilometern Speedmachine jeden Morgen. Schon komisch, was Fitness so aus einem Menschen macht.
Früher hätte ich die 30 Minuten gern genommen, mich grunzend und wohlig schmatzend herumgedreht und wäre nochmal in meine Traumwelt weg gedämmert. Heute stehe ich eine Stunde vor Dienstbeginn bei meinem Arbeitgeber auf der Matte und mache das auch noch gern.

Orden gibts da nicht. Beförderungen eher selten. Ich glaube, ich bin pervers.

Und dann steht es da, in meiner Agentur, nur 3 Meter entfernt. Das Rad. Und glänzt. Wartet. Motiviert, 9 Stunden und mehr, arbeite ich, hänge mich rein. Flirte im Seitenblick mit meinem Roß. Und dann, wenn die Stechuhr meine Karte fordert und mir sagt "für heute reichts", dann springe ich fröhlich auf das Gefährt und fliege heim. Stechmücken zerschellen an weißen Schneidezähnen, wenn ich grinsend durch die rush-hour fliege.

Gestern motiviert gefahren: Agentur hin 8,54 km in 24 min und 21,2 km/h Durchschnitt.
Agentur zurück 8,5 km in 26 min und 19 km/h Durchschnitt.

13 Mai 2008

HH - Laage Tag 1 "Rhapsodie in Gelb"

Wow, was für ein Anblick! Ganz Norddeutschland muss vom Weltall aus gelb schimmern: Rapsfelder wohin das Auge blickt!

Ein herrlicher, erdiger Duft, mit dem die Pollen dieser ölhaltigen Nutzpflanze die Luft sättigten, ließ mich so oft ich konnte bewusst einatmen und genießen - es war Kaiserwetter, perfekt für eine lange Radtour. Zum Glück schützte mich meine Sonnenbrille vor dieser fiesen gelben Form von Schneeblindheit, denn gerade der Horizont, an dem das schrille Gelb und die scharfe Bläue des Himmels aufeinander trafen, vermochte mir Tränen in die Augen zu treiben.

Vorher hatte ich mich allerdings noch durchs pfingstliche Morgenverkehrschaos Hamburgs zu kämpfen, leider dauerte das eine ganze nervige Stunde. Und wieder einmal kann ich nichts weiter als Verachtung für alle kommunalen Verantwortlichen für die miesen Hamburger Radwege zum Ausruck bringen: Lose Gehwegplatten die mit ihren zentimeterhoch abstehenden scharfen Kanten bestimmt schon manchem Mantel zum Verhändnis geworden sind, abrupt in nur noch mannbreiten Sandwegen mit extra fiesem Spitzsteinschotterbelag endende "Radwege", Schlaglöcher und klippenartig abfallende Bordsteine, das ist das täglich Brot der Hamburger Radfahrer. Einfach nur zum Kotzen!

Und so steuerte ich meine Speedmachine aus diesem bescheuerten Chaos der sonst doch so geliebten Heimatstadt endlich ins Grüne.

Also ins Gelbe.



Eine Landpartie der besonderen Art sollte es werden, denn anders als sonst hatte ich diese Etappe nach Wismar vorwiegend auf Landstraßen geplant. Die Pfingsreisewelle wollte ich mir dann doch nicht antun.

Eine kluge Entscheidung, wie sich herausstellte, denn einerseits rollten massive Blechmassen über B-Straßen und Autobahnen und andererseits konnte ich so fast leere Landwege und die Erzeugnisse unserer Agrarerzeuger in einer Pracht sondergleichen genießen.

Ab Lütjensee fuhr ich auf sanft-hügeligem Gelände, tollen Landstraßen, heftete meinen Blick ein ums andere mal auf schöne Naturpanoramen und erfreute mich am makellosen Blau des Himmelszeltes über mir. So lehnte ich mich gemütlich zurück und grinste die Kilometer nur so weg.

So ging das über Ratzeburg ins malerische Gadebusch, eine Stadt, sanft in einem Talkessel zwischen zwei Seen gelegen. Hier muss ich nochmal herkommen. Eine Stadt, in der man bestimmt toll einen Kurzurlaub verbringen kann.

Und dann wurde es fies: Berge!

Die Temperatur mochte schon nahe der 30 Grad-Grenze liegen und so musste ich mich (ohne eigenen Radweg) meist im 2ten oder 1ten Gang in quälend langsamen 10 km/h die Berge raufschrauben. Und hatte ich den dann im Schweiße meines Angesichts bezwungen, tauchte nach einer erfrischend rasanten Abfahrt schon wieder der nächste.

Die Landschaft hatte kein Erbarmen - so zog es sich bis zum Etappenziel Wismar hin. Da half kein Fluchen. Kein Bedauern. Treten, einfach treten! Bezeichnenderweise führte die schlimmste Steigung von allen auf den Hellberg. Hölle - wahrlich!

Aber belont wurde ich auch mit einem Anblick, dem man nur ganz selten fröhnen kann. Einmal segelten majestätisch ein paar hundert Meter lang zwei riesige Greifvögel parallel zu mir im Tiefflug, bevor sie abbogen, um das Feld nach Mäusen abzusuchen. Schöne Vögel waren das, und dann gleich noch zwei. Glück muss man haben!

Nach mehr als 5 Stunden erreichte ich dann Wismar auf dem letzten Loch pfeifend. Und stutzte: Hatte ich bei HRS nicht ein 4-Sterne-Hotel mit Spa geschossen? Ich schaute verwirrt auf meine Buchungsbestätigung - die Adresse stimmte. Nur hatte ich kein 4-Sterne-Ramada, sondern das 3-Sterne "Schwedenhaus" gebucht.
Kein Spa.
Nicht mal ein Restaurant.

Idyllisch ist ein Wohngebiet in einem Ensemble aus massiven Plattenbaublöcken eingebettet, hatte man einen Komplex aus 3 Bungalow-Häusern gezimmert. Die schwedische Flagge thronte über allem. Und so bezog ich ein - zugegeben sehr geräumiges - Zimmer mit Klassenfahrtatmosphäre.

Schwedenhaus halt - der Name war Programm.

Wenn man nicht gerade Pech mit dem Zimmer hatte, und ich hatte offensichtlich kein Pech, musste man nicht auf die Wohnsilos schauen, sondern konnte stadtauswärts über eine Schrebergartensiedlung aufs Land hinter Wismar blicken.

Und diese Aussicht genoss ich dann auch, als ich mir in meiner Pantryküche einen Riesensalat und Käsespätzle zubereitete, deren Zutaten ich vorher im nahegelegenen Wohngebiets-Lidl kaufte.

Duschen, Franzbranntwein applizieren und schlafen. Morgen bin ich bei meiner Familie ...

Gefahren: 110,6 km in 5 h 33 min und steigungsbedingt langsamen 19,94 km/h Durchschnitt





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HH - Laage Tag 2 "Zeigen Sie mir erstmal Ihren Elch ..."

... sagte die Rezeptionistin heute morgen, als ich mein Zimmer bezahlen wollte. Zunächst überlegte ich stutzig - es war ja noch früh am Morgen - was sie wohl meinen würde. Denn so attraktiv, dass ich ihr einfach so meinen Elch würde auf die Theke legen, war sie nun auch wieder nicht.

Allerdings, das löste sich schnell auf, denn sie hatte wohl die Sekunden meiner angestrengten Nachdenklichkeit erkannt und berichtigte sich daraufhin - sie meinte eigentlich den tatsächlich schrecklich originellen Schlüsselanhänger in Elchform, der hier im "Schwedenhaus" obligat war.

Phuhh, Schwein gehabt!

Nach bewältigtem Frühstück machte ich mich sogleich auf den Weg. Eigentlich hatte ich vor, noch einen Abstecher zu nahe gelegenen Insel Poel zu machen, einmal am Meer anschlagen und weiterfahren, aber da meine Mutti pünktlich 9 Uhr anrief und fragte, wo ich denn bleiben würde, entschied ich mich, auf direktem Wege zu meinem Bruder zu fahren. Bevor es noch Ärger gibt ...

Nur runde 80 Kilometer sollten es sein. Ein Katzensprung. Allerdings hatte ich wieder mal verdrängt, dass der Norden weit weniger flach ist, als man immer denkt.

Geblendet von Myriarden schreiend gelber Rapsblüten rollte ich Abfahrten herunter und schraubte mich selbige hinten wieder hoch. Und dabei bekam ich das Schreien, denn wie man Radwege bauen kann, die neben einer nivellierten, halbwegs geraden Straße auf den Hügeln der Felder verlaufen, ist mir ein Rätsel. So passierte es eins ums andere mal, dass ich neben der bequem ebenen Straße mal 15 Meter über ihr auf einem Hügel und mal 15 Meter unter ihr fuhr. Klar: Für einen lumpigen Radweg würde sich eine Nivellierung nicht lohnen, aber nervig war das schon, bei 8.000 Grad Celsius im ersten Gang und 3 km/h alle paar Minuten extreme Steigung und wiederum extreme Abfahrt zu haben - was richtig gut für die Gelenke ist. Bescheuerter kann man Radwegeführung nicht planen.

An alle Mountainbiker und SM-Velofahrer - Mecklenburg ist Euer Mekka des Leidens, glaubt es mir!

Hier gibt es sogar einen Radweg, der einen Berg mit mindestens 18 % Steigung heraufführt - wer sowas plant, baut und dann als "familienfreundliches Radlerparadies" anpreist, sollte zur Strafe seine eigenen Radwege selbst mal abfahren - mit einem Rad ohne Gangschaltung!

Aber es gab natürlich auch schöne Augenblicke: Die dampfende Tankstellenbockwurst (sogar mal mit einem frischen Brötchen - ARAL, alles super eben!) die meinen knurrenden Magen besänftigte oder die irgendwie an Route 66 erinnernden, letzte 20 km nach Laage auf einer fast leeren, extrem breiten autobahnartigen Straße, die sich sanft bis zum Horizont durchs Gelb schlängelte und auf der ich mit meiner Speedmachine und dem Flirren der Hitze vollkommen allein war.

Aber dann gingen sie doch schnell vorbei, diese 80 Kilometer und schon freute sich mein Hintern dann noch die letzten Minuten lang über das denkmalgeschützte Killerkopfsteinpflaster der Stadt, in der mein Bruder mit seiner Family wohnte.

Geschafft - gebt mir ein Bier!

Gefahren: 77,11 km in 3 h 48 min und trotz höllischem Hellberg noch beachtlichen 20,27 km/h Durchschnitt.




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HH - Laage Tag 3 "Trainingsrunde und Gin-Tonic isotonisch"

Heute war ein Traumtag. Urlaub wie er sein muss - nix Großartiges ist passiert. Einfach da sein, die Sonne genießen und miteinander Spaß haben. Mit meiner süßen Schneckennichte rumgetobt, allerdings blieb die WII heute aus - analoges Spielen war angesagt. Der gute alte Ball kam zum Einsatz, ebenso eine Schaukel. Süße kleine Frau - bin mal gespannt wie das wird, wenn sie in die Schule kommt. Älter wird. Schon witzig, so kleine Menschen. Die so klein dann ja doch nicht sind.

Nach dem Frühstück haben sich meine Brüder und ich erst einmal geweigert, beim Mädchenspaziergang mitzumachen. Wir ließen uns freudig grunzend ins Sofa fallen und schauten traut vereint mit beschaulichem Bierkonsum einen Horrorfilm, der allerdings in seiner Wirkung im 11 Uhr mittags eher als bescheiden zu bezeichnen ist.

Lecker Mittagessen gabs, und mädchenartig sollte der Tag weitergehen, als die Familie nach dem Speisen dann geschlossen beschloss, sich zum Mittagsschläfchen zu betten - verwunderlich diesmal, dass sich sogar meine beiden Brüder fürs Schlummern meldeten.

Nicht mit mir, Ladies: Erstens hatte ich keinen zum Kuscheln und zweitens kam mir eine glorreiche Idee: Wieso nicht diese toten Stunden nutzen, um nicht aus dem Tritt zu kommen?

Und so splatatterte ich holpernd zwei Stunden lang um Laage herum, meisterte Steigungen, lange Abfahrten und winkte ein ums andere mal spielenden Kindern in leeren Dörfern, die offensichtlich auch keinen Bock auf Mittagsschlaf hatten.

Glücklich schwitzend kehrte ich dann pünktlich zu Kaffee & Kuchen wieder heim, die anderen hatten sich inzwischen mit Sahnestückchen und frischem Mohnkuchen den Bauch vollgeschlagen. Aber ich konnte nun beruhigt sein, wohlwissend, dass meine Knie morgen bei der Rückfahrt schonmal vorbereitet sein würden.

Der Rest des Tages ist Geschichte: Bier, Grillen, Fleisch und dann, nachdem die liebe Sonne sich entschieden hatte, andere Bereiche des Erdenballs zu erhellen, widmeten wir uns einigen sehr wohlschmeckenden Gin-Tonics, redeten und lachten bis spät in die Nacht. Oder war es früh?

Um 2 ging ich schlafen.

2 Promille.

Aus Trainingsgründen gefahren: 40,55 km in rasend schnellen 1 h 46 min und wahnsinnigen, vorher nie erreichten 22,78 km/h Durchschnitt.




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HH - Laage Tag 4 "Hitzeschlacht und ganz neue Seiten meiner Heimatstadt"

Recht spät ging es los bei meinem Bruder, wobei ein Frühstückstermin um 9 Uhr angesichts der vertilgten Alkoholmengen allerdings trotzdem noch als recht zeitnah zu bezeichnen wäre. Da ich mich selbst klugerweise bereits 1 Uhr aus der illustren Cherry-Runde entfernt hatte, wohlwissend, dass am nächsten Tag eine nicht ganz so lockere Etappe anstehen würde, kam ich auch relativ katerlos aus dem Bett, obwohl ganz hinten im Kopf ein paar Katzen miauten.

Noch einmal im Kreise der Familie gefrühstückt, die Sachen eingepackt und Punkt 10 Uhr rollte die Speedmachine vom Hof und über das holprige Kopfsteinpflaster Laages. Machts gut, Ihr Lieben, das war wirklich ein schönes Wochenende bei Euch!

Die Route war klar, und das Ziel auch - in einem Ritt durch nach Hamburg!

Von Knieschmerzen blieb ich auch an diesem Tag zum Glück verschont und so gestaltete sich die Fahrt anfänglich auch recht flott. Doch die Hitze machte mir schnell zu schaffen: Flimmernd standen die hohe Plusgrade des Zwanzigerbereiches über dem heißen Asphalt, der Fahrtwind - da Rückenwind zum Glück - kühlte kaum und schon nach den ersten Kilometern im pfingtsheißen Reiseverkehr schwitzte ich wie ein Tier und schnaufte.

Tempo reduzieren war angesagt. Und viel trinken. Denn nur so kann ich meinen Körper vor dem Abkacken schützen aus den gefahrenen Kilometern Muskelmasse bauen.

Nervig war die Blechlawine, die sich den ganzen Tag über an mir vorbeizwängte. Aber stoisch, wie in Trance auch hier meine Reaktion - irgendwann sind einem die Autos dann auch egal, vor allem am Berg, wenn man selbst nur mit 8 km/h vorankommt. Leute, dann müsst Ihr halt mal warten ...!

Durchs Teletubbieland, Berg hoch Berg runter, ging es. Weiche, grüne Hügel standen vor gewohnt grandiosem Himmelsblau. Und tatsächlich fehlten in dieser Kulisse nur noch die bunten Tubbies, die ich mir aber dank nahendem Hitzschlag ganz gut einbilden konnte. Das helle Grün keimenden Getreides wechselte wenig später wieder ins blendende Gelb der unendlichen Rapsfelder.

Gleichförmig, fast in Trance trat ich in die Pedale und freute mich über jede noch so kleine Waldpassage - durch hohe Nadelgehölze zu fahren, die würzige Kühle zu atmen war willkommene Abwechslung und kreislauftechnisch auch gar nicht so unklug.

Gegen Mittag erreichte ich Sternberg und lenkte mein Rad immer weiter gen Westen - Schwerin, die Landeshauptstadt Mecklenburgs, war mein Ziel.

Wer den Schweriner See kennt der weiß, wie schön es dort ist. Und pünktlich zur Mittagshitze, die auf offenem Feld unerträglich gewesen wäre, konnte ich mich über einen nagelneuen Radweg, kühles See-Aroma und viel Wald freuen - Schwerin war nicht mehr weit. Allerdings entsponn sich wieder ein wildes Gekurve, Stop & Go-Verkehr und nervenaufreibendes Überholmassaker, denn Tausende schienen genauso bekloppt wie ich zu sein und befuhren ebnenjenen Traumradweg - im Schritttempo. Und nebeneinander.

Dann Schwerin durchfahren, dem Schloss gewunken und weiter ging es auf der B 104 Richtung Lübeck.

Irgendwann war die Hälfte geschafft und Ratzeburg nicht mehr weit. Auch der fiese Hellberg und die Terror-Radwege im Herzogtum Lauenburg konnten mich nicht mehr schrecken. Ich nahm mir Zeit, auch wenn es mal nur mit 10 km/h voran ging - ankommen war das Ziel.

Und wie im Traum - stupide tretend, ständig schaltend und ein ums andere mal Wassr trinkend - erreichte ich schließlich Ratzeburg, dann Mölln und nun sagten mir die Hinweisschilder, dass es nicht mehr weit nach Hamburg sein sollte.

Was auch stimmte - und gegen 18:30 Uhr hatte mich meine Hansestadt wieder. Allerdings, und da begann das Drama, fuhr ich in Rahlstedt über die Stadtgrenze, ein Stadtteil, dem ich noch nicht vorgestellt worden war. Und so kurvte ich, irgendwelche Hinweisschilder auf den Airport suchend, mit leeren Reserven durch fast leergefegte Straßen und - aus Pein werde ich die gefahrene Strecke nicht nachrecherchieren - fragte mich bei etwa 1.000 Rahlstedtern durch.

Mittlerweile, das muss ich zugeben, hatte ich dann auch die Schneuze voll vom Radfahren.

Wofür ich sonst maximal eine halbe bis Dreiviertelstunde brauche, nämlich das Durchqueren der Stadt, benötigte ich geschlagene 1,5 Stunden. Dabei lernte ich viele neue Tankstellen, Dönerbuden und geschlossene Einkaufspassagen kennen. Und zu guter Letzt verfuhr ich mich noch in einem Parkhaus (!) des Airports, denn ich schaffte es jahrelang nicht, den richtigen Ausgang zu finden, der mich auf die Ankunftsebene, und damit auf den Weg nach Hause bringen sollte.

Aber, Ende gut alles gut, schließlich konnte ich pünktlich um 20 Uhr meine Wohnung aufschließen, mich entkleiden und den von einer Hitzeschlacht sondergleichen gezeichneten, an Knie und Hals förmlich verbrannten Körper in der Duschkabine reinigen.

Neuer Rekord für Einzeletappen: Gefahren heute 179,45 km in Po-killenden 8 h 50 min und 20,31 km/h Durchschnitt.

Für die Tour insgesamt: 407 km gefahren

08 Mai 2008

Bekommen eigentlich alle Radfahrer Herpes?

Das ist die Frage, die ich mir seit etwa einer Woche stelle. Ich weiß nicht, wo ich ihn mir holte, aber seit der großen Coesy-Tour prangt ein mehr oder minder stark suppender Herpes auf meiner Unterlippe.

Sehr unschön - zumal die heilende Zovirax-Kruste bei jedem Snack und jedem Lacher immer wieder schmerzhaft aufreißt. Davon mal abgesehen, dass man kein Mädchen mehr angrinsen kann.

Aber all das erinnert mich an die Zeiten, in denen Jan Ullrich noch respektierter, aktiver Radfahrer war und im rosa Dress allen weg und den Sieg nach Hause fuhr - um dann in der Tagesschau sein Exklusivinterview mit ebenso verdächtigen Lippenflecken zu geben.

Bin ich also nur auf den Spuren der ganz Großen?

Gefahren:
Agentur hin - 8,5 km in 23 min und schnellen 22,3 km/h Durchschnitt
Agentur back - 8,46 km in 23 min und 21,4 km/h Durchschnitt

Morgen geht es auf eine 4-Tages-Tour in das mecklenburgische Waldgebiet südlich von Rostock.

Ich werde meinen Herpes schön in die Sonne strecken.
Und so das Monster austrocknen.

Sounds quite like a plan ...

07 Mai 2008

Fotofahrt

Irgendwie ist es ja auch langweilig - da nimmt man immer die Kamera mit, um abdrücken zu können, wenn einem unterwegs ein interessantes Motiv vor die Linse rennt und meist ist es dann doch nur man selbst, den man am ablichtet.

Dabei habe ich so viele Freundinnen, die talentierte - und teilweise gelernte - FotoGräfinnen sind und keine kommt mal zu einem schicken Speedmachine-Shooting vorbei ... Tse tse tse ...

Aber die Fotomotiv-Selbstverliebtheit mag wohl auch daher kommen, dass man bei Strecken, die man tagtäglich fährt, gar nicht mehr so auf das Drumherum achtet, weil man schon alles kennt.

Obwohl, heute auf dem Rückweg von der Agentur hätte ich ein schickes Foto machen können:

Zunächst reckt sich mir und den anderen Verkehrsteilnehmern im Vorbeifahren der durchaus nicht als unschön zu bezeichnende Hintern einer Frau aus einer gähnenden Klappe eines ihr offensichtlich viel zu großen Automobils entgegen, während sie im Kofferraum wühlt. Und während diese Mutter nun also mit dem Hintereingang ihres Fahrzeuges kämpft, steht mitten auf dem Radweg ein vom Fahrgestell getrennter Kinderwagen - nun also Kindertragetasche. Und neben eben jener sitzt ihr kleiner blonder Racker auf den schönen signalroten Fahrradwegplatten und spielt verträumt mit einer Kintertragetaschenschnalle, während alle paar Sekunden ein Radler versucht - natürlich zusammen mit mit den Falsche-Radwegseite-Benutzern, wir sind ja hier in Hamburg - den Jungen heil zu umschiffen.

Im Feierabendverkehr, der ja bekanntlich nicht nur auf der Straße, sondern auch auf dem Radweg tobt.

Hätte ich ihre Nummer, ich hätte die Supernanny angerufen.

Heute gefahren:
Agentur hin, 8,55 km in 23 min und 21,9 km/Durchschnitt
Agentur back, 8,45 km in 24 min und 20,6 km/h Durchschnitt
Airportrunde, 13,79 km in 37 min und 22 km/h Durchschnitt

Und nun ab auf die Schmolltreppe!

06 Mai 2008

Tiefflüge ...

... machen besonders Spaß, wenn man ohne Last unterwegs ist. So geschehen heute morgen, als ich mich spontan - offenen Mundes die schmucke goldene Sonne beschauend, die dem noch

jungen Tag Minute um Minute mehr Wärme einhauchte - dazu entschied, mal nicht den HVV zu nutzen, sondern mit der Speedmachine zur Arbeit zu fliegen.

Welch ein Hochgenuss, nach dem Morgenkaffee. Mit 30, 35 km/h zwischen den Autos daherzuschießen, all die Morgenpendler auf ihren Sitzrädern hinter einem zu lassen und die

letzte Feuchtigkeit der Nacht als schüchternen Reiffilm auf den Waden zu spüren. Herrlich!
Wenn ich sonst mit U-Bahn und Bus 50 Minuten brauche, um meine Agentur zu erreichen, so raste ich heute morgen im Tiefflug und glatten 23 Minuten zum Arbeitsplatz. Und zurück, immerhin im Feierabendverkehr, in nicht minder guten 25 Minuten - das sind für die insgesamt 17 km glatte 21 km/h Durchschnitt. Stadtverkehrsrekord.

Und soeben noch eine Ehrenrunde um den Airport gedreht, meine fast schon als Stammrunde zu bezeichnende Feierabendaktivität genossen. Neben mir landeten die British Airways und hoben dröhnend Air Francen ab. Und auf dem Rad, so ganz ohne Gepäck, ohne zerrende, schiebende Zuladung, bestehend aus Unterwäsche, Socken, Hosen und einer fußballmannschaftstarken Ladung Corny und Bananen geht so eine Runde auch ganz flux.

Gefahren: 13,79 km in 38 min und für Stadtverkehr sehr guten 21,75 km/h Durchschnitt.

Und jetzt bitte ... Dusche marsch!

04 Mai 2008

Mit den Großen spielen ...

... durfte ich heute. Heißa! Denn nachdem ich einen schönen Schlenker von Niendorf über Rellingen nach Wedel gemacht hatte, hing ich mich einfach mal an eine Gruppe Rennradfahrer an - es waren ja wieder Millionen von ihnen unterwegs (wobei mir auffällt, dass ich noch nie ein Liegerad in HH gesehen habe, seit dem ich meine Speedmachine habe).


Also meine Rennradgruppe. 8 Mann, voll ausgestattet, Milram- und T-Com-Trikots (ich weiß nicht, was schlimmer ist). Soweit - so gut. Mithalten war kein Problem, die Jungs waren entweder schon eine Weile unterwegs und daher ausgelaugt oder hatten einfach keinen Bock, über 30 km/h zu fahren. Mir sollte es recht sein.

Und so freute ich mich über den Windschatten und zu acht fuhren wir mit runden 27 - 32 km/h im Pulk durch die Stadt. Bis ein Berg kam. War mir auch neu, dass es in Wedel Berge gibt, aber die Radler steuerten jedenfalls zielgenau auf eine richtig nette Steigung hin. Die war zwar nicht lang, höchstens ein Kilometer, hatte es aber in sich.

Und auch hier freute ich mich, denn obwohl die Waden der Winschattenspender vor mir etwa die Dicke meines Oberkörpers hatten, kamen sie auch nicht schneller den Berg hoch, als ich. Sehr fein, ich behielt Anschluss und den Spaß an der Sache.

Dann kam noch ein Berg. Aber so schlimm war der dann auch nicht. Weiter gings in eher flachem Terrain.

Die Einfahrt nach Hamburg gestaltete sich rasant, wobei ich eine neue Lektion in Sachen Radfahrer & Autoverkehr lernte: Einfach mal drauf scheißen, ob Autos hinter einem sind, dann fährt es sich gleich viel angenehmer.

Diese Jungs hatten eh keine Rückspiegel, aber selbst wenn sie welche besessen hätten, sie hätten nicht reingeschaut. Und so passte ich mich einfach deren Fahrstil an und ich muss sagen, wenn man nicht ständig nach hinten blicken muss um zu checken, ob man jemanden aufhält, kann man viel entspannter fahren. Die Frage ist, ob das auch auf Alleinfahrt ohne Pulk funktioniert.

Schön war ja auch, als mein unmittelbarer Vordermann eine Vollbremsung hinlegen musste, weil eine Schickimickicayennefahrerin vor ihm Angst hatte, zu breit für die Straße zu sein und sich spontan dazu entschied, mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren.

Slicks bremsen nicht gut, und so hatte der Gute alle Hände voll zu tun, sein Rad zum stehen zu kriegen, die letzten Zentimeter dann freilich mit voll gezogener Vorderradbremse, sodass sich sein Hinterrad aufstellte, dass selbst erfahrenen Stuntmen die Haare zu Berge gestanden hätten.

Als die Gruppe dann abbog fuhr ich allein weiter Richtung Innenstadt, schnell bei der Mu vorbei und ihrer Ma "Hallo" gesagt, Jungfernstieg, Alster und back to Niendorf.

Ein schicker Sommertrip - diesmal mit kurzen Klamotten, die richtig Spaß machen und auch noch schnieke aussehen.

Gefahren: 54,97 km in 2 h 36 min und rennradkonkurrenzmachenden 21,12 km/h Durchschnitt

01 Mai 2008

HH-COE Tag 1 "Millionen Apfelblüten und kaum was zum Lenken"

Heftig schien sie, die Sonne. Fast so, als wolle sie mir keine Ruhe gönnen nach dieser langen arbeitsreichen Woche. "Steh auf!" - brüllten ihre Strahlen durch meine Vorhänge, "Steh auf!"

Und so stand ich. Schnell war ich dann auch startklar, denn gepackt hatte ich gestern schon. Eine wahre Armada verschiedenster Plastiktüten der großen Supermärkte in meinen schicken neuen Seitentaschen verstaut. Einen fetten Arsch machten sie der Speedmachine, dabei hatte ich doch extra wenig mitgenommen?!?

Aber nun, auf gehts, Tschüs Niendorf, bis in einer Woche, wenn ich wieder komme!

Nach 3 km musste ich umdrehen, weil ich meine Brille vergessen hatte. Nun aber, Tschüs Niendorf!

Kräftig ins Pedal getreten, die Stadt durchquert um sogleich am Elbberg einen neuen persönlichen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen: 48,72 km/h. Fast 50 und vollbeladen, das macht süchtig. Und ein bisschen ängstlich. In Neumühlen direkt und wundersamerweise ohne Wartezeit auf die Fähre nach Finkenwerder gerollt und ab gings über Vater Elbe.

Drüben von Bord geschoben, Airbus als letztes Hamburger Wahrzeichen umrundet und da lag es vor mir - das Alte Land. Kurz vor Buxtehude bin ich Richtung Tostedt abgebogen und fand mich in einem wilden Gekurve durch in voller Blüte stehende Obstplantagen wieder. Herrlich dieser Duft, und herrlich dieser Anblick, Millionen und Abermillionen von Blüten!

Was folgte, war die längste Geradeausfahrt meines Lebens. Die B 75 ab Tostedt auf einem durchgehenden Radweg führte mehr 50 km ohne eine einzige Kurve durch Scheeßel, Rotenburg bis Verden. Auf sanfte Anstiege folgten bescheidene Abfahrten, nichts Extremes, eher angenehm flott, einem ersten Tourentag angemessen.

Vorbei ging es an gruseligen Mooren, tiefen Wäldern und Hünengräbern aus grauer Vorzeit (die ich leider nicht zu finden im Stande war ... aber der ADAC-Führer sagt, sie sind da ...). Vorbei auch an malerischen niedersächsischen Dörfern, traumhaften Pferdegehöften und unzähligen Hofläden mit allerlei Biologischem.

In Verden, meinem Etappenziel, fand ich schließlich das Reitergehöft "Oelfkenhof", wo ich ein kleines, Effi-Briest-artiges Zimmer in einem scheinbar 200 Jahre alten Bauernhaus bezog. Heiß duschen war die Devise und danach gab ich mich einer riesigen Schnitzelpfanne und einem ebenso riesigen Bauernsalat mit zwei großen Pils hin.

Ein toller Start in den Urlaub, perfekt in allen Belangen.

Gefahren: 107 km in 5 h 49 min und 18,35 km/h Durchschnitt


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HH-COE Tag 2 "Suicidal Tendencies und der schönste Radweg bisher"

Eine Nacht ohne Schlaf war das. Satt zwar und durchaus zufrieden, aber ruhelos irgendwie. Kochend heiß war das Blut durch meine Beine pulsiert, vor allem die Waden hatten keine Ruhe gegeben. Immer wieder musste ich mich von einer auf die andere Seite werfen, mich drehen und wenden, um eine erträgliche Bettposition zu finden.

Aber ich war nicht der einzige ohne Schlaf, denn draußen wieherte ein ums andere Mal ein einsames Pferd, sich scheinbar mit mir sympathisierend. Vielleicht war der Rappen zu viel geritten worden?

Aber dann kam der Morgen und mit ihm ein liebevoll bereitetes, stärkendes Frühstück. Frohen Mutes verabschiedete ich mich von der lieben Pensionsmutter und radelte los. Verden ließ ich hinter mir, überquerte die Aller und da wurden sie auch schon wahr, meine Befürchtungen: Knieschmerzen!

Aber da half nun nix, da mussten sie durch, die beiden. Der "Deutschen Fachwerkstraße" folgend - die sich freilich ab und zu auch mal als "Deutsche Märchenstraße", "Deutsche Mühlenstraße" und "Deutsche Spargelstraße" verkleidete - stemmte ich mich gegen meinen treuen Freund, den Gegenwind, und schraubte mich Kilometer um Kilometer nach Süden.

Die Radwege waren gewohnt gut und trotz des Windes ging es mit durchaus flotten 18,5 km/h im Schnitt durch sonnengelbe Rapsfelder und malerische Fachwerkdörfer, die mühelos jeden Filmkulissenbauer hätten erbleichen lassen.

Die Sonne knallte unerbittlich danieder und obwohl ich mich gut versorgt hatte, gingen die Wasservorräte bedrohlich schnell zuneige. Und zu allem Überfluss tauchte es nun auf, am Horizont - das drohende dunkle Band vieler Hügel. Berge, um nicht zu sagen. Das Wesergebirge lag vor mir.

Zunächst aber schmeichelte sich die Landschaft ein. Mit Wald. Endlich Wald. Nadelwald mit köstlicher Kühle. Endlich im Schatten zu fahren erfüllte mich mit Freude, so sehr, dass ich die nahenden Anstiege auszuklammern vermochte. Und dann kamen sie - Steigungen, Abfahrten. Und wieder Steigungen. Und wieder Abfahrten.

Den Radweg gab es mittlerweile auch nicht mehr, stattdessen fuhr ich auf einem - recht breiten - Seitenstreifen einer stark befahrenen Bundesstraße. Meine Feinstaubbelastungsbilanz hatte an diesem Tag bestimmt einen neuen Höchststand zu verzeichnen, aber das sollte nicht der einzige Rekord gewesen sein: Immerhin purzelte auch der 1.000te Kilometer auf der Speedmachine irgendwo bei Estorf an der Weser.

Und die Weser war es, der ich beständig folgte. Und endlich, nach 60 Kilometern, schienen es sich auch meine Knie überlegt zu haben und gaben ihr Gemecker auf. Pötzlich war schmerzfreies Fahren angesagt.

In einigen Dörfern trieben lokale Gebräuche zuweilen witzige Blüten - da hangen irgendwann an einem Zaun hunterte dreckige Socken herum. Mich freute es. In Hamburg muss man vor dem Rathaus fegen, wenn man unverheiratet 30 wird. An der Deutschen Fachwerkstraße bekommt man dafür die dreckigen alten Socken des gesamten Dorfes. Auch schön ...

Einige schweißtreibende Anstiege später erreichte ich dann Minden - und kam dabei fast ums Leben.

Ich weiß nicht, wo ich das Schild verpasste, auf dem wahrscheinlich unmissverständlich klar gemacht worden war, dass der nun folgende Straßenabschnitt als Motorstraße vor allem für Radfahrer absolut verboten war, aber das spielte dann auch keine Rolle mehr. Denn unversehens fand ich mich in einem von einem dutzend Meter hohen Betonwänden umgebenen Schlauch aus Asphalt wieder. Der komfortable Seitenstreifen war plötzlich weg, ich musste auf die Fahrbahn, die nun wiederum vom Gegenverkehr abgetrennt war.

Autobahn!

Umkehren? Wie??? Daran war nun nicht mehr zu denken, denn selbst das Schieben entgegengesetzt der Fahrtrichtung wäre lebensgefährlich gewesen. Geisterfußgänger. Nein, so wollte ich nicht enden. Also weiterfahren, irgendwann wird schon eine Ausfahrt kommen, dachte ich mir.

Aber was kam war, dass es noch schlimmer kam. Denn der Betonschlauch wurde ein paar hundert Meter vor mir zu einem Tunnel. Da die Fahrt abschüssig war, nahm ich immer mehr Geschwindigkeit auf. Langsam begannen auch die Autofahrer zu merken, dass hier etwas nicht stimmte, und hupten, wenn sie an mir vorbeidonnerten.

Gerade so konnte ich in einer Nothaltebucht eben selbiges tun und meinen Dynamo anschalten, um mich mit Gottvertrauen in meine funzelige Fahrradlampe in den Autobahntunnel von Minden zu begeben. Im Nachmittagsverkehr.

Und schnell, da Gegenwind fehlte, raste ich durch die Dunkelheit. Rechts neben mir, nur ein paar Zentimeter von meinem Ellenbogen entfernt, schoss schroff der Beton der Tunnelwand vorbei, links, noch beängstigender und zeitweilig auch noch näher, die sich ganz und gar nicht an die 100 km/h haltenden Autos. Wieder und wieder hupten sie, so, als hätte ich selbst nicht bemerkt, in was für eine Scheiße ich mich da hinein manövriert hatte.

Malmend drohten die hinteren Achsen von vorbeipolternden LKWs, wenn mich der Sog erfasste und mich in ihre Richtung zog, dort, wo schnell riesenhaft rotierende Reifen wie ein Mahlwerk krachten.

Mein Herz pochte, als ich verzweifelt versuchte, so weit wie möglich rechts zu bleiben, ohne die Wand zu berühren, dabei noch zu steuern, zu treten und gleichzeitig immer im Rückspiegel den Verkehr zu beobachten.

Endlos schien dieser Alptraumtrip. Endlos. Vielleicht 10 Minuten.

Und dann sah ich es, das buchstäbliche Licht am Ende des Tunnels. Und nahm sogleich die Abfahrt, hinter der sich auch praktisch ein Parkplatz befand, auf dem ich meine Herzfrequenz etwas senken und ein Stoßgebet gen Himmel schicken konnte.

2 Minuten später schossen Polizeisirenen aus dem Tunnel. Ob sie mir galten, werde ich (zum Glück) nie erfahren.

Und da war ich nun. Zwischen zwei riesigen Bergen. Und unten, zwischen ihnen, die Weser. Porta Westfalica, das Tor, ich hatte es unterquert. Grandios dieser Anblick. Beruhigend keineswegs nach dieser Schussfahrt, aber überwältigend.

Nun aber schnell. Die fantastischen Radwege entlang der Weser nutzend, genoss ich eine schnelle Fahrt. Fantastische Panoramen, alle Kilometer änderte sich das Bild. Und bald schon war der Mittelgebirgscharakter von Porta Westfalica gänzlich verschwunden und das gewohnte Bild einer Flusslandschaft an seine Stelle getreten.

In Bad Oyenhausen hatte ich meine 100 km Tageslimit überschritten. Und da merkte ich, dass ich mich mit meiner Planung für diese Etappe vollkommen verkalkuliert hatte. Denn bis Lengerich und in mein Hotel sollten es noch fast 50 km sein!

Aber weiter. Immer weiter! Bünde erreicht, da geht noch was, 115 km heute. Es rollte, und wie. Denn endlich auch mit Rückenwind. Doch dann meldeten sich stumpf schmerzend wieder die Knie zu Wort. Verlangten nach einer Raststatt und heißem Wasser. Nur - es fand sich kein Hotel! Weit und breit keine Pension, kein Fremdenzimmer.

Weiter an der Werre. Mittlerweile war es später Nachmittag und ich hatte Mühe, die Hunderte von Radfahrern entlang des wunderschönen Radwanderweges zu überholen - ein wahrer Radlerstau war das schon.

Bei Bruchmühlen und 125 km war der Tiefpunkt erreicht. Und dann die Rettung in Melle. Der "Bayerische Hof" und zwei sehr freundliche Rezeptionistinnen gaben mir den Schlüssel zu dem geräumigsten Hotelzimmer dieser Tour. Wahrhaft riesige Ausmaße fand ich vor, nachdem ich die vollbeladene Speedmachine wieder die Treppe hochgewuchtet hatte.

Ein Berg Spargel, literweise Franzbranntwein und zwei beruhigende Gläser Alkohol der Lohn dieser in allen Belangen abenteuerlichen Etappe.

Gefahren: 130,28 km in 7 h 10 min und 18,15 km/h Durchschnitt



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HH-COE Tag 3 "Höllenschlucht und Regenschlacht"

Er begann, wie alle anderen Tage auch schon begonnen hatten - Sonne satt, harmlose Schäfchen grasten den Himmel entlang und ein halbstrammes Lüftchen wehte.

Aber so schön mein Zimmer auch gewesen war, das Frühstück war es leider nicht. Mies war es, um genau zu sein. Der Hunger dann gänzlich vergangen, als ich bemerkte, dass sich unbehelligt ein Obdachloser am reich gedeckten Buffet bedient hatte. Was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn jemand vom Hotel dem armen Mann einfach ein paar Brötchen geschenkt hätte, so aber taumelte der Landstreicher betrunken mit einer brennenden Zigarette von einem Korb zum anderen und fasste wer weiß nicht was alles mit seinen wer weiß wie lange nicht gewaschenen Fingern an.

Toll war ja auch folgendes Gespräch, dass ich mit dem scheinbar vollkommen überforderten Rezeptionisten/Frühstücksbuffetmanager nach dem Bezahlen meines Zimmers hatte:
Ich zu ihm "Sagen Sie, wie komme ich jetzt am besten nach Bad Laer?"
Rezeptionist, wie ein Zauberer: "Sie haben es von Hamburg bis hier, nach Melle geschafft ... Sie werden einen Weg finden ..." sprachs und sah mich freundlich abwesend lächelnd an.
Äh, Danke ...

Komisch, also schnell los. Und da ich nun mit Generalkurs West fuhr, hatte ich für heute Freund Wind im Nacken - also die helfende Hand des Wetters, die den einen oder anderen km/h zusätzlich brachte.

Richtung Bad Laer ging es, immer die Bundesstraße entlang. Und da kam sie dann auch schon, die erste richtige Steigung meines Lebens. Eine Serpentine durch den Wald. Fast eine Stunde lang krampfte ich mich im kleinsten Gang nach oben. Schweißtreibend, gegen Neun, so ohne richtiges Frühstück im Magen. Keine schöne Sache.

Sie nannte sich die "Noller Schlucht", wie ich später beim Kartenstudium erfuhr. Und ich erinnere, wie sie rechts von mir auch ziemlich beeindruckend abfiel. Tritt um Tritt schraubte ich mich mit 4 km/h durch dieses grandiose Waldpanorama. Ein paar frühe Autofahrer überholten mich, schalteten mitleidig einen Gang herunter, so also wollten sie ja nicht zu schnell vor mir davonbrausen. Pochende Muskeln fraßen meine Reserven. Jetzt schon, grad mal eine Stunde unterwegs. Doch wie alles hatte auch diese Tortur ein Ende. Ich sah den Scheitelpunkt, zum greifen nahe. Nur nicht überdrehen, langsam treten, rund treten! Dann war es geschafft. Ich hatte den Noller Berg erklommen. Stolz wie Oskar stürzte ich mich in die Schlucht - als Belohnung wollte ich nun aber bitte auch eine ebenso atemberaubende Abfahrt genießen.

Und die bekam ich! Kurvig ritt ich mit hoher Geschwindigkeit nach unten, herrlich, langgezogen. Nicht treten müssen und doch so schnell zu sein. Ein Genuss, ein Rausch, dieses Durchschütteln. Das Klatschen des Windes in den Ohren, der Freilauf, der hinter mir sein surrendes Lied singt und tannzapfenbeladene Ausleger großer grüner Nadelgehölze, die fauchend vorbeihuschen. Genial! Genau das Richtige, um nun auch restlos wach zu werden.

Bad Laer war nun nicht mehr weit und auch die langsam aufziehende Wolkendecke vermochte meine Hochstimmung nicht zu vermiesen. Immerhin: Heute sollte ich Mel und Coesfeld erreichen.

Weiter ging es durch den schönen Teutoburger Wald. Anstiege folgten, genauso wie schöne Abfahrten. Bad Laer lag nun lange schon hinter mir und irgendwann nach 50 km erreichte ich Münster. Nun sollte es nur noch ein Katzensprung nach Coesy sein!

Und kaum hatte ich das Ortseingangsschild von Münster passiert, öffnete er seine Pforten, der Himmel, und ließ alles raus, was er hatte. Es goss wie aus Eimern und ich fand gerade noch Schutz unter der Markise eines Schönheitssalons. Frierend - denn ohne Bewegung schnell auskühlend - musste ich eine halbe Stunde warten, ehe das Pladdern nachließ.

Was sollte das Herumstehen? Ich musste weiter! Also fasste ich mir ein Herz und fuhr trotz anhaltendem Nieselwetters los.

Münster an sich soll ja die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands sein, aber mal ehrlich: Wer mag schon vierhundert Fahrräder ... an ein und der selben Kreuzung? Ich fand mich gar nicht zurecht, und auch wenn das Radlerchaos dort angeblich seine Ordnung hatte, ich habe es lieber, in der Mindheit zu sein und mich nur nach Autos richten zu müssen. Das war eindeutig zu viel des Guten!

Nun regnete es wieder stärker. Mittlerweile war ich auch von oben bis unten durchnässt. Was nun? Ich musste bis spätestens 14:30 Uhr in Coesy sein, sonst würde ich erst Stunden später Mel antreffen, die einen Termin hatte. Also Augen zu und durch!

Und so nahm ich in strömendem Regen die letzten 40 km in Angriff.

Die Kälte auf diesem Abschnitt war kaum zu ertragen, vor allem die dem Fahrtwind am meisten ausgesetzten Knie und Hände froren bald. Immer mehr fühlte ich die Nässe vor allem meinen Bauch hochkriechen.

Der Regen formte vor mir eine graue Wand, die Sicht nach vorn war nur auf wenige hundert Meter beschränkt. Die Tropfen auf meiner Brille blieben wo sie waren, Blindflug, so ohne Scheibenwischer. Die Gischt der mit unverminderter Geschwindigkeit neben mir (kein Radweg hier!) vorbeirasenden Autos und LKWs tat ihr Übriges.

Regenschlacht. Nicht mehr und nicht weniger.

Aber auch diese hatte ihr Ende. Ein paar richtig passend auftauchende Berge und entsprechend beängstigende Abfahrten später erreichte ich endlich Coesfeld und rollte 10 Minuten vor Halb auf den Hof.

Eine heiße Dusche. Viel Franzbranntwein. Und ein warmes Bett, wo ich Mels Termin abwarten konnte.

Ich hatte also nach 3 Tagen und 330 km Coesfeld, mein Ziel erreicht.

Gefahren: 93,2 km in elendig langen 5 h und trotz Höllenschlucht ganz schön fixen 18,15 km/h Durchschnitt.

Ach und Schumi, Du bist nicht länger Regenkönig!




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HH-COE Tag 4 "Ein Ruhetag und viele Schnufus bei Mel"

Ach, wie war das wieder schön, Mel. Idylle mit Mondrian, dem braunen Rappen auf tiefgrüner Wiese, mit der Berkel, dem süßen kleinen Fluss, der sich glitzernd hinter Eurem Grund und Boden entlangschlängelt und mit meinem goldhaarigen Sahnehäubchen. Was will man mehr?

Abschalten geht kaum, da reichen keine 24 Stunden, aber genießen geht. Und das habe ich.

Dazu gab es endlich "Being John Malkovich", wieder ein Must-see-Film weniger auf der Liste, frisches Vollkornbrot mit leckerem Serrano und Schnufus in allen Formen und Größen. Besonders die Rehe haben es mir angetan.

Schön spaziert an diesem sonnigen Nachmittag, als der Himmel plötzlich aufgerissen war und endlich den fiesen Regen vom Vortag vertrieben hatte.

Vielleicht eine neue Mode: Halbgebräunte Finger. Das kommt vom Fahren mit Radlerhandschuhen, da bekommt halt nur die Hälfte der Griffel den Saint Tropez-Look.

Gefahren: Vielleicht 1 km auf "Fat Frank" zur DVD-Thek




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HH-COE Tag 5 "Kreisverkehrschaos und ganz neue Seiten meines Körpers"

Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Noch nie hatte ich so lange auf einem Fahrrad gesessen - 8 einhalb Stunden. Acht Stunden! Ein regulärer Arbeitstag. Einer, wie er im Buche steht.

Halb Sieben war es, als der Wecker mich aus Mels warmem Bett klingelte. Und so schwer es mir auch fiel, mich von ihrem noch wärmeren, eben jene schönen Träume spendierenden Rücken zu trennen - sie rief mich, die Straße.

Pünktlich 8 Uhr ging es los. Vom Hof gerollt. Ein letztes Winken im Rückspiegel, Coesfeld, das war es mit uns beiden für dieses Mal. Ciao.

Noch war das Wetter schön. Doch rechts von mir zog es bedrohlich über den jungfräulich blauen Himmel heran. Ein dunkles Wolkenband schob sich von Osten über den Zenit. Und genau vor mir, scheinbar in greifbarer Nähe, leuchtete es himmlisch Blau. Doch dorthin, wo ich keine Wolke den Himmel trüben sah, würde ich noch mindestens 30 km fahren müssen. Mit dem Wind im Rücken, der die Wolken vorantrieb, kurbelte ich so schnell ich konnte durch diesen Morgen, um dem schlechten Wetter davonzufahren.

Mein Hotel hatten wir Tags zuvor gebucht. In knapp 100 km lag es vor mir. Die Aufgabe stand. Also los!

Irgendwie hatte der Tag bei Mel Wunder gewirkt, denn nichts schmerzte. Selbst die sonst bekannten anfänglichen Schwierigkeiten auf den ersten Kilometern ... sie waren verschwunden. Runder Tritt und hohe Geschwindigkeit von Anfang an. Hinzu kam der leicht schiebende Seitenwind.

Um 12 dann die Enttäuschung: Die 100 km zum Hotel entpuppten sich als nicht mal 85. So konnte der Tag doch nicht enden?! Also den Kopf geschüttelt, die Herberge links liegen gelassen und reingetreten - auf in die Ankumer Berge, die als grüner Fleck auf der Landkarte ohne viel Ortschaften vor mir lagen.

Längst schon hatte ich den Wettlauf mit den Wolken gewonnen und fuhr in perfektem Sonnenschein. Schnell lag Fürstenau hinter mir. Dann fuhr ich ein, in den Naturpark. Und stieg die ersten Höhenmeter an. Hier zu radeln erinnerte mich an die vielen 3sat-Dokus über das sommerliche Sibirien: Schlechte Straßen durch dichte, grüne Kiefernwälder. Wellig, ab und zu ein Schlagloch, aber wildromantisch und einzigartig duftend. Der Naturpark "Terra Vita" glänzte über zwei Dutzend Kilometer mit Autofreiheit, hungrig machendem Harzgeruch und allerlei Gezwitscher hocherfreuter Waldbewohner.

So machten dann auch die langgezogenen Anstiege Spaß, die Abfahrten umso mehr.

Mittlerweile zählte ich den 100ten Kilometer und ich entscheid mich, mich langsam nach einer Bleibe umzusehen, da mein Tagesziel erreicht schien. Doch keine Ortschaft wartete mit einer Bleibe auf. Die nächste Stadt war Cloppenburg. Also hin. Was solls.

Ich erreichte die bekleidungstechnisch klingende Kreisstadt gegen 15 Uhr und kurvte auf der scheinbar von einem Vollidioten beschilderten "Hotelroute" durch die Innenstadt auf der Suche nach einem selbigen. Was ich dann auch tatsächlich fand. Der "Schlömer" mitten in der Fußgängerzone.

"Ah, der erste Radler dieses Jahr!" freute sich überschwänglich die Rezeptionistin.
Ich mich mit ihr. Den Anmeldeschein ausgefüllt. Mich auf eine Dusche freuend - immerhin war ich schon 115 km gefahren, machte ich mich daran, wieder die Speedmachine aufs Zimmer zu wuchten.

"Das Rad mit aufs Zimmer?" fragte die Dame, gar nicht mehr überschwänglich.
"Klar. Ist das ein Problem?" meinte ich.

Ja, war es. Von abgekratzten Tapeten, ölverschmierten Teppichbelägen und anderen Hotelleriehorrorszenarien berichtete sie mir und bot mir immer wieder irgend einen Schuppen für mein Rad an. Ich fuhr weiter.

So heiß kann die Dusche bei Euch nicht sein, dass ich mein gutes Rad in einem schnöden Schuppen schlummern lasse!

Also ließ ich dieses radlerfreundliche Hotel hinter mir und kurbelte in den Nachmittag hinein. Mittlerweile mit gar nicht mehr so rundem Tritt. Und bei jedem Kilometer schoss es mir schmerzhaft durch meine Vorstellung, wie schön es doch wäre, noch einen Tag länger in Coesfeld geblieben zu sein und jetzt beim Grillen an einem schönen saftigen Nacken oder -steak knabbern zu können.

Da ich die Nase von Cloppenburg voll hatte, versuchte ich mein Glück außerhalb der Stadt. Auf meiner Route gen Norden selbstverständlich. Die Karte gab ein neues Ziel an: Wildeshausen. Etwa 30 km entfernt. Noch ein ganz schönes Stück, aber was sollte ich tun? Langsam sollte ich etwas zum Bleiben finden, denn mittlerweile verließen mich meine Kräfte, meine Knie auch (Neu: Heute das Linke, tut es sonst nie ...) und eine graue Wolkendecke hatte sich über mir zusammengezogen.

Schön sind ja auch folgende Sachen: Radwege, die links von der Straße verlaufen.

Erstmal kein Problem, denn zwischen Auto und Rad ist ein Meter Rasen und Pfeiler alle 50 Meter. Aber kommt man dann an einen Kreisverkehr, wirds spannend. Denn nun wird der Radfahrer zwangsweise zum Geisterfahrer.

Und das geht dann zum Beispiel so: Ein Truck windet sich behäbig um den Kreisel - mir entgegen - und blockiert die Fahrbahn im Kreisel selbst. Perfekt, denn so kann kein anderes Fahrzeug in oder aus dem Kreis ein- oder abfahren. Ich wähne mich in Sicherheit und fahre über die Einmündungen, die der LKW gerade blockiert, von links kommt nichts, im Kreisel selbst ist nur der Brummi.

Ich bin auf der Mitte beider Fahrbahnen, als plötzlich hinter dem LKW mit hoher Geschwindigkeit ein Golf herangeschossen kommt. Und abbiegt. In meine Straße, die ich gerade ebenfalls überqueren will.

Der Rest ist Zeitlupe: Ich versuche eine kontrollierte Vollbremsung hinzulegen, was in Kurvenlage mit 22 km/h nicht sehr einfach ist, der Golffahrer sieht etwas Tiefes, Orangefarbiges heranfliegen, erschrickt und bremst dann erst. Viel zu spät, das wusste ich sofort.

Ich sehe ihn heranfliegen. Höre seine Reifen quietschen. Fühle mein Hinterrad ausbrechen. Merke, wie die Trägheit der sich in Bewegung befindlichen schweren Gepäcktaschen den Bremsweg verlängert, wie sie förmlich von hinten schieben. Ich kippe. Drehe meinen Kopf nach rechts und sehe den Golf in die Eisen gehen.

10 cm (!) vor seinem Kotflügel stehen wir beide. Und ich kippe um.

Der Fahrer springt raus. Hilft mir hoch, entschuldigt sich, sichtlich geschockt. Ich winke ab - schließlich hatte er Vorfahrt. Und ich als Radfahrer hatte wieder mal die Arschkarte.

Also, liebe Straßenplaner - entweder, Ihr baut den Radweg um den gesamten Kreisel mit entsprechender Beschilderung, sodass man wie alle anderen auch im Rechtsverkehr um den Kreisel fahrt, oder Ihr investiert in Ampeln. Denn so, wie es jetzt ist, ist es nicht nur saublöd gelöst, sondern lebensgefährlich!

Na, Ende gut, alles gut - Ein schickes Zimmer in einem sauteuren Hotel bezogen, eine Riesenportion handgemachte Spätzle in Käsebad gegessen und mich einer langen Wadenmassage hingegeben.

Was für eine Trittleistung - denn wie gesagt, Rekorde sind zum brechen da ...

... Gefahren: 157,97 km in sagenhaften 8 h 22 min und flotten 18,85 km/h Durchschnitt.

Soll ich es morgen in einem Rutsch nach Hamburg schaffen?




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