11 Oktober 2008

Autumn Mystery Tour

Große Pläne hatte ich, die ganze Woche über schon. Denn eines war klar - dieses Wochenende würde vielleicht das letzte schöne sonnige dieses Jahres werden. Der Plan - eine 165 km-Tour in einen Ort namens Binde.
In ein Landhotel mit Spa und Wellnes.
Abstrampeln, Ausspannen und Sichverwöhnenlassen.
Vielleicht den Olli mit Treffen - das Speedmachine-Meeting sozusagen.

Olli ist krank.
Ich fahre trotzdem los.

Früh war es, aber nicht zu früh. Dennoch, mich plagen beim Aufstehen und auf den ersten Kilometern heftige Motivationsmängel. "Bleib doch liegen, meine Güte, die ganze Woche schuftest Du und nun, an Deinem freien Tag, strampelst Du Dich wie ein Irrer ab" - so surrt mein Schweinehund allenthalben in mein Ohr. Und das Bett war ja auch so verdammt kuschelig und warm ...

Ich kämpfe mich durch die Stadt. Und auch während ich mich auf der Speedmachine durch die frische Morgenluft schneide, kann ich mich kaum motivieren - so schlimm war es noch nie!

Die Stadt allerdings liegt in diesem komischen Licht, das alles in eine eigentümliche, fast unheimliche Stimmung taucht.

Fast hat man das Gefühl, man fahre am Nachmittag. Kühl und feucht schlägt es sich auf meinen engen Klamotten nieder, ich pumpe hart, aber komme gut voran. Das Übliche, ich verfahre mich, orientiere mich aber grob an der Sonne und den super ausgeschilderten Straßen und finde schließlich wieder meine Richtung.

Als ich endlich in Bergedorf bin stehen schon 24 km auf dem Tacho - beschämend und niederschmetternd. Bin ich so bescheuert durch die Stadt gekurvt, dass ich ein Viertelhundert Kilometer runter habe? Ich bin noch demotivierter.

Endlich werde ich entschädigt, als ich entlang eines Elbarmes neben der Autobahn fahren kann, ein dichter Waldstreifen schirmt mich vom Straßenlärm der Erholungssuchenden ab und endlich kann ich durchatmen.
Alles wirkt noch eigentümlicher, Licht fällt durch grün-gelb-rotes Laub, Strahlen treffen mich, streifen mich, mal wärmen sie, mal blenden Sie.

Der Herbst zaubert, gibt alles, was er hat. Und ich fange an, es zu genießen, richtig zu genießen, durchzuatmen und finde endlich den runden Tritt. Und doch, im Hinterstübchen säuselt diese verführerische Stimme, dass es keine Schande wäre, jetzt umzukehren. Die Stadt ist nicht weit, nur 25 km zurück und ich könne wieder in mein großes weiches Bett. Das bestimmt noch warm ist ...

Ich erreiche Geesthacht und finde mich plötzlich neben einem Corso von ca. 50 schweren Motorrädern wieder. Laut knattern die chromblitzenden Maschinen mit den schweren Jungs neben mir her. Ich habe Mühe, mitzuhalten, denn ich muss auf einem der tollen Pflastersteinradwege fahren. Beherzt gebe ich Gas und springe über die Bordsteinkante auf die Fahrbahn, mitten in die verdutzt knatternden Rocker hinein. Der Aufprall ist hart, unter mir schlägt das Federbei hart am Anschlag an, meine Wirbelsäule im BodyLink-Sitz ist gepolstert, schüttelt aber nur mit dem Kopf.

Hier im Stadtverkehr habe ich keine Mühe mit den jeweils in Zweierreihen nebeneinander her cruisenden Rockern mitzuhalten. Zwar überholen mich einige Motorräder, aber an der nächsten Ampel schlängle ich mich zur über und über mit Hamburg-Flaggen bestückten Führungsmaschine durch. So geht das durch ganz Geesthacht.

Irgendwann verliere ich sie, kann nicht mehr ihren Speed gehen, aber ich freue mich, winke dem Schlussmann und frage mich, wie das wohl für die Passanten ausgesehen haben muss - diesen tretenden Fremdkörper, sonderbar angezogen auf seiner leuchtenden Liegemaschine inmitten der schwarzen, schweren Protzkarren zu sehen.
Interessant. Denke ich.

Von Geesthacht aus führt ein fantastischer Radweg weiter nach Lauenburg. Ich hatte schon einmal das Vergnügen hier zu fahren und freue mich, als ich die lang gezogenen Bergabstücke mit lockeren 45 km/h hinabgleite und auf den ebenen Stücken leicht meine 30 bis 34 km/h Durchschnitt halten kann.

Und wieder fasziniert mich das Farbenspiel und die Pracht dieses sonnigen Tages. Befeuert durch die Strahlen einer Sonne, die durch keine einzige Wolke aufgehalten wird, leuchten die Bäume geradezu, ganze Felder gelben Laubes auf dem Radweg erzeugen ein mystisches Rascheln, ich blinzele in den grünen Nadelwald, atme harzigen, feuchten Duft und weiß, dass ich mir hier etwas ganz Gutes tue.

Der Herbst hat seine Palette bestimmt noch nicht erschöpft, denke ich mir, aber schon jetzt scheinen Teile des Horizonts in Flammen zu stehen, wenn weitab Kastanienalleen in Karminrot und Zitronengelb flackern, in diesem märchenhaften Nachmittagslicht. Ein ganzer Tag Dämmerung, ein ganzer Tag wie im Märchenland. Es ist herrlich.

Und doch, diese Stimme, diese Unlust, ganz nach hinten gepackt, aber doch, ich fühle sie, reiße mich aber zusammen. Ein Hallenbad und ein kompletter Spa mit Sauna wird mich heute verwöhnen. Da lohnt es sich zu leiden. Rede ich mir ein, verdamme die Stimme zum Schweigen und trete rein.

Irgendwann erreiche ich Lauenburg. Ein heftiger Abstieg auf einem schlecht in Schuss gehaltenen Radweg, daran kann ich mich noch erinnern. Ich überhole ein paar Radtouristen, die in die Sommerfrische radeln, und biege nach rechts ab - ich muss über die Elbe.

Hier spüre ich ihn dann zum ersten Mal, den Wind, der heute sein Unwesen treibt. Zeitweise führt die Strecke genau entgegen seiner Windrichtung. Was bisher nurmehr als ruckeln an meinem Rad und gelegentliches Pusten von der Seite wahrzunehmen war, entpuppt sich jetzt als handfester Gegenwind. Er bremst mich auf 20, an Steigungen auf ekelhafte 17 km/h herunter.
Ich freue mich, als es endlich wieder auf einen Süd-Ost-Kurs geht und ich nach langem Treten in Bleckede ankomme.

Ich lenke die Speedmachine durch den Ort, habe knappe 90 km auf dem Tacho und - zum ersten Mal seit dem ich das Rad habe, absolut keine Lust mehr. Nicht, dass es keinen Spaß machen würde zu fahren, aber ich fühle mich nicht fit, habe Hunger (was man leicht beheben könnte) und irgendwie hat es diese dumme Stimme da hinten im Kopf geschafft, mich zu schaffen.

Und trotzdem, ich bleibe on track und lenke das Rad eine recht steile Steigung nach Barskop hinauf, nachdem mir eine freundliche Dame beim Laubharken vom Elberadweg bei Hitzacker, meinem nächsten Etappenziel, wegen der "Wolfsschlucht", einer irre steilen, mörderischen Steigung, abgeraten hatte. Obwohl mich kurzzeitig der Ehrgeiz gepackt hatte und ich unbedingt wissen wollte, warum nach ihrer Aussage die Radtouristen auf dem Weg die Elbe nach Dresden entlang dieses steilste aller Stücke vermeiden, wähle ich den einfachereren Weg. Und der ist schon schwer genug.
Ich schnaufe mich den Berg hinauf - um dahinter weitere zu finden.
Wer glaubt, dass die Altmark Flachland wäre, der ist auf dem Holzweg.

Oben angekommen treibe ich mich voran durch dichte Wälder, tauche ein in dunkle Schatten, flirrende Sonnenstrahlen, manche gebündelt, manche so dünn das ich glaube, ich hätte die Bestandteile der Sonne gesehen. Sie führen ihren faszinierenden Tanz auf dem grauen Asphalt der Straße und dem schweißnassen Stoff meines Overalls auf.

Dann wieder komme ich ins freie Land, goldene Ären der Felder biegen sich unter dem heftigen Wind und nun merke ich endlich, was mich die ganze Zeit so komisch sein lässt: Es ist die Heimfahrt morgen, die mir Sorgen macht.

160, 170 km bei diesem Wind? Und morgen, so habe ich es im Internetwetterdienst und der Tagesschau gesehen, soll der Wind noch stärker werden.
Was jetzt nur in unvorteilhaften Kurven und einzelnen Passagen passiert, wird morgen Tagesordnung sein - heftigster Gegenwind.
160, 170 km.
Wie gesagt.

Da durchzuckt es mich. Die Stimme gewinnt. Ich hasse es, aber sie hat Recht. Das ist kein Pool und kein Spa der Welt wert - 160 km bei vollem Gegenwind. Ich beschließe, den Tag wenigstens mit einer großen Runde zu beenden. Dann lenke ich die Speedmachine Richtung Lüneburg. Mitten in den Wind. Und bekomme eine Ahnung von dem, was mir morgen geblüht hätte.

Ich komme auf der stark befahrenen, eher wie eine Autobahn anmutenden Bundesstraße 216 kaum voran. Ein mit rund 380 km/h in entgegen gesetzter Richtung an mir vorbeisägender Rennmotorradfahrer reckt beim Vorbeischießen grüßend den Daumen in die Luft, das motiviert. Allerdings nur kurz. 25 km bis Lüneburg, sagt das Schild.

Ich quäle mich. Der Wind zerrt am Rad, ich komme nur langsam voran. Dazu lange Anstiege, deren Meistern nicht einmal mit rasanten Abfahrten belohnen, denn ich muss stetig treten, so heftig bremst der Gegenwind. Ich überlege noch, ob ich die ganze Strecke bis hoch nach Hamburg mit dem Rad fahren soll, sehe dann aber wenig Sinn darin, mich vor 160 km fiesestem Gegenwind zu schützen, aber 60 km Gegenwind zu ertragen.
Ich muss sogar eine Pause einlegen - lange schon hat mich so ein Wind nicht gequält. Erinnerungen an die Leidensetappen in Portugal werden wach ...

Buchstäblich auf dem letzten Loch pfeifend erreiche ich Lüneburg, kämpfe eine Weile mit dem scheinbar von Genie-Interfacedesignern programmierten Deutsche-Bahn-Automaten, als mich ein paar Jugendliche einladen, auf der Gruppenkarte mitzufahren. So komme ich in netter Begleitung in 40 Minuten Fahrtzeit im Metronom nach Hamburg, bringe die letzten 10 km nach Hause hinter mich und lande mit schmerzenden Waden im Sofa.

Schade, kein Spa.
Schade, kein Speedmachine-Meeting.

Aber besser für mein arg gebeuteltes Konto ist es allemal, und Olli, mein Freund, spätestens im nächsten Frühjahr treffen wir uns im schönen Binde und holen das nach. Und dann, Ihr Mädchen, fahre ich durch die Wolfsschlucht und schaue mir mal an, vor was Generationen von Radwandererern Angst haben.

Trotz allem eine wunderbare, bezaubernde Herbstrunde durch mystische Lichtspiele, farbenfrohe Blätterpracht und einmal mehr mit der Erkenntnis behaftet, dass unser schönes Heimatland so gesegnet ist mit unzähligen, unbeschreiblich schönen Stellen, das es noch tausende Blogs füllen könnte, was es jenseits unpersönlicher Autobahnen zu entdecken gibt.

Gefahren: 140,45 km in 5 h 45 min und für diesen Wind erstaunlichen 24,4 km/h Schnitt


Die Highlights in 2008: Portugal per Liegerad und Mit der Speedmachine in Schweden

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ohje, das liest sich hart - und ich war schon drauf und dran per SMS zu fragen, wie denn der Pool ist! Den ganzen vormittag grämte mich die Frage, ob ich nicht doch hätte losfahren sollen - mein Fieber war ja weg. Der Verstand sagte mir, daß das vermutlich trotzdem keine gute Idee gewesen wäre. Als ich nachmittags mit einem Freund Pizza essen war und danach noch ein wenig draußen Herbstfarben genießen war mir klar, daß ich an diesem Tag vermutlich keine 170km geschafft hätte, vermutlich nichtmal 30.
Ich freu mich drauf, das irgendwann nachzuholen. Sei es, daß spontan der Altweibersommer mit Sonne und weniog Wind einläd, sei es, daß erst das nächste Jahr entsprechendes Wetter hergibt!

Unknown hat gesagt…

yes, olli, kein problem - ich hatte ja trotzdem eine tolle tour, mach dir mal keinen kopf.
und wenn ich heute aus dem fenster schaue bin ich froh, nicht durch diese kalte suppe fahren zu müssen. außerdem hab ich irgendwas am linken augen bekommen - das schmerzt.
wahrscheinlich zu viel zug bei all dem wind und dem speed ... :-)

grüße,
L