12 April 2010

Eine Woche Speedmachine

"Das mache ich gerade zum ersten ... und zum letzten Mal!!!", schnaufe ich es wütend heraus, als ich mein neues Liegerad nach der ersten Fahrt (vom Liegeradstudio in meine Wohnung) endlich abstellen kann. Zweites Geschoss nach 15 Kilometern. Ohne Klickpedale.

Nein, das ist alles andere als Pinky-Barbie-Scheiß - das ist harte Arbeit!

Bin hinter Lars hergefahren. Getreten. Getreten. Immer wieder getreten. Und gelitten: 15 Kilometer ohne Klickschuhe. 15 Kilometer Hölle.
Durch eine dunkle, durch eine volle Stadt.

Rush-Hour, alle wollen nach Hause. Adrenaline-Rush in meinen Arterien. Ich fliege durch die Dunkelheit. Wind im Haar, wow!
"21 km/h", ruft Lars.
Ah. Naja ...

Ich wusste, dass meine Beine untrainiert sind. Dass sie aber SO untrainiert sind? Jetzt sitze ich im Flur und sehe Sterne. Pudding im Schenkel. Nein, eigentlich nicht mal mehr das. Aber von vorn.

Montag war es soweit. Endlich bekomme ich meine Speedmachine. Pink sollte sie werden, logisch - ich bin ein Mädchen. Im Liegeradstudio ist es Liebe auf den ersten Blick. Ein Liegerad in Pink, gefahren von einer Frau – die Aufmerksamkeit der Auto- und Radfahrer dürfte mir schon ohne jegliche Kurbeldrehung sicher sein. Also Helm auf und rein ins Abenteuer.

Ein bisschen zickig sind sie, meine Shimano-SPD-Schuhe. Leider die etwas klobigere MTB-Version, denn die Japaner haben leider keine Touringschuhe in Mädchengrößen. Also gehts in den Lauf-Asics los.

Die ersten Kilometer rollen dann auch ganz entspannt. Lars ist natürlich Lichtjahre schneller, aber wenigstens komme ich mit allen Schalt- und Kurvenmanövern so einigermaßen zurecht. Ich freue mich, kann auch mal rollen lassen, mich umschauen: Da grüßt mich Hamburg mit einer unbezahlbar herrlichen Sicht auf die abendliche Binnenalster, lichterloh. Dann eine klare Salzluft von der Elbe. Beste Laune. Ich bin voller Endorphin.

Pink macht süchtig.

Als ich in viel zu hohen Gängen anfahre und auf den Fahrspuren der Straßen herumeiere, erträgt es die Gattung "gestresster Autofahrer nach Feierabend" mit Geduld. Sie scheinen zu ahnen: Die macht das hier noch nicht so lange. Lars ist natürlich immer 200 Meter weiter weg, bremst, fährt langsam. Und ich kämpfe ab und zu mit der Schaltung. Links für die Blätter vorne, rechts für hinten? Oder doch anders herum? Drehe ich mit Fahrtrichtung für ... Hochschalten oder ... doch runter?

Meine Beine sind quackig wie zwei Zitteraale - sie oben auf den Pedalen zu halten ist Schwerstarbeit.

Nach einigen Kilometern; eine Verkehrsinsel; eine Ampel springt auf Rot. So überraschend wie Weihnachten am 24. Dezember. Eigentlich müsste ich nur Bremsen und den Fuß herunter nehmen. Aber diesen Reflex gibt es bei mir noch nicht. Gehirn bleibt aus. Grauzone. Nichts passiert.

Zeitlupe: Ich kippe einfach zur Seite. Ellenbogen aufgekratzt und Finger geprellt (das merke ich aber erst am nächsten Tag). Liegeräder haben also nicht Vorfahrt. Hätte ich mir denken können.

Drüben lächelt Lars: „Da musst Du durch, das passiert jedem mal“, ruft er.
"Jaja“, denke ich und versuche mich vom Rad zu befreien und aufzustehen. Peinlich. In der Mitte zwischen den Fahrspuren. Alle Welt sieht mich. Crash in Pink. Aber zum Heulen bleibt keine Zeit.

Die Tret-Lok Lars zieht wieder an und ich kann nicht anders als weiter kurbeln. Auch wenn meine Beine nach einem weiteren Kilometer fast schon taub sind.

Pinki macht mir klar, dass man sich eben nicht einfach nur reinlegen kann und gut. Denken muss man schon auch. Recht hat sie. Denken! Pinki und Brain eben. Nicht Pinki und ... Dödel. Irgendwann, es ist 21:30 Uhr, sitze ich in meinem Flur. Ein Haufen Pudding.

Ich fummle den Bike-Computer ans Rad. Anbauen ist kein Problem. Nur das Teil richtig herum an den Lenker zu bekommen, das schaffe ich irgendwie nicht mehr. Wer lesen kann, ist eben klar im Vorteil. Mein Brain ist aber aus. Overdose.

Ich übe noch eine Runde Ein- und Ausklicken, mache den viel zu großen, viel zu hässlichen Aufkleber vom Hauptholm ab und bin geschafft für heute. Erster Tag mit Liegerad. Erster Tag mit der Speedmachine.

Dann ab in die Falle. Speedträume träumen.

6 Stunden später geht es wieder los. Ich bin bereit zur ersten Fahrt in die Agentur. Alleine. Mit den Klickschuhen. Die Stadt erwacht, ich fahre früh los - wer weiß, wann ich ankomme ...

Unter mir die Radical-Taschen voller Wechselklamotten. In Radsachen kann ich in der Agentur nicht auftauchen; einmal komplett umziehen ist also angesagt – so viel Mädchen muss sein.

Die Luft ist herrlich und die Fahrt stressfreier als gedacht. Das Klicken klappt ziemlich gut und nach einer guten halben Stunde steht Pinki – so taufe ich mein Liegerad – im Agenturkeller. Mission erfüllt, Radklamotten aus und umgezogen – Lars schielt um die Ecke, er kommt gerade von seinem BikeToWork an. Ich bin beim Umziehen.

"Ooops, Sorry," ruft er. Und wird fast genauso Pink im Gesicht, wie die Speedmachine neben mir.

Gründonnerstag wage ich mich das erste Mal in den Stadtpark. Der aufgeweichte Boden und die vielen Pfützen und Schlaglöcher würden ein perfektes Handling-Training sein. Tadaaaa, ich werde sicherer, rede ich mir ein: Langsam fahre ich mit dem Rad und nicht das Rad mit mir.


Als 1.70 m große Dame verschwindet man schon eher in der Maschine. Wird von ihr eingesogen. Zumal meine 55 Kilo nicht wirklich Druck in den Sitz bringen.

Während der Slalomfahrt durch den Matsch wird mir klar: Der Ausleger muss weiter rein, Finetuning ist angesagt. Bei jedem Tritt rutsche ich im Sitz runter; egal wie steil oder flach ich ihn stelle. Da muss ich also noch mal ran.

Karfreitag: Die Sonne scheint, es sind 8 Grad, kalt, fröstelig, aber alles in mir schreit nach einer Ausfahrt. Einmal quer durch die Stadt zu einem Freund.

Schon beim Losfahren merke ich: Das wird heute nichts. Ständig genervte Jogger und entspannte Familien, glotzende Touristen und ignorante Radfahrer. Hamburg halt. Aha, DAS meint Ihr also immer ...

Permanent muss ich anhalten, schlängeln, klingeln. Nach einigen Minuten bin ich entnervt. So sicher bin ich dann doch noch nicht, als dass ich durch unberechenbare Menschenmassen düsen könnte. Und auf der Straße zu fahren, das will ich mir auch noch nicht antun.

Irgendwo an der Rothenbaumchausse legt es mich dann wieder hin. Ein Kind springt mir vor das Rad. Ich kann zwar noch bremsen, aber – Klassiker – vergesse das Ausklicken. Wie ein Käfer also einmal mehr auf der Seite

„Mama, warum ist die Frau hingefallen?“ Schnauze, Blag!

Immerhin hilft mir ein Tipp von Lars: Nach einem Crash erst allein aufstehen, dann das Rad aufheben. Beides zugleich geht nicht.

Irgendwann komme ich endlich an. 11 Kilometer stehen auf dem Bike-Computer. Ah, superb! Der Hinterreifen ist platt. Irgendwo auf den letzten Metern habe ich mir anscheinend etwas eingefahren.


Oh man, stöhne ich, lasse die Taschen bei Freunden und schiebe Pinki mit angehobenem Hinterrad zur Bahn. Aber das wird schon – wer sein Rad liebt, der trägt es eben: So habe ich wenigstens noch schönes kleines Workout für meine Arme gehabt.

Ach ja, und zur Feier des Tages war dann auch noch meine Nahverkehrs-Abokarte abgelaufen, wie der Kontrolleur feststellt. Herzlichen Glückwunsch, Frau Pinki. Neben der kompletten Aufmerksamkeit der Fahrgäste ("Können Sie bitte etwas mehr Platz machen mit ihrem ... komischen Ding da!") stehe ich am Bahnsteig in einem Pulk Ticketchecker, die alle mein Rad bestaunen, während ihr Anführer den Strafzettel schreibt.

Dumme-Sprüche-Favorit: "Ey, Du Lila-Schwuchtel!"
Mmh, das ist P-I-N-K, Herr Maulwurf.

Gefahren: Knapp 20 km mit einem 14er Schnitt.


P.S. - Sarah, diese Grafik kannst Du Dir einfach mehrmals ausdrucken und immer griffbereit haben. Das kannst Du dann den etwas begrenzten Autofahrern geben. Am besten, die kleben das an die Rückseite (also die nicht-silbrige) der Fetenhits-CD, die am Rückspiegel hängt (gegen Blitzer). Das Ganze gibts dann demnächst noch für Grün & Rot (hilft dann den Jungs, um mit der Reizüberflutung moderner Ampelanlagen klarzukommen, bei Wahlen und ... ach, nee, die sollen lieber nicht wählen gehen) und in Level 2 dann auch zusätzlich noch mit Gelb (die Farbe braucht man an einer Ampel zwar nicht wirklich, hilft aber guten von bösem Schnee zu unterscheiden).
:o)




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6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hey, na, das ist ja ein abenteuerlicher Start :) Ich habe auf meinem Grasshopper in den ersten Wochen auch ordentlich Geschwitzt im Hamburger Radverkehr, aber irgendwann kommt die Routine und Du kannst mit 3km/h einhändig eine enge Kurve fahren und mit der anderen Hand mit der DigiCam ein Foto knipsen :D Und was gibt es schöneres als den Panoramablick auf dem Liegerad? Mach doch mal ne Radtour am WE - z.B. Elberadweg oder sowas. Das ist entspanntes Fahren und Du kannst Dich gut an das Rad gewöhnen.

Verkehrsrot hat gesagt…

Endlich mal eine, die von ihren Crashs berichtet. Hab' ich ja auch am Anfang mal von erzählt. Wurde dann etwas schräg angesehen, so nach dem Motto "waaas, Du bist umgefallen?". Sowas "passiert" dem Superman mit dem Superbar wohl "einfach nicht". Naja, ich habe jedenfalls den Vorbau meines Untenlenkers gerade erst ausgetauscht, weil ich festgestellt hatte, dass mein Lenker total schief steht. Das muss wohl an den anfänglichen Crashs gelegen haben. Bin zum Glück immer weich gefallen auf die Seitentaschen. Doch der UL hat eben gelitten.

Pink/Lila: Die Diskussion hatte ich mit meiner letzten Freundin. Seitdem habe ich pinke Turnschuhe und lila Shirts, genützt hat's mir aber nichts - aus ihrer Sicht beides die falschen Farben. "Flieder" hätte es sein müssen, Flieder hätte mich rausgehauen. Nun...

...mein Rad ist und bleibt verkehrsrot :-)

hinze hat gesagt…

Sarah, herzlichen Glückwunsch zum ersten Post!(Es ist doch der Erste?)
Die Beschreibung der ersten richtigen Fahrt mit einem Liegerad durch die Stadt erinnert mich sehr an meine...
Viel Spass mit der SPM und die dummen Sprüche einiger würde ich mal unter Neid verbuchen. Man braucht schon etwas Rückgrat, um etwas zu tun, was die Menge nicht macht oder sich nicht traut.
Grüße - norbi

velolars hat gesagt…

Hallo Sarah,

herzlichen Glückwunsch zur Feuertaufe! Der Anfang erinnert mich an meinen eigenen mit der SPM. Ich war nach 10km so fertig, dass ich mir im Leben nicht vorstellen konnte, damit jeden Tag 18 km zur Arbeit UND zurück zu fahren. Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich draufgesetzt habe und die ersten 10 m gefahren bin, dann war mein Puls schon in astronomischen Höhen...Die ersten 150 km sahen dann so aus: 50 m treten, dann 20 m rollen lassen, um die brennenden Oberschenkel zu beruhigen (bei mir ist es aber auch verdammt hügelig) ;-) Das hört dann aber irgendwann auf. Jetzt, mit fast 700 km, geht das schon sehr gut, wenn auch mein Schnitt noch Welten unter denen anderer Leute liegt...

Und noch was: Das mit den Sprüchen und Blicken übersieht man irgendwann einfach.

Viele Grüße - Lars

P.S.: jetzt fehlt dir nur noch ein Twitter-Account, oder? Dann willkommen in der Familie!

Chris hat gesagt…

Hallo Sarah,
Sehr schön zu lesen.
Viel Spaß weiterhin!!!
Schöne Grüße,
Chris

Sarah hat gesagt…

Danke für die Glückwünsche :) Ja, ein abenteuerlicher Start war es wirklich. Aber so langsam grooven wir uns ein und die Stürze sind hoffentlich erst einmal vorbei.

@hirschnase Elberadweg steht für nächstes Wochenende auf dem Plan - bin mal gespannt, wie das wird. So richtig entspannt fahren mit Platz konnte ich bis jetzt nur auf dem Ohlsdorfer Friedhof irgendwann um 19.00 ...

@verkehrsrot Stimmt, man fällt wirklich weich...auch ohne Taschen ist es gut auszuhalten (bis jetzt ;) ). Und wenn Flieder die Lösung ist, werde ich Pinki nach den nächsten Stürzen einfach umpulvern. :-)

@norbi Die dummen Sprüche sammle ich mit Wonne - sollen sie doch alle lachen. Irgendwann bin ich trainiert und so schnell vorbei, dass keine Zeit zum Lachen bleibt.

@velolars Twitter-Account gibt es natürlich. Er wurde auch schon erflogreich der SPM angepasst.