30 August 2009

Es gefällt, das neue Zelt

Passend ist es, das Wetter. Für den heutigen Zelt-Test genau das Richtige. Mein nagelneues Nordisk Pasch SI (Silikonvariante) wollte vor einem "heißen" Trip doch wenigstens einmal auf- und wieder abgebaut sein.


Gestern noch genieße ich das beeindruckende Tiefdruckgebiet bei unserem alljährlichen Ausflug nach Helgoland, heute schwinge ich mich - inmitten tosender Windböen, die heftig an meiner Speedmachine zerren - in den Sitze des Liegerades und suche mir keine 5 Kilometer von meinem schönen Hamburg Niendorf entfernt, gleich neben der Start- und Landebahn des Airport ein ruhiges, abgeschiedenes Wäldchen und beginne mit dem Aufbau meiner neuesten Errungenschaft.

Im Vergleich zu meinem alten Zelt, einem 2-Mann- Einsteigerzelt, fällt zunächst einmal das sensationell kleine Packmaß und die Gewichtsersparnis von knapp 3 Kilo gegenüber dem Iglu auf. Das war ja auch ein Grund, mir dieses kleine Einmann-Zelt zuzulegen.

Ich packe es aus und muss mich zunächst über den filigranen Stoff wundern: Dünn, fast wie eine Membran, eine Seifenblase oder wie die Seidenhöschen eines geliebten Mädchens fässt sich der silikonierte Stoff an.

Es dauert keine 5 Minuten, da steht das Innenzelt: 4 Heringe und zwei kleine, U-förmige Alugestänge reichen aus. Vorn und hinten noch einen Hering rein - sieht super aus! Über mir dröhnt ein Air France-Airbus in die windigen Wolken, als ich das Innenzelt komplett aufgestellt habe.

Großartig: Spitze Heringe! Das hat mit schon immer bei Zelten gestört, denn wo - vor allem auf Campingplätzen - hat man schonmal den perfekten, nicht zu harten, nicht zu weichen, nicht zu steinigen Untergrund? Super Idee, Nordisk!

Granz großes Kino auch das System, mittels SnapIns das Oberzelt an das Unterzelt zu stecken. Das Spart enorm Zeit und mit buchstäblich einem Klick sitzt die schützende, mich an einen feinen Fallschirm erinnernde, Plane auf dem Oberzelt.

Es steht. Nur noch die drei Abspannseile aufgezogen, ein paar Heringe in den Boden gesteckt und voilá - der Speedmachinist hat ein neues Zelt.

Der Aufbau hat keine 8 Minuten gedauert.

Ich krieche hinein und schnuppere sofort Outdoor. Das Adventure liegt in der Luft und ich wünschte mir - als ich ein paar Minuten Probe liege - dass diese hier jetzt eine Tour um die Welt sein würde, ich eine harte, aber schöne Etappe hinter mir habe und nun, da das Zelt steht, mit einem kleinen Kocher eine leckere Mahlzeit zubereiten könne.

Mein Magenknurren bestätigt das und erinnert mich daran, heute noch nichts gefrühstückt zu haben.

Das Zelt bietet innen für ein Einmann-Zelt wahnsinnig viel Platz, entscheide ich. Vor allem das hohe Kopfende mutet fast wie eine kleine Kathedrale an. Ich werde hier keine Phobien auszustehen haben. Eher in tolle Träume abdriften, mich erholen und zur Not auch bequem einen Regentag ausstehen können.

Was mir allerdings sofort auffällt, sind die vielen Grashalme, die keck durch den dünnen Zeltboden lugen. Sollte ich einmal auf Steinchen zelten oder den Platz unglücklich auswählen, wäre die Plane sofort perforiert. Und ich mache mir einen Merkzettel, mir sofort die 290 Gramm schwere, passende Unterlage zu bestellen.

Ansonsten muss ich sagen, bekomme ich hier für 200 Euro ein großartiges Stoffzuhause. Es ist genial einfach auf- und abzubauen, das Packmaß ist unglaublich, das Gewicht marginal und der Raum, des es bietet, ist mehr als ausreichend.

Ein Glückskauf und mithin ein echter Kauftipp.

Zuhause angekommen steht schon das nächste Paket von Globetrotter vor der Tür: Mein neuer Schlafsack. Aber den teste ich ein anderes Mal.



Neue Etappe online: Victoria - Seattle
Mit der Speedmachine durch die Rockies -
Recumbently Canada

24 August 2009

Morbus Recumbentis

Au Backe! Nun ist es offiziell - bei mir ist Morbus Recumbentis festgestellt worden. Es scheint ernst zu sein, betroffen sind irgendwie alle Organe und Körperteile.

Aufgefallen ist es mir nach unserer letzten Tour am Wochenende, wir hatten geplant, in alter Randonneursmanier Freitagnacht und ganz extrem nonstop 250 km von Berlin auf den Brocken zu treten.

Es kam dann vollkommen anders - Herr Oberarzt, es ist Ihre Visite:

01_Amygdala

Der Patient ist mit heftigen Schüben Über-Motivation am Freitagnachmittag, 16:30 Uhr, in einen InterCity gestiegen und verbrachte dort - nach einer harten Arbeitswoche direkt vom Arbeitsplatz auf den Bahnhof gekommen - eine 2-stündige Anfahrt nach Berlin im Stehen.

Hierbei wurde bereits die Grundlage für den massiven Schub der späteren Erkrankung gelegt, zusammen mit fatigue-artigen Symptomen einsetzender Erschöpfung.

Das Stehen im Zug, die stetige Besorgnis über das Wetter - es war Regen angesagt - sowie gelegentlicher Austausch von mobilen Kurzmitteilungen, die er an andere Probanden versendet hatte, sorgten für einen konstant hohen Spiegel endorphinartiger Opiate im Hormonhaushalt und tranquilisierten den eigentlichen Erschöpfungsgrad.

Die Amygdala, der Mandelkern im Gehirn des Speedmaschinisten - zuständig für Erregung, Angst und Adrenalisschübe - arbeitete bereits kurz vor Abfahrt des Zuges in Hamburg auf Hochtouren und legte durch das Aussenden hoher Dosen Adrenalins den Grundstein für den lethalen Charakter des Morbus Recumbentis beim Patienten.

02_Articulatio Talocruralis

Bereits kurz nach Eintreffen des Zuges in Berlin-Spandau war das Articulatio Talocruralis hohen Belastungen ausgesetzt - etwa beim Tragen des schwer beladenen Liegerades vom Bahnsteig hinab in die Wartehalle.

Hier hatten sich die liegeradelnden Piloten Olli, Sascha und Norbert verabredet. Diese, zunächst aus 4 geplanten Probanden zusammen gestellte empirische Gruppe, wollte sich einem freiwilligen Experiment unterziehen: Von Berlin aus am selben Tage, durch die Nacht fahrend, non-stop in den Harz, um sich im Morgengrauen auf den Brocken zu treten.

Twitternd und E-mailend, gesellte sich noch der erfahrene Randonneur Phelim, für das stolze Irland an den Start gehend, zur Gruppe hinzu. Hier, da über eine Stunde durch stärker werdenden Starkregen verzögert, wirkten bereits durch das Herumstehen und Fachsimpeln destruktive Torsionskräfte auf die Articulatio Talocruralis ein.

Das Articulatio Talocruralis, das Sprunggelenk, war dann später während der ersten, an einen Gewaltmarsch erinnernden, schmerzlich-pulsierenden Einsatz bis kurz hinter Burg großen Belastungen ausgesetzt.

Da die Gruppe - kreiselnd zwar und so jedem einzelnen Windschatten nach harter Führungsarbeit bietend - ein sehr hohes Tempo (30er-Bereich) anschlug, war der Fuß des Liegerad-Fahrers, wie auch der Antagonist linksseitig, hohen Belastungen ausgesetzt.


Gegen 2 Uhr nachts, in Höhe Burg, hatte sich die negative Wirkung auf A. Talocruralis bereits manifestiert. Der pulsierend unangenehme Schmerz konnte auch durch die spärlich gesäten Pausen, nach allzu einseitiger Tretbelastung meist an Tankstellen eingehalten, nicht abstellen.

03_Pulmonis

Einer der Probanden, Sascha, dessen Anamnese eine erst kürzlich zurück liegende Infektion mit Morbus Recumbentis aufweist, musste als erster die Gruppe verlassen, da ihn die Symptome schon recht früh, in Höhe Brandenburg Stadt, zum Aufgeben veranlasste. (Wir empfehlen, auch seine Inkubation weiter zu verfolgen)

Die Gruppe, nunmehr auf 4 Probanden geschrumpft, entschied sich gegen 2 Uhr hinter Burg, den Gewaltritt zu unterbrechen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten das nass-kalte Klima und der rauhe Gegenwind bei hoher Geschwindigkeit die Pulmonis des Patienten stark angegriffen. Hart und stoßweise atmend trug diese hohe Frequenz maßgeblich zur Verschlimmerung der Allgemeinsituation bei: Der Körper kühlte zunehmend aus, die Sauerstoffversorgung konnte nicht mehr auf hohem Niveau gehalten werden.

Der Abbruch - von der Physis eingeleitet als letzte Rettung vor dem Leistungskollaps - kam mit letzter Kraft. Die Gruppe baute nicht weitab der Strecke ein Behelfslazarett in Form von Zelten auf. Dort - frierend und in physiotherapeutisch ungünstiger, weil harter, Lage auf Iso-Matten und in unzureichende Schlafsäcke gehüllt - verbrachten die Probanden die Nacht.

Es sind in dieser ersten Etappe in 5:09 Stunden 128 km zurück gelegt worden mit einem Schnitt von 25,35 km/h.

Auch wenn der nächste Morgen mit reiner Luft und klarer Atmosphäre aufwartete, konnte dies nur der Pulmonis des Patienten schaden: Die rund 4 Stunden Nachtruhe in kalter Umgebung trieben die Auskühlung nur voran.

Die Pulmonis, Lunge des Patienten, brannte auch nach der Wiederaufnahme der Fahrt gegen 7 Uhr bis in den Hals. Die Fahrt wurde in nun gemäßigtem Tempo bis 30 km/h fortgesetzt und wenig später Magdeburg erreicht.

04_Ventriculus

Da die Tour unvermindert nach dem nur 4-stündigen Schlaf fortgesetzt worden ist, ohne vorher die am Vorabend signifikant geleerten Mineralstoff- und Glykogendepots wieder aufzufüllen, stellte sich schon nach wenigen Kilometern im Ventriculus des Patienten - wie anzunehmenderweise auch in den Ventriculae der anderen Probanden - ein unangenehmes, durch vermehrte Persitaltik verursachtes, krampfartiges Knurren ein.

Die Gruppe suchte - und fand - einen Ort zum Frühstücken, wo sie etwa 45 Minuten lang folgendes zu sich nahm: Der Patient und Norbert aßen 3 Eier, fettig gebraten, mit Speck, Zwiebeln und einem nährstoffarmen Brötchen, Oliver zog sich diverse süße Teilchen rein und Phelim ernährte sich rein von tierischem Protein - er verzichtete bei seinen Eiern auf den Speck.

Derartig gefüllt wurde so vom Patienten fahrlässig eine Überanspruchung nicht nur des Ventriculus - des Magens - sondern auch des ganzen folgenden Verdauungs- und Verwertungssystems in Kauf genommen.

Die nächsten Kilometer wurden deshalb von der gesamten Gruppe langsamer, schwerfälliger angegangen, was ein-eindeutig auf die Füllung der Ventriculae mit schwer Verdaulichem (aber laut eigener Aussageprotokolle "... sehr Leckerem ...") zurück zu führen ist.

Dennoch konnte hierdurch das bereits noch im Zelt einsetzende Hungergefühl bekämpft und aktuten fatigue-artigen Erschöpfungszuständen vorgebeugt werden.

05_Nervus Opticus

In Magdeburg wurde der Nervus Opticus des Probanden dann ungewöhnlich harten Bedingungen ausgesetzt. Konstant in die aufgehende Sonne blickend, musste der Patient die Augenlider stetig zusammengekniffen führen, was zu einem leichten Spasmus führte.

Magdeburg selbst, die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts, überraschte die gesamte Gruppe durch Aufgeräumtheit und überragende Schönheit klassischer Bauwerke, wie etwa des gotischen Doms oder der breiten Elbe, dessen schnell fließendes Bett die Radler gegen 8 Uhr überquerten.

Die stetige Reizüberflutung, einerseits durch Schlafmangel begünstigt, andererseits der Schönheit des Morgens wegen als Stress-Symptom hinzukommend, führte dazu, dass beide Nervae Opticus stetig auf höchstem Level zu funktionieren hatten.

Bei einem Stopp auf dem Domplatz ließ der irische Randonneur Phelim - an Unterkühlungserscheinungen der letzten Nacht wegen leidend - bereits erkennen, dass auch er einer Weiterfahrt zm Harz eher skeptisch gegenüber stehen würde.

Da sich dieser Patient, wie auf der obigen Fotografie erkennbar, mit - im Gegensatz zum Speedmaschinisten - minimalster Ausrüstung auf den Trip gewagt hatte und nur gästeweise im Zelt eines der Probanden unterkam, musste Phelim die Nacht (es waren 6-8 Grad zu verzeichnen) ohne Iso-Matte auf nacktem Zeltboden in seinem Schlafsack verbringen.

Leichte Anzeichen einer Hals-Rachen-Erkrankung traten früh auf.

Als die Gruppe die Elbe gegen 9 Uhr erreichte und sich in leichtere, den steigenden Temperaturen angepasste Kleidung umzog, wurde der Entschluss gefasst, aufgrund multipler Symptome, die von Erschöpfung bis hin zu Defätismus reichten, das Routenziel vom Brocken im Harz auf Dresden an der Elbe zu legen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Nervus Opticus, der Sehnerv des Piloten, zwar an die pralle Sonne und die Reizüberflutung mit der Schönheit des wundervollen Elberadweges gewöhnt, dies aber nur zwangsweise. Es wurden so viele visuelle Reize - nun am Elberadweg fahrend, verarbeitet - Anstrengendes und Schönes - dass der Proband etliche Fotos anfertigen musste, um diese Informationen immer wieder und in Ruhe noch einmal erleben und verarbeiten konnte.

06_Articulatio Composita

Oliver, dessen Articulatiae Composita durch die bauartbedingte Untenlenkung seiner Speedmachine weniger Torsionskräfte abbekamen, konnte nun von allen am besten zugreifen, und war deshalb auch der Erste, als es ans Bezahlen der Fährfrau ging, die die Gruppe zunächst mit einer motorlosen, rein durch die Strömungskraft der Elbe angetriebenen Fähre, zum anderen Ufer an den Elberadweg brachte.

Die Gruppe hatte hierbei enormes Glück, da ein sich über Deutschland befindliches Hochdruckgebiet sämtlichen Starkregen, der noch am Vorabend für die rapide einsetzenden Beschwerden sorgte, verdrängt hatte und so keine aktute Verschlechterung der allgemeinen Lage provozierte.

Somit konnte der Patient im Nachgang auf den folgenden Kilometern auch den Griff um die Schalt-Drehgriffe der Rohloff sowie der Magura-Hydraulikbremsen etwas lockern, was die Belastungen an den Articulatiae Composita verminderte.

07_Vastus Medialis

So fuhr die Gruppe entlang des vorteilhaft beschilderten Elberadweges bei besten Konditionen. Diese guten Radweg- und Wetterbedingungen begünstigten einen in Radfahrkreisen sogenannten "runden Tritt" - eine Kombination aus konstanter Kadenz und Geschwindigkeit - was zur Folge hatte, dass der Vastus Medialis des Patienten zwar regelmäßiger, aber nicht übermäßiger Belastung ausgesetzt war.

Da diese Muskelgruppe jedoch im Gewaltritt vom Vorabend bereits schweren Beanspruchungen ausgesetzt war, und keinerlei Erholung bzw. Linderung der Mikrobeschädigungen an den Myofibrillen des Vastus Medialis eintreten konnten, wurde auch hier keine Linderung der Beschwerden, eher ein konstantes Halten des Status Quo erzielt.

Es mag auch die Gruppendynamik und die netten Gespräche sowie die Reizüberflutung ob der fantastischen Natur entlang der Elbe zu einem psychisch bedingten Verdrängungsprozess geführt haben. Dies möge eine weitere, psychotherapeutische Erhebung ggf. herauszufinden versuchen.

Wenn einmal die Symptome einer Überlastung des Vastus Medialis spürbar wurden, initiierte der Patient - wie im Übrigen auch die anderen drei Mitfahrer - eine im Fahrradjargon so bezeichnete "Pinkelpause", innerhalb der eine leichte Entlastung der Oberschenkelmuskular, eine feine Lockerung und damit ein Erholungseffekt erzielt werden konnte. Dieser kann jedoch nur als marginal bezeichnet werden.

Das Essen von unreifen Pflaumen, die entlang der Strecke wuchsen, trug im Übrigen nicht - wie zunächst prognostiziert - zu einer Verschlechterung der Situation im Ventriculus bei.

Begünstigend kann allerdings nun das bereits erwähnte Frühstück noch einmal angeführt werden, dessen proteinreiche Kost die Regeneration der Fibrillen im Vastus Medialis, einem der vier Oberschenkelmuskel, begünstigt hatte.

08_Medulla Spinalis

Es folgten auf der Strecke einige unangenehm huckelige Abschnitte: Kopfsteinpflaster-Passagen, Betonsegment-Wege (besonders eng und damit nur unter höchster Aufmerksamkeit zu befahren) sowie gewalzte Sandwege mit mehr oder weniger großen Steinen.

Dieser Wechsel unterschiedlicher Beläge und die zudem im Vergleich zu glattem Asphalt teilweise extrem gesteigerten Stöße, die nun über die Räder in die Körper der Probanden abgeleitet worden sind, führte zu einer vermehrten Beanspruchung der Medullae Spinalis aller Teilnehmer, besonders aber der von Phelim.

Die drei Liegerad-Fahrer verfügten über ein vollgefedertes Rad-System, der Selbstbau-Randonneur (handwerklich höchst interessant) gab jedoch ungefiltert die Stöße weiter.

Es ist erstaunlicherweise jedoch zu keinem Ausfall biologischer Komponenten gekommen, sondern zu einem - noch bemerkenswerter - gemeinsam in einem Moment auftretenden Defekte-Chaos an drei der vier Räder.

Das des Patienten wies zunehmende Geräuschentwicklung unter rapiden Beschleunigungs- und Verzögerungsmomenten auf. Das des Piloten Norbi vermehrte Schalt-Probleme und am irischen Randonneur verkeilte sich ein Kettenglied, was zum fast kompletten Betriebsausfall führte.

In Sachsen-Anhalts unfreundlichstem, kauzigsten aber interessanterweise sympathisch-eigenwilligsten Fahrrad-Laden hielt die Gruppe und nahm die fälligen Reparaturen vor, wobei der Patient durch bloßes Lösung und erneutes Anziehen des hinteren Schnellspanners die Geräusche terminierte, Norbi durch das Applizieren eines neuen Schaltzuges die Funktion der Shimano wiederherstellte und Phelim durch eine Resektion der alten und Implantation einer neuen Kette sein Rad wieder flott bekam.

Die Medullae Spinalis wurden, ebenso wie Amygdala, Nervus Opticus und vor allem das Ventriculus auf eine harte Probe gestellt, als in einem der schlimmsten, den Namen nicht verdienenden und - in diesem Bericht aufgrund von Pietätsgründen verschwiegenen - "Restaurant" ein Mittagsmahl eingenommen werden sollte.

Die Sitzgelegenheiten waren fragwürdig, was genannte Medulla Spinalis, die durch die erstaunlich gut justierten Sitze der Liegeräder fast keinerlei negative Beanspruchung selbst in rauhem Gelände erfahren hatten, an die Belastungsgrenze führten. Die Anwesenden anderen "Gäste" konnten eindeutig dem Alkohol- und vor allem Tabak-abhängigen Präkariat zugeodnet werden und fielen durch Biertrinken um 11 Uhr und lautestes Tratschen auf unterem Niveau auf.

Das Essen aber führte anscheinend zu einer Überlastung der Sehnerven (Nervae Opticus) und vor allem zu einem nahen Kollaps der Ventriculae. Lediglich der Hunger und der damit verbundene Zwang zur Nahrungsaufnahme aus sportlichen Gründen verhinderte ein konvulsives, gemeinsames Erbrechen der Patienten.

Eine akute Entlastung aller Körperregionen, vor allem aber der Medulla Spinalis - der Wirbelsäule - setzte nach diesen schrecklichen eineinhalb Stunden ein, als sich die Gruppe wieder auf/in die Räder setzen/legen und weiterfahren konnte.

09_Auris

Leider führte die durch die nächtliche Kälte verursachte, einsetzende Infektion des Hals-Rachen-Raumes bei Phelim zur Aufgabe. In einem kleinen Ort an einer kleinen Kreuzung musste sich die Gruppe vom meisterhaften, stahlharten Randonneur trennen. Er plante, sich allein ins nahe Dessau zu begeben, um dort unter Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel den mechanisierten Weg nach Hause zur Rekonvaleszenz anzutreten.

Norbi - mithin der dem Iren am engsten Vertraute der nun auf drei Probanden geschrumpften Gruppe - hatte sichtlich am meisten zu kämpfen.

Die Gruppe duskutierte einige folgende Kilometer den Verlauf des bisherigen Trips und Gründe, warum sich die Dinge so entwickelten, wie sie anfangs nicht geplant oder gedacht waren.

Dies wurde bei Kaffee und Kuchen in einem weiteren, eher fragwürdigen, aber angemessenen Etablissement so von allen bestätigt.

Man einigte sich im Gespräch bei Latte Macchiato und einem Pflaumenkuchen schnell, dass es die beste Entscheidung gewesen war, den Weg in den Harz nicht weiter fortzusetzen, sondern dem Elberadweg zu folgen.

Die Aurae aller Probanden, im Speziellen jedoch die des Patienten, ergötzten sich auf den fokgenden Kilometern vor allem an dem Gezwitscher der Vögel, das, da die Gruppe nun im Wesentlichen eher Nebenstraßen fuhr, kaum von störenden Geräuschen motorisierter Fahrzeuge unterbrochen war.

Der Erholungseffekt war - nicht nur für die Auris - enorm.

Vor allem, als die Gruppe sich dazu entschieden hatte, die Fahrräder bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit abzustellen, um sich, auf die mitgebrachten Schlafsäcke legend, ein bis zwei Stunden Schlaf zu gönnen.

Eine, im Folgenden der Anamnese nicht zu unterschätzende, sehr kluge Entscheidung.
So fande man dann auch einen kleinen, abseits der Straße inmitten eines gemähten Feldes liegenden, sehr gepflegten Friedhof mit - sehr vorteilhaft - eigener Wasserversorgung, wo die Probanden sich zu einer kurzen Rekonvaleszenz-Phase betteten.

Das "Probeliegen" hatte um die Nachmittagsstunde 15 ein Ende. Die Auris des Patienten konnte sich in dieser Zeit sehr erholen. Sie nahm pflegende Geräusche von allerlei Vögeln, des Windes und des Raschelns der Blätter in den Bäumen über den Rekonvaleszenten wahr, was beruhigend wie Balsam wirkte.

Als dann auch der zum Trocknen aufgehangene Schlafsack Ollis keinerlei Feuchtigkeit mehr aufwies, einigte man sich, für das Abendmahl einzukaufen und sich ein Nachtlager zu suchen.

Die anschließende, noch zirka 30 Kilometer andauernde Fahrt führte die Probanden auf den dünnen Elbdeich bis kurz vor den Park Wörlitz.

In dieser beeindruckenden Naturbühne war natürlich auch die Geräuschkulisse ein nicht zu unterschätzender Faktor: Attraktives Vogelgezwitscher und all die anderen Geräusche der beeindruckenden Natur trugen wesentlich - über die Auris aufgenommen - zu einer Verschlimmerung der Morbus Recumbentis-Symptome bei und verkürzten die Inkubationszeit.

In einem der spärlich gesäten Supermärkte, die die Gruppe trafen, wollte Norbi dann verschreibungsfreie Medikamente kaufen, dennoch lehnte die Gruppe - was eine weise Entscheidung war - diesen auf keinerlei medizinisch-diagnostischer Grundlage basierenden Therapieversuch ab.

So wurden lediglich ungefährliche Nahrungsmittel eingekauft.

Der Patient selbst beschreibt die Auswirkungen der Morbus Recumbentis wiefolgt: "So viele nette Gespräche mit vollkommen Fremden, die für ein paar Stunden zu vertrauten Freunden wurden, hatte ich noch nie. Ein Genuss, wie eine fröhliche Partitur Mozarts."

Die Schwere der Krankheit ist damit unbestritten.

10_Facies

Es senkte sich bereits die Sonne im Rücken der Drei, als die Suche nach einem geeigneten Nachtlager vom - durch Mücken unbewohnbaren - Wald an das nahe Elbufer verlegt wurde. Etwa 1 bis 2 Kilometer von der Autobahnbrücke A9 entfernt, hinter dem Deich von Vockerode, fand das Team einen gut erscheinenden Schlafplatz, den sie sich mit einigen Sportboot-Fahrern und zwei Anglern teilen mussten.


Größere Kartenansicht

Dies stellte allerdings kein Problem dar - die Geräuschbelästigung war aufgrund der großen Entfernungen zwischen Probanden und den anderen, anwesenden Campern groß genug, um Privatsphäre herzustellen.

Da nun die Dämmerung einsetzte, nahm auch die UV-Strahlung ab, die bereits über 10 Stunden die Facies der Probanden ungefiltert penetrieren konnte.

Einen wirkungsvollen Schutz gegenüber den aggressiven Strahlen boten nur die Sonnenbrillen und der Helm - jedoch blieb in allen drei Fällen die Facis der Sonne ausgesetzt. Nur spärliche - und aus medizinisch-professioneller Sicht vollkommen unzureichende - Linderung verschaffte dem Patienten ein kurzes Gesichtsbad in den kühlen Fluten der Elbe.

Ein mittleres UV-Erythem, vor allem im mittleren Bereich der Facis, war die Folge.

Bei der Nahrungsaufnahme, die die Probanden versuchten, nährstoffreich und energiegeladen zu gestalten, hatte der Patient bereits mit mehr oder weniger heftigem Kribbeln im Nasenbereich der Facis zu kämpfen.

Auch das Applizieren von Autan, das der Mückenschwärme wegen notwendig geworden war, half nicht - es stellte sich sogar eine Verschlechterung des Zustands ein, da die aggressiven Anti-Mücken-Wirkstoffe eine heftige Gegenreaktion der Facis zur Folge hatten.

Am nächsten Morgen, die bereits über der dampfenden Elbe stehenden Sonne direkt ausgesetzt, waren die Spuren des vergangenen Tages auf der Facis zu identifizieren.

Der Patient beschreibt dies wie folgt: "Morgens lag ich schon eine Weile wach, Norbi war bereits am Herumturnen, als ich mich dazu aufraffte, die Zeltplane beiseite zu raffen. Der Ausblick auf die Elbe war atemberaubend: Dampfend, in grelle Gelb-Orange-Töne gehüllt, gleißte sie im Licht. Dichter Dampf stand meterhoch über den Fluten - ein Traum. Erst, als ich im kleinen Spiegel der Speedmachine mein Geschicht da, wusste ich, dass ich zu lange meine Nase in die Sonne gehalten hatte."

Der Fakt, dass die Probanden nun schon seit 3 Tagen keine adäquate Körperhygiene betreiben konnten, begünstigte die negative Entwicklung der Facis des Patienten. Dennoch strahlte das Gesicht im Weiteren wie das eines Honigkuchenpferdes, bei den noch kommenden, unzähligen, tollen Momenten.

An diesem Tag hatte die Recumbentis-Gruppe 115,2 km zurück gelegt.

11_Regio Glutealis

Kurz nach dem Aufstehen - der Speedmachine-Pilot Olli brauchte aufgrund genetischer Veranlagung für diesen Vorgang, der aus Aufstehen, Katzenwäsche, Zelt abbauen und Losfahren besteht, ein wenig länger als die anderen beiden Probanden - erreichten die Drei den Park Wörlitz, Weltkulturerbe und mithin fantastischer Themen- und Lustgarten direkt an der Elbe.

Die durch mittlerweile 250 Kilometer Gesamtleistung schon leicht lädierten Glutealae der Probanden reagierte mithin durch heftige Schmerzschübe auf allzu starke Erschütterungen durch unebenen Untergrund.

Kurzes Aufstehen, wie etwa beim Überqueren einer Kettenbrücke, die sich über einen der vielzähligen Kanäle spannte, verschaffte nur kurzzeitige Linderung einsetzender Taubheitsgefühle.

Mehrmaliges Korrigieren der Sitzpositionen auf den Rädern wurde mit steigender Tendenz im Minutentakt ausgeführt.

Da der Park in unzähligen Sichtachsen mal mehr mal weniger beeindruckende Ausblicke auf die einzelnen Themenwelten bot, gestalteten sich diese Zwischenstopps entspannend und häufig, was in der Therapierung der Regio Glutealis des Patienten von Vorteil sein wird.

Wären die Drei mit unverminderter Geschwindigkeit wie vom Vortage weitergefahren, hätten die Symptome in der Glutealis zu einer akuten Verschlechterung des Allgemeinzustandes geführt.

Das Gesamtsystem Knochen-Muskelapparat wurde im weiteren Verlauf im Park Wörlitz durch Klettereinlagen (wie obig zu sehen) gelockert. Diese konnten ein wenig von den einseitigen Bewegungsabläufen beim Treten der Liegeräder stimulierend auf die Organismen einwirken.

Besonders positiv - neben der Wirkung auf die Psyche - sei hierbei das motivierende Wir-Gefühl beim Erreichen der einzelnen Stationen zu nennen.

Die Regio Glutealis, der Arsch vom Speedmachines-Piloten, tat im weiteren Verlauf trotzdem noch recht weh.

13_Nasus

Der Befund des Nasus des Patienten ist schon obig bei der diagnostischen Behandlung der Facis erwähnt worden. Besonders erholsam für diesen Teil der Facis erwies sich das späte Frühstück, dass die Drei in Wörlitz beim "Gonoliere" zu sich nahmen.


Obwohl durch die Einwirkungen der Sonne leicht lädiert, konnte die Nasus des Patienten die verführerischen Düfte des Frühstücks noch klar definiert aufnehmen und trug so maßgeblich zum Genuss der dargebotenen Speisen und des würzigen Kaffees bei.

14_Collum

Als dritten lethalen Abgang musste die Gruppe sich dann von Norbi verabschieden, der aus familär-anamnetischen Gründen bereits sehr früh den Frühstückstisch verlassen und per Schnellritt in den nahen Bahnhof der Lutherstadt Wittenberg fuhr, um die Verlegung nach Hause anzutreten.

Olli und der Patient erreichten etwa 2 Stunden später gegen 12 Uhr mittags die Stadt, deren Zinnen schon von Weitem Kunde taten. Je näher sie der Stadt kamen, desto steiler mussten sie nach oben schauen, um diese erkennen zu können, was die Torsionskräfte auf das Collum erheblich erhöhte.

Auch der - noch extremere - Blick hinauf in ganz außer-irdische Sphären angesichts der historischen Pforten, an die Martin Luther seinerzeizt die 90 Thesen applizierte, trug maßgeblich zu einer Verschlimmerung der Krankheitssysmptome bei.

Zunächst verschafft auch das abwechselnde Nach-links-und-nach-rechts-Schauen, etwa, um eine der 20 Jahre nach der Wende recht selten gewordenen DDR-Fassaden zu bestaunen, Abwechslung und damit eine Lockerung der Muskulatur rund um das Collum.

Auf dem Rathausmarkt parkten die beiden übrig gebliebenen Speedmachine-Piloten ihre Räder bei Uta´s Wundermasche und entspannten sich bei einem kalten Frappé. Auch hier hatte das gebeugte Collum durch das Hinabsenken zum Strohhalm eine Entlastung erfahren, was weiteren glückerlicherweise vorbeugen sollte.

Gegen 13:30 Uhr waren die Symptome dann fast abgeklungen und die Odyssee neigte sich dem Ende. Durch die idyllische Fußgängerzone schlendernd pilgerten die Beiden zum Bahnhof, bestiegen einen erstaunlich leeren Regional Express der Bahn in Richtung Berlin, wo sie zwei Stunden später eintrafen.

Somit fand der akute Schub Morbus Recumbentis endgültig ein Ende, als der Patient die letzten 4 Stunden von Berlin nach Hamburg in einem völlig überfüllten RE stehen musste, was an allen, in dieser Anamnese aufgeführten 14 Symptom-Orten zu spürbarer Besserung führt.

Vor allem das Collum, der Nacken, konnte beim vierstündigen Stehen entspannt werden. Insgesamt sind während diesen, nicht einmal 48 Stunden andauerndem Schub, 295 Kilometer zurück gelegt worden. Ein nächster Schub ist absehbar und sicher.

_Schlussbefund/Diagnose

Der Patient ist ein lethaler sportlicher Tourenfahrer ohne Heilungsaussichten. Der ausgeprägte Hang zum Überbrücken weiter Strecken ist inoperabel.

Aversionen hinsichtlich extremer Brevets oder Randonneurs-Missionen muss - vorerst - eine klare Absage in Bezugnahme seiner allgemeinen und speziellen Kondition gemacht werden. Hierbei sei vermerkt, dass eine völlig unzureichende Schlafmenge vor dem genannten Einsatz und ein un-ökonomisches Verbrennen aller Kraftreserven in der Nacht von Freitag auf Samstag zu diesem Scheitern beigetragen haben - dennoch wurden 295,54 Kilometer überbrückt, was für Morbus-Recumbentis-Erkrankte ein akzeptabler Wert sein dürfte.

Ein positives Attest kann dem Patienten hingegen in Bezug auf velo-soziale Kompetenz ausgestellt werden, wie auch allen anderen Patienten, die im Zuge dieser empirischen Erhebung einer Anamnese unterzogen worden sind.

Wir empfehlen im Weiteren eine genaueste Beobachtung dieses - als besonders schwer eingestuften - Falles.

Tja, so sieht das aus ... ;o)



Neue Etappe online: Hope - Vancouver
Mit der Speedmachine durch die Rockies -
Recumbently Canada