Ich habe ja ein Problem. Ein Ernsthaftes. Denn meine ganzen Sporty-Sport-Einträge hier in den Speedmachine Adventures haben einen unangenehmen Nebeneffekt: Ich finde schwer Leute, die mit mir fahren wollen. Wenn ich frage, bekomme ich die kalte Schulter gezeigt. Meine Freunde ignorieren mich. Tun so, als hörten sie mich nicht.
Oder ich ernte Kommentare wie diese: "Ich bin doch nicht verrückt!"
"Bekomme ich dann vorher auch ´ne Runde EPO?"
Oder "Nee, lass mal, an der Tour de France wollte ich nächstes Jahr noch nicht teilnehmen." Das sind so die Sprüche. Und dabei will ich wirklich nur das schöne Wetter für eine kleine Tour auszunutzen.
Und selbst wenn ich kleine Tour sage, schauen sie mich ungläubig an und fragen: "Klein? Also nur 130 Kilometer?", schütteln ihre Köpfe und wünschen mir viel Spaß.
Keiner will mit. Keiner. Kein einziger.
Außer Angela.
Angela, die Mutige. Angela, vom lateinischen Angelus, dem Boten der Götter, das passte - und ich versprach ihr denn auch hoch und heilig, mich zu benehmen, keine 30er-Schnitte fahren zu wollen sondern einfach nur ein netter, plaudernder Pedalist zu sein, der ganz ohne Speed-Ambitionen neben ihr herfahren würde.
Cuxhaven, Cuxhaven war das Ziel. Schön weit oben im Norden gelegen, gesegnet mit allerlei Fischrestaurants und einer freien Sicht auf die Nordsee, angebunden an den Elberadweg, der südlich der Elbe meiner Erfahrung nach weniger frequentiert sein würde an einem Tag wie diesem. Ein Tag wie dieser: Blauer Himmel, 25 Grad, kein Regen in Sich - Touri-Wetter.
Und so schälten wir uns an diesem Samstag gegen 7 Uhr aus dem Bett, um uns nach kurzer Radelrunde um 9 am Hamburger Hauptbahnhof zu treffen. Das Liegerad und Angelas stylishes Cube-MTB vereinigten sich im - wie immer chaotischen - Radabteil des Metronom und traten die 1-stündige Fahrt in die kleine Hansestadt Stade an.
Dort knurrte uns der Magen, es rumorte und bebte, denn auch wenn Google Maps für die Tour heute nur 82 Kilometer ausgegeben hat, so wusste ich, dass ohne eine ordentliche Grundlage nix gehen wird.
Idyllisch am alten Hafen gelegen folgten wir einem Tipp meines Agentur-Chefs und setzten uns ins Goeben-Haus, dem Geburtshaus des alten kaiserlichen Admirals von Goeben, in dem jetzt in historischem Gebälk ein Café untergebracht war.
Leider war die Wartezeit auf das "Generalsfrühstück" (mit Latte Macchiato - eine morgendlich-kulinarische Entente also) mit über 30 Minuten inakzeptabel lang, was den Genuss etwas trübte. Und genau diese Wartezeit war es am Ende auch, die uns noch das Genick brechen sollte. Aber dazu später mehr.
Zunächst einmal schwingten wir uns gesättigt und durchaus motiviert auf unsere Räder und traten in die Pedale.
Vorsichtig, redete ich mir ein, mach langsam da unten, wind-optimiert in deiner schnellen Speedmachine, mach mal locker, fahre keine 30, wir gehen es langsam an - sei froh, dass überhaupt mal jemand mit dir mitkommen will!
Und so hielt ich mich zurück, gondelte immer so um die 25 km/h herum.
Und als wir abgebogen waren, den schmalen Radweg verlassen hatten um am Deich zu fahren - endlich konnte das auch konversationstechnisch vorteilhaft nebeneinander geschehen, da kam Angelas Antritt.
30, 32 km/h.
Ich wunderte mich, trat mit.
34 km/h.
Äh, okay, dachte ich und freute mich. Klar, wir hatten einen angenehm schiebenden Rückenwind, aber das, das hatte ich nun von allem am wenigsten erwartet - Speedmachine und Speedy Angela schossen mit "normaler" Geschwindigkeit über den Elberadweg. Alle Achtung, dachte ich mir, freute mich, staunte und trat mit im Takt.
Das Wetter war perfekt. Einfach großartig, genial: Kleine weiße Schäfchen zogen auf einem blauen Himmel vorüber, unter ihnen ein sattgrüner Deich mit Kühen wie gemalt, dazu wir zwei beide im Eiltempo auf menschenleeren Aspahltstraßen am Deich entlang, dann und wann anderen Radlern grüßend begegnend oder sie überholend.
So flogen wir zunächst eine Weile - die Zeit dehnt sich ja beim Pedalieren - an dieser flachen norddeutschen Landschaft vorbei, als die erste Pause winkte. Wir sahen ein Vogelbeobachtungshäuschen aus Holz, das hier aufgestellt worden war, über Deich, Flore und Fauna informierte und interessierten Vogelkundlern einen schönen Beobachtungsposten darbot.
Während Angela unten den Rast-Tisch mit dem leckeren Mitgebrachten deckte: Banane und Apfel aus der Tupper-Dose, dazu Corny-Riegel und Apfelsaftschorle, erklomm ich - nicht zuletzt um die Liegeradbeine etwas zu vertreten - den Turm, informierte mich beim Aufstieg an bunten Tafeln über die deichbewohnenden und naturgeschützten Tiere, einige Arten vom Aussterben bedroht, las über Natur- und Deichschutz, über die einzigartige, schützenswerte Landschaft hier und oben angekommen, in diesem Naturschutzturm, blickte ich hinüber ... zu einem Atomkraftwerk. Ach schön.
Humor hat man hier also auch am Deich.
Wir pausierten, aßen und schnackten, saßen eine Weile herum in der Sonne und machten Späße - und immer wieder musste ich mich anerkennend wundern, dass Angela, gerade meine skeptische Angela, die mich vor der Tour so eindringlich um menschliche Geschwindigkeiten gebeten hatte, hier nun aufdrehte wie Eddie Merckxx am Alpe d´Huez.
Großartig!
Á propos L´Alpe d´Huez - unser Tour de France-Peloton lernten wir dann auch kennen.
Eine Dreiergruppe eher gemächlich fahrender Rennradler fuhr uns in die Arme, als wir schon auf dem Rückweg von einer Brücke waren, die nicht im Betrieb war.
Und das kam so: In Stadte hatte General Goebens Frühstück uns eine halbe Stunde warten lassen, was zur Folge hatte, dass wir 12:30 Uhr an einer der Schwenkbrücken über einen kleinen Nebenarm der Elbe ankamen, die aber nur von 10 bis 12 Uhr in Betrieb war.
Eine halbe Stunde zu spät, der alte General hatte es verbockt, und so kehrten wir missmutig um, lenkten - Angela grummelte erstmalig - unsere Räder in den Gegenwind und machten uns an die weiträumige Umfahrung der Brücke.
Die drei Rennradler kehrten also auch um, schlossen wieder zu uns auf und begleiteten uns eine Weile. Nun war Windschattenfahren angesagt, und auch hier schlug sich Angela beachtlich. Eine weitere Kerbe.
Endlich wieder allein auf weiter Flur fanden wir irgendwann wieder den Radweg am Deich und pedalierten durch die Sommerhitze. Die Minuten wurden zu Viertelstunden, diese zu Stunden und die Kilometer schmolzen nur so.
Als wir an einem Radweg-Hinweisschild ankamen. Mittlerweile hatte ich 70 Kilometer auf dem Bike-Computer, in 10 Kilometern sollte also Schluss sein. Angela las das Schild vor: "Cuxhaven - 62 km"
Äh, wie bitte?
Zweiundsechzig Kilometer. Stand da wirklich. Wie kann das sein? Was soll das? Fragten wir uns ungläubig und ich schaute ein ums andere mal auf meinen Google-Maps-Ausdruck, der mir Schwarz-auf-Weiß 82 Kilometer bestätigte. Und hier nun 62.
62 Kilometer.
62.000 Meter.
3 Stunden.
Anstelle 25 Minuten.
Es half nichts. Genauso, wie wir die Millionen Marienkäfer ertragen mussten, die im Dutzend alle Meter an unseren Sonnenbrillen zerschellten, die es machten, dass man nicht mit offenem Mund fahren konnte und die allenthalben nervig und krabbelnd unter meinem Helm herumwuselten, genauso mussten wir uns nun an 60 Kilometer machen.
Sorry, Angela, auch wenn es so aussieht, aber das war nicht meine Intention. Und eine weitere Erkenntnis: Google weiß anscheinend doch nicht alles. Zumindest am nördlichen Elberadweg scheitert der allwissende Konzern.
Wie gut, dachten wir uns, dass wenigstens die Radwege ausgeschildert sind. Allerdings halfen uns an manchen Gabelungen die Hinweise auch nicht wirklich weiter. Dann hieß es, sich auf die untrügliche Intuition der Navi-Angela zu verlassen, die schon mehrfach ein höchst sensibel-treffsicheres weibliches Gespür für den richtigen Weg bewiesen hatte.
Stoisch tretend machten wir uns an die letzten Kilometer, fuhren am Deich entlang und kamen irgendwann immer mehr in dichter touristisch erschlossene Strandabschnitte, was an den teilweise sehr detaillierten Infotafeln, die man hier für die Touristen aufgestellt hatte, erkennen konnte.
Irgendwann führte uns der Radweg dann auch hinter dem Deich hervor und so konnten wir - in völliger Windstille mit hoher Geschwindigkeit - direkt an der brandenden Nordsee (zum Glück war gerade Flut, sonst wäre es etwas trostloser gewesen) entlang schießen.
Die Schafe, die allenthalben mähend und blökend herumstanden und -lagen, waren teilweise nur schwer von der Fahrbahn zu bekommen, die sich zudem in Abschnitten in eine Geschicklichkeitsprüfung im Umfahren der manchmal mannshohen Kothaufen verwandelte.
Aber auch das meisterte das Cube-Velotechnik-Team meisterlich und so fanden wir uns nach 5 Stunden Fahrtzeit in Cuxhaven wieder. Irrten etwas herum, gerieten in eine Hochzeit, was einen interessanten Kontrast zwischen blütenweißer Hochzeitspracht und verschwitzter Radmontur erbrachte und schleppten uns mit letzter Motivation in ein Restaurant, wo wir Bergen von Pasta, Schollenfilets und - weil wir es sind - einem extragroßen Stück Torte fröhnten.
So sieht Glück aus.
Und ehrlich, wir hatten es uns auch verdient!
Angela: Alle Achtung, das hätte ich so nicht gedacht, war auch ganz anders geplant, aber für diese Leistung gibts eine extratiefe Verbeugung vom Speedmaschinisten.
Und ... jetzt, da ich weiß, dass Du 130 Kilometer fahren kannst, steht einer nächsten Tour ja nichts im Wege, mmh?
Gefahren: 132 km mit einem super 25er Schnitt, Gefahren auf Speedmachine insgesamt 143,5 km in 6:14 Stunden
Mit der Speedmachine durch die Rockies - Recumbently Canada
Neue Etappe online - "A perfect Kneekiller"
02 August 2009
Flux nach Cux
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3 Kommentare:
also je länger ich darüber nachdenke, desto mehr tut sich bei mir der verdacht auf, dass es sich um ein komplott handelt.
das verspätete frühstück mit dem general, die schwenkbrücke, die sich plötzlich hocklappt, die gefühlten 10 km umweg,... ich weiss ja auch nicht...
vielleicht war es ja auch die crux.
aber schön war's.
ich werde es auf auf einen weiteren versuch ankommen lassen. vielleicht kann man die nahrungsaufnahme nächstes mal etwas vorverlegen.
bis die tage
LGa
VORverlegen? also um 6 aufstehen, am samstag? mensch, da wird ja noch ne richtige hochleistungsangela aus dir ... ich bin begeistert!
ich mach mich mal schlau und suche ne mittlere route - dann aber mal ein wochenende lang, was meinste?
sa hin, so zuürck ... irgendwas an der ostsee, mmh?
LG L
mit der nahrungsaufnahme meinte ich die berge von pasta und schollenfilets, nicht den general am morgen. samstags um 6 aufstehn??!?
äh... eher schlecht.
ja vielleicht noch eine mittlere route (<100km) für einen tag und danach die 2tage-tour.
das ist doch mal ein plan.
ostsee klingt gut, da wollte ich schon immer mal hin.
LGa
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