20 Mai 2009

Liegerad - Die Magie des Speed

Drei Farben, drei Zustände, drei mal Magie. So sehe ich das, wenn ich weg bin. Nicht mehr hier. Im Jetzt. Sondern draußen. In Zeit und Raum aufgegangen. Meine Speedmachine lässt mich wegdriften. Drei Farben ...

Orange: Der Start
Was ist das? Dieser Zauber einer Reise, die vor einem liegt? Kennt Ihr das? Momente wie in Zeitlupe, Schnappschüsse, Slowmos, wenn alles bereit ist, es endlich losgehen kann ...

Die Hose sitzt, eng und straff, so wie es sein soll. Das Trikot, noch duftet es nach frischer Wäsche, noch ist der Zipper geschlossen, prangen in weißesten Weiß Logos großer Marken auf buntem Stoff. Schlanke Schuhe - das blanke Metall der Cleats kratzt auf dem Boden - bei jedem Schritt, wie magnetisch angezogen drängen sie in die Horizontale. Laufen ist nicht ihr Ding, sie sind gemacht, um verbunden zu sein mit der Maschine, um die Kraft der Waden in Vortrieb zu verwandeln.


Helm und Handschuhe, sie komplettieren den Piloten. Eine Sonnenbrille schützt das Auge, schafft auch eine Barriere, so scheint es, nach außen, zur Welt.
So stehe ich da, zupfe an mir herum, lösche die Daten des letzten Trips aus dem Bike-Computer, prüfe, ob die Reifen prall sind, die Scheibenbremse anzieht.


Die Magie des letzten Momentes, der Körper noch ruhig, einzig das Herz, es galoppiert, weiß, was nun kommt. Auch die Lunge, so scheint mir, pumpt schon jetzt ein Mehr an Sauerstoff in meinen Blutkreislauf - ich werde es gebrauchen können. Gleich. Gleich, wenn es losgeht.

Ich schiebe das Liegerad vor die Tür. Schaue an mir herab, nicht ohne Stolz, auf meine Uniform, die Standarten der Geschwindigkeit, blinzle in die Sonne hoch über mir, schaue auf das Rad tief unter mir. So stehe ich da und grinse in Erwartung, wissend, dass er gleich wieder losgeht, der Tiefflug über den Asphalt, Hitze, die aus den Poren meiner Waden drängt, Kraft, die ich sehen kann, wenn die Muskelstränge der Schenkel steinhart werden, Tritt um Tritt, Schlag um Schlag, eine silbrig glänzelnde Kurbel - da, ganz vorn - die ich so schnell trete, dass es aussieht, als drehe sich wild ein Rotor.

Schweiß, der aus der Stirn quillt, heiße Luft, aus den Lungenflügeln gepresst, selbst die Mücken versuchen nicht an mir zu zerschellen - und sei es drum, es wäre ein schmerzfreier Tod für sie.

Denn ich fliege,
sanft gleite ich,
im Verkehr schwebe ich.
Neben mir Autos, treten aufs Gas.
Machen Lärm und stinken.
Ich surre.
Hinter mir, die Rohloff, ein roter Reaktor.
Er glänzt heller als ihre dreckigen Bleche je scheinen könnten.

Die Magie des Losrollens. Der letzte Augenblick bevor geschwitzt wird. Die Speedmachine steht vor mir, sie weiß, was jetzt kommt. Scheint eingefroren in schneller Bewegung, Geschwindigkeit vorausgenommen, eine Konstruktion, die schnell sein muss - das sieht man ihr an.

Ich zupfe noch einmal an meinem Trikot. Habe vergessen, meine Magnesium-Kapsel zum Morgenkaffee zu nehmen. Egal. Jetzt stehe ich unter dem Einfluss eines ganz anderen Stoffes. Liegerad-Adrenalin. Mehr brauche ich nicht.

Perfekte Sonne. Blauer Himmel. Der Rahmen glänzt in wildem Orange. Ich grinse. Schon ist er vorbei, der letzte Augenblick. Und der Flug beginnt.

Blau: Der Flug
So liege ich und fliege ich durch die Landschaft. Bäume, Büsche und Menschen huschen vorbei. Der Wind knallt in meinen Ohren, Tränen lösen sich aus feuchten Augenwinkeln, Sauerstoff in Massen bläht meine Lungenflügel. Abwesend, mein Ich, daheim gelassen, eingeschlossen in der leeren Wohnung - wer hier jetzt fährt, geht vollends auf in der Bewegung. Ist kein Arbeitnehmer, kein Steuerzahler, kein EC-Kartenunterschreiber.
Dies ist ein Speedmaschinist.

Muskeln kontrahieren im Takt. So wie die Schaltung klackt. Endlos zieht die Kette mich auf ihrer Bahn voran. Die digitalen Zahlen vor mir legen Rechenschaft ab wie schnell ich bin - Radwege, ich meide sie, Schlaglöcher, ich umschiffe sie, Ampeln, das Rot abgepasst - bei Grün fliege ich wie ein Blitz über sich kreuzende Asphaltstreifen, stehende Autofahrer begreifen es schwer, schauen mir nach, schon außer Sicht. Sie verpassen ihr eigenes Grün.

Ich merke, wie ich seit Stunden meine Bauchmuskulatur anspanne, lehne mich zurück, versuche, locker zu lassen. Ortseingangsschilder tauchen auf und an mir vorbei, wie gelbe Blüten, Infotafeln, kommunale Post-its, die mein Fortkommen markieren.

Grüne Wälder, es riecht nach Harz und meiner Kindheit. Weite Felder, Ähren biegen sich im Wind. Mimikry einer atlantischen Sturmdünung. Bö um Bö zerren sie an meinem Rad, mir aber können sie nichts anhaben. Unbeirrt zieht sich die Spur des Liegerads auf dieser Tour.

Duft nach einem Regenschauer, ich habe Zeit, analysiere ihn. Rieche frisches Gras, nasse Erde, zerfurcht und aufgelockert von Würmern, neben mir, da unten, zum Greifen nahe, da wohnen sie - auch sie bemerken mich nicht. Ich bin leise, unhörbar.

Flash Gordon der Straße. So fühle ich mich, wenn sich vor mir eine Steigung auftürmt. Vieleicht noch ein Rennradfahrer mit blanken Waden die Prozente hinaufstampft - Antrieb und Herausforderung, es ihm gleich zu tun. Nein, besser zu sein. Schneller. Konkurrenz, Jagdtrieb, ich kann nicht anders.

Wie Feuer brennt heiße Luft mir in den Bronchien. Wellen aus Hitze dampfen durch die Maschen meines Trikots, schweißnass die Polster der Handschuhe - wie Schwämme hängen sie rutschfest am Lenker. So ziehe ich ab. Hinauf auf den Scheitelpunkt. Ein kurzes Grinsen, ein Blick stillen Triumpes auf den Carbon-Renner, der hinter mir, unter mir, noch immer mit der Steigung hadert.

Es dämmert. Sechs Stunden gefahren. Die Klamotten sind nass, es riecht nach mir, wie wenn ich arbeite, der Staub, den der Wind an meiner feuchten Stirn hat haften lassen, meine Zehen schmerzen, die Sohlen rauchen, so fühlt es sich an. Einhundert Kilometer? Einhundertfünfzig Kilometer? Egal. Ich war weg. Stundenlang, Tour d´Absence. In einer anderen Welt. Kein TUI-Büro kann Euch Tickets hierher verkaufen.

Die Sonne blendet wieder. Sie steht tief. Und Rot. Doch Blau mein Flug. Wie Blitze von Energie. Denn Energie war es, die mich voran getrieben hat. Eigene Energie. Nichts Gefördertes, nichts Raffiniertes. Nichts, was man an einer Zapfsäule kaufen könnte - es waren Apfel und Schorle. Klares Wasser. Es war das Müsli am Morgen und es war mein Wille, der mich hat über die Berge streiten lassen, der mich hat die Beine in den Wind werfen lassen.

Ich bin geflogen. Nichts anderes würde mal von einem Piloten erwarten. Und nichts anderes bin ich, wenn ich in meinem Rad liege.

Violett: Das Ankommen
Da steht sie. Es war eine harte Schicht. Mal wieder. Sie parkt, leicht zur Seite geneigt. Von der Last der Packtaschen und des Fahrers befreit. Die Pedale perfekt gedreht, kurz abgeputzt, was an Staub und Pfützenwasser hängen geblieben ist. Heute. Und sonst.

Der Moment des Ankommens. Des Erreichens. Wie Odysseus, wenn er anlandet, mit seinen Getreuen von Bord springt, ins flache Wasser am unbekannten Gestade. So erreiche auch ich mein Ziel. Mal wieder. Angekommen.

Wie viel Glück in diesem Wort steckt. Wie viel Erfüllung - was habe ich heute geleistet? Wie viele Glühbirnen könnten heute Nacht leuchten mit der Energie, die ich, ich allein, meine beiden Beine, diese kleinen, unscheinbaren Fortsätze, heute geleistet haben?
Um wie viel CO2 ist mein Gewissen heute leichter?

Ich bin glücklich. Heißes Blut schießt durch die Adern. Hat mein Herz es noch nicht bemerkt? Die Fahrt ist zu Ende - der Ritt geglückt. Noch immer drückt es den roten Saft in alle Ecken des Körpers. Pumpt Blut in die Beine, lässt die Waden in Erwartung zucken. Frisches Rosa schimmert an schweißnassen Muskeln.

Dampf steigt an mir auf, habe ich das Gefühl, als ich mich im Bad der klebrigen Stoffe entledige, den Hahn aufdrehe und mich unter den heißen, belebenden Strahl der Dusche stelle. Zunächst perlt es ab, das Wasser, dann wärmt es mich, schmeichelt harten Muskeln, lässt sie entspannen, weitet Gefäße und meine Stimmung.

Geschafft! Angekommen! Nichts klingt süßer, nichts belebender, als dieses Wort. Eine Etappe zu Ende. Ich stelle mir die Karte vor. Verbinde in Gedanken Start und Ende. Revue passieren sie - die ebenen, geraden Strecken, die harten Anstiege und die rasanten Abfahrten. Der Milan, der mich kreischend einige hundert Meter begleitet hat, das winkende Kind an der Hand seines Vaters, das mir mit dem Zeigefinger folgte. Ich male einen dicken Strich von A nach B.

Und fühle mich violett. Geschafft. Glücklich. Ich bin angekommen - wahrlich, nichts klingt besser, als dies.

Obschon: Ich verlasse in trocknendes Frottee gehüllt das Badezimmer, werfe einen Blick auf mein Rad. Obschon, so sage ich mir wieder, "Morgen geht es wieder los!" - das klingt eigentlich noch viel besser.

Und so freue ich mich. Auf diesen mitreißenden, tollen Dreiklang aus Speed, Muskeln und Natur. Auf noch mehr Orange-Blau-Violett.



Liegerad-Highlights 2008: Die besten Touren mit der Speedmachine

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oh Junge, können sie nicht ein bisschen mehr essen. Sie haben nicht wirklich viel Masse.

Mit freundlich Grüßen
eine besorgte aber begeisterte Leserin

Unknown hat gesagt…

Danke für die Besorgnis - aber keine Sorge. 65 gesunde, sportliche Kilo + viel Kohlenhydrate, Fisch & more strudeln Tag für Tag durch den Magen ... mehr Essen bringts nicht :-)

Und Danke für Ihre Begeisterung ... demnächst auf diesem Kanal: 500 km von Hamburg nach Amsterdam. Wieder ein Leckerbissen der Velosophie. :-)

Viele Grüße,
L

Anonym hat gesagt…

super-wie immer grosses kino! oh-jetzt auch auf twitter-sofort followen

gruß aus tirol - manfred