17 August 2008

HH - Boltenhagen: Ein Ostseetraum

Wetter 1A, da sind sich heute alle Wetterdienste einig. Jörgi, alter Mitstreiter und zebröser Freund aus Berlin, hat mich in ein Feriendomizil am Strand eingeladen - also warum liege ich hier noch im Bett und schlafe?

Ich sehe den Himmel, der sein majestätischstes Blau angezogen hat und sehe seine Schwester, die liebe Sonne, die gnädig das ihre dazu gibt. Und so fliege ich, nachdem ich meine Speedmachine mit nagelneuem Rohloff Speedhub abgeholt habe, einfach los.

Hinaus ging es in die Sommerfrische. Was sich auch Tausende andere gedacht haben müssten, denn ich fand mich schnell in ziemlich dichtem Verkehr wieder, was vor allem hinter Bad Oldesloe, wo es keinen Radweg gibt, teilweise in Stress ausgeartet ist. Reinfeld flog vorbei und ehe ich es mir versah, schnurrte ich flink am Ortseingang zur schönen Hansestadt und Mekka aller Marzipan-Liebhaber ein.

Lübeck war erreicht. Sogar das schicke Holstentor, das Wahrzeichen der Stadt, war mir vergönnt zu sehen. Aber keine Zeit, keine Zeit. Ich wollte zum Jörgensen, meine Ex-Kollegen und Mitstreiter in einer Agentur. Lange nicht gesehen - es würde viel zu erzählen geben, das Holstentor würde am Sonntag auch noch da stehen, dachte ich mir - und gab Stoff, dass die Kurbeln nur so ratterten.

Langsam jedoch machten sich meine Beine bemerkbar. Es zog unter den Knien, müde, nur noch schwerfällig konnte ich das Rad vorwärts treiben. Da kamen mir der stete Seitenwind und der hügelige Charakter der Strecke natürlich nicht gerade gelegen.
Es macht sich also doch bemerkbar, wenn man eine Zeit lang nicht trainiert hat.

Nach Portugal habe ich keinen Kilometer mehr auf der Maschine absolviert. Die Rechnung sandte er mir nun, mein Körper: Leichte Schmerzen. Ungewohnt und ernüchternd schon nach schlappen 80 Kilometern - sonst gerade mal Halbzeit auf meinen Touren.

Aber ganz so tragisch war es alles nicht. Denn Mutter Natur verwöhnte mich mit hübschen Ausblicken über das weite holsteinische und später mecklenburgische Land. Hinter Schlutup, wo ich in mecklenburgisches Gebiet einfuhr, empfing mich kühlend ein dichter Wald. Und ein glatter Radweg.

Ich überquerte die ehemalige deutsch-deutsche Grenze - nurmehr am andersfarbigen Straßenbelag und einem einsamen Grenzturm zu erkennen, der mit allerlei Grafitti bedeckt war. Schön, dass man vor ihm nun keine Angst mehr haben muss.

In Sichtweite flog rechter Hand die Trave vorbei, die hier eine riesige Bucht ausgebildet hat und mir wie ein See vorkam. Reier, Greifvögel und allerlei anderes Flügeltier tummelte sich im Luftraum über dem dichten Schilf. Wenn Traktoren die satt-braune Erde durchpflügten, erreichte mich torfiger Geruch, es roch fruchtbar, dörflich.

In Dassow, wo ich mir einbildete, dass es nur noch 10 oder so Kilometer sein könnten, staubte es dann auch. Gewaltig. Aber nicht, weil schwere Schlepper ihre stählenen Pflüge in die Erde rammten, sondern weil im Rahmen eines Dorffestes die gesamte motorisierte Jugend der Umgebung angereist zu sein schien, um ein kombiniertes Straßen-Motocross-Rennen zu fahren.
Entsprechend abgehetzt muss ich gewirkt haben, als ich mich, umringelt von laut heulenden, dreckverschmutzten Cross-Krädern den Dorfberg emporstrampelte. Ein ums andere Mal mussten die Jungs ausweichen, einige drehten sich sogar zu mir um, schauten, was das für ein komischer Vogel da war, der ihre Strecke kreuzte.
Sicher hat das denen ein paar Sekunden gekostet.
Mir hat es einiges meiner Kondition gekostet: Bergan-Racing mit Gepäck und dabei slalomfliegend kindskopfgroßen Erdklumpen, die allenthalben auf der Fahrbahn lagen, auszuweichen, dabei zu schauen, dass man nicht einfach ungestüm platt gemacht wird ... ein Heidenspaß!

Der auch weiterging, denn nach Dassow (wie gesagt, alles andere als 10 Kilometer entfernt) folgten lustige Bergauf-Bergab-Passagen, die das Letzte von mir forderten.

Wir schön war es, als ich dann endlich den salzigen Tag am Strand der schönen Ostseeküste riechen und das Eingangsschild von Boltenhagen sehen konnte!

Wenig später sitze ich bei Jörg auf der Terasse. Werde mit Apfelschorrle und einem Abendbrot umsorgt und kann mich - wie erhofft - in die so vermissten und lieb gewonnenen Gespräche vertiefen. Es ist gut, ab und zu alte Freunde zu treffen. Und umso mehr freut es uns, dass wir es geschafft haben, uns zu sehen. Denn abgesehen davon, dass wir beide stressige Jobs und kaum Zeit haben, die Entfernung Berlin-Hamburg für ein Treffen zu überbrücken, freut es umso mehr, dieses Treffen nun hier, an diesem schönen Ort an der See zu haben.
Wir spazieren am Strand.

Es ist wunderschön hier. So ruhig, ein bisschen kühl, aber das wirkt wohltuend. Einige Jugendliche haben sich die Strandkörbe erobert, andere versuchen sich als Sandskulturenbauer, die nächsten nutzen die Romantik der prachtvoll untergehenden Sonne für einen Turtel-Spaziergang mit ihrer Liebsten oder dem Liebsten.

Wir essen noch ein Eis und trinken eine Kleinigkeit. Dann lenken wir unsere Schritte heim und setzen uns noch eine Weile auf die Terasse.

Ein Abendbierchen gibt es noch, dazu anregenden Gute-Nacht-Klön. Gegen halb 11 krieche ich in meinen Schlafsack und schlafe fast augenblicklich zum Rauschen der Ostsee draußen ein.

Der nächste Morgen - es ist warm, die Sonne strahlt hell. Genau wie Jörgi, seine süße Tochter und ich. Wir sitzen am Frühstückstisch, schnacken über dies und das und laben uns an Baguette und Kaffee.

Gegen halb 11 wird es Zeit. Tschüs, Fotos gemacht und herzlich gewunken.
Es war schön bei Dir, Jörgi, und gern wieder!

Meine Hoffnung, dass heute der fiese Seitenwind etwas unfieser sein würde, hatte sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Straff blies mir frischer Wind aus dem Inland entgegen, bremste die Fahrt vor allem bergan bis auf teilweise 16 km/h herab, aber hinderte mich auch nicht daran, Teilstücke mit flotten 35 km/h hinter mich zu bringen.

Bis Lübeck verlief die Fahrt harmonisch, wie auf der Hintour. Da ich die Strecke nun kannte, brauchte ich nicht mehr so oft nachzuschauen. Und so flog ich durchs Grün, genoss die Sonne und erfreute mich an Waldschatten ebenso, wie an heißer Sonne.

Kein Vergleich zum Backofen Portugals. Und hier freute ich mich, denn wenn ich schon außer Übung war, was meine Kondition anbetrifft, so konnte mir nach dem portigiesischen Hitze-Trip die Sonne hier nur vergleichsweise schwach vorkommen, was mir ein mildes Lächeln auf die Lippen zauberte, wenn ich die zahlreichen Sonntagsradler, die anscheinend arg zu leiden hatten, flux überholte.

Die Beine schmerzten auch nicht mehr so wie gestern und so gestattete ich mir eine Bananenpause auf dem Rasen vor dem Holstentor.

Zwei sehr attraktive Bikerinnen hatten ihre Trekking-Räder an einer Bank neben mir abgestellt und betrieben fleißiges Kartenstudium. Aber meine gute Kinderstube verhinderte eine Kontaktaufnahme (was hätte ich auch fragen können?) und so erfreute ich mich an der Idee, dass es anscheinend auch noch hübsche Gleichaltrige des anderen Geschlechts zu geben scheint, die meine Leidenschaft für das Tourenfahren teilten. Schön.

Lange Rede: In Bad Oldesloe flog eine Bockwurst - das hat mittlerweile Tradition - an meiner Lieblings-Aral in meinen Magen, variiert diesmal durch ein sehr angeregtes Plauderchen mit einem Hamburger Rennradfahrer, der ebenso wie ich zum Vitaminetanken angehalten war.

Die Restfahrt verlief ohne Zwischenfälle, flux und flott surrte ich mit beständigem Vortrieb nach 5 Stunden in Hamburg ein, wobei ich, quasi kurz vor meiner Haustür, eine sehr rabiate Vollbremsung hinlegen und dabei einen Daddy auf einem Damenrad fürchterlich erschrecken musste. Mein Fehler - zu schnell gewesen. Es roch sogar nach verbranntem Gummi - das hatte sogar ich noch nie.

Nun habe ich mein verdientes heißes Bad hinter mir - und ein wieder sehr sehr erholsames Wochenende an unserer schönen Ostseeküste genießen dürfen. Der leichte Sonnenbrand auf meiner roten Nase wird mich bestimmt noch in den nächsten Tagen daran erinnern, wenn es wieder regnen wird, bei uns in Hamburg.

Gefahren: 111,48 km in 4:44 h (Schnapstour!) auf derHinfahrt und 120,1 km in 5:10 h auf der Rückfahrt. Gesamt: 231,75 km


NEU, die Speedmachine on Tour: Portugal per Liegerad

Keine Kommentare: