30 Januar 2010

Sieben. Runden. Sieg.

0,0 km
Samstag. Superwetter. Heute, beschließe ich, mache ich mal was Neues.

Kein Radfahren. Nee. Die Speedmachine ist im Liegeradstudio. Geht nicht. Und selbst wenn - bei diesem Wetter? No Chance. Heute also mal was Neues.

2,2 km
Es ist 13:15 Uhr. Vor einer Viertelstunde bin ich losgelaufen. Voller Elan, voller Energie. Im wahrsten Sinne. Ein bisschen mehr als 3 Kilometer ist meine Hausrunde lang. Eine schöne Runde. Heute will ich mal was Neues probieren, habe ich mir gedacht, als ich mir vorhin meine Laufhose anziehe und die Schuhe schnüre.

Erste Runde. Wie gesagt, Laufen ist nicht mein Ding. Langweilig. Zu langsam. Zu statisch. Kein Vergleich zu meinem schnellen Liegerad. Damit geht was. Aber Laufen? Die Rockies per Jogging zu durchqueren geht nicht. Auch nicht, von Lissabon nach Porto rennen, eher schwierig. 600 Kilometer, 800 Kilometer, 1300 Kilometer - das geht nur mit dem Rad. Und wenn Ihr mich fragt, auch nur mit dem Liegerad.

Und nun? Nun renne ich hier. Über Schnee und Eis. Wünsche mir mein Rad zurück. Und doch - Laufen hat was. Das entdecke ich in dieser Wintersaison immer mehr. Für mich, ein ganz neues Gesicht des Trainings. Muss ja - denn ein Rollentraining wie im letzten Jahr kommt nicht in Frage, die Speedmachine ist in der Werft.

Phuhh, sind das etwa Seitenstechen? Zweite Runde. Ich spreize zwei Finger in meinen dicken Trainingshandschuhen ab. 2 von 7. Wow. Heute mal was Neues? Was für eine sau ... super Idee für ein sonniges Samstagmittag!

4,8 km
Ich atme schwer. Meine Runde besteht aus zwei langen Stücken, jedes knapp einen Kilometer lang und zwei Verbindungsstücken. 3 Kilometer summieren sich. Abends, nachdem ich einen harten Tag in der Agentur beende, laufe ich immer zwei spritzige Runden. Eine halbe Stunde, Kopf freipusten, dann unter die Dusche. Herrlich. Aber heute. Heute mal was Neues.

Auf dem Stück, dass ich als Zielgerade bezeichnen würde, habe ich Rückenwind. Nichts dringt durch meine Laufweste. Sehr nett. Ein Stückchen geht es an Mehrfamilienhäusern vorbei, bei denen der Hausmeister besonders fleißig zu sein scheint - anstelle nur den Schnee wegzuschieben, hat er hier (mit einem Flammenwerfer?) alles abgetaut. Und so spritze ich mächtige dicke, matschige Dreckwasserfladen an die geparkten Autos, wenn ich knirschend die Häuserfront ablaufe.

Ein älteres Ehepaar beobachtet mich. Er ruft "Ah, das ist gesund!". Jo, denke ich mir, hebe nur meinen rechten Arm zum Gruß und laufe stumm weiter. Nur nicht aufhören, im richtigen Rhythmus zu atmen!

Dann kommt, wenn ich mein Haus passiert habe, der angenehmste Teil: An den teuren Villen mit ihren hohen Zäunen und abschreckend blinkenden Alarmanlagen vorbei, wo angeblich Til Schweiger und Gudrun Landgrebe wohnen, dann eine schöne 90-Grad-Kurve, Einbahnstraße, keine Autos mehr, viel Platz und dann tauche ich ein - Dunkelheit umfängt mich, das rhythmische Knirschen meiner Sohlen verläuft sich in einem Winterwunderwald. Herrlich, wie er zauberhaft eingeschneit und nur spärlich erhellt gruselig still daliegt. 500 Meter Märchenwald, dann einbiegen in die Zivilisation.

Dritte Runde. Mein rechtes Knie meldet sich. Ruft mir Verlockendes zu: "Ach Scheiß was, Alter, gehe doch nach Hause. Du musst das hier nicht machen! Fit bleibst Du auch so!" Aber ich höre nicht hin. Laufe an meiner Haustür vorbei.

6,3 km
Kopf frei bekommen. Ablenken. Nicht auf den Schmerz hören. Witzigerweise habe ich keine Seitenstechen bekommen. Woran liegt das, zum Teufel? Ich bin jetzt auf der dritten Runde, eine mehr als sonst, und fühle mich - atemtechnisch - wie neu geboren. Und sonst sticht es nach der Arbeit schon nach einer Runde? Muss am Atmen liegen, denke ich mir, muss am Atmen liegen.

Mir tut mein Knie weh. Irgendwann fängt es auch im Linken an zu ziehen. Nicht schön, bei Knieschmerzen bin ich sehr vorsichtig. Versuche mich abzulenken, denn immerhin muss ich nur noch diese Runde hier fertig laufen, dann noch 4 Runden und ich hab es geschafft. Was Neues probiert.

Ablenken, wegdenken, die Gedanken auf eine Reise schicken, raus aus diesem Körper, weit, weit weg ...

Ich komme bei einer Ex-Freundin an. Einfach so. Unvermittelt. Ah, Danke, Gehirn, das gibt jetzt aber Kraft! Also wieder ablenken. Versuchen, woanders hinzukommen. Mein Liegerad? Meine Touren in dieser Saison?

Da bellt es mich an von der Seite. Ein kleiner Wadenbeißer rennt auf mich zu, die Leine rattert durch Omas Ratsche. Aber sie stoppt ihn nicht. Ich blaffe zurück. Der Hund hält an. Scheißviech! Warum kann Oma ihn nicht halten?

Vor mir eine weitere ältere Dame. Läuft genau in der Mitte des Weges. Ich laufe extra laut. Platsch-platsch-platsch. Mache Geräusche, dass sich da was nähert. Das muss sie doch hören! Aber Omi geht nicht zur Seite. Mitte - und stur weiter. Ich streife sie, Strafe muss sein, einen Ausfallschritt in den hohen Schnee. "Huch!", macht sie erschrocken. Tja, Süße, da musst Du halt mal Deine iPod-Stöpsel rausnehmen ...

Aber wenigstens etwas abgelenkt vom Schmerz.

Ja, gesund ist es hier, denke ich mir, als ich auf die lange Gegengerade einbiege und die Sonne im Gesicht habe. Meine Sonnenbrille hält die Blendwirkung ab. Ah, eine Wohltat - es wärmt am ganzen Körper! Na los, kommt, Melatonin und Endorphin, raus mit Euch!

Gesund bleiben. Frische Luft. Gerade in diesem Bibberwinter wichtig. Nein, ich bleibe nicht den ganzen Tag in meiner hermetisch abgeriegelten Wohnung, atme trockene Heizungsluft und sonne mich in künstlicher Wärme - draußen zu laufen, minus 5 Grad Celsius, dampfen, die Wärme von Innen heraus erzeugen, schwitzen - eine Kneipp-Kur ohne Wassertreten - und dann gleich unter die heiße Dusche. Das härtet ab, das stärkt das Immunsystem. Das hält nicht nur fit, sondern auch gesund.

Ich war in der Wintersaison 2009/10 nicht ein einziges Mal krank.

Wegdenken. Weg vom Schmerz! Ich muss mich zwingen, nicht an das Knirschen und Knacken und Stechen in den Knien zu denken. Wegdenken.

Wieso lande ich nur immer bei ihr?

8,6 km
Alter! Alter-Falter, Aaaaalter-Verwaaaaalter! Denke ich mir, als ich mich wieder einmal an meiner Haustür vorbeischleppe. Vier Finger sind mittlerweile abgespreizt. Vier von sieben, die ich spreizen muss.

Diese Knie bringen mich um! Und dazu noch ein Ziehen im HWS-Bereich. Die Kälte kriecht langsam die Schultern hinab. Alles verspannt. Um mich zu motivieren visualisiere ich mein Ziel und alles, was damit zusammenhängt. Auch so eine Technik, die ich beim Radfahren, bei besonders schwierigen - psychisch besonders schwierigen - Etappen anwende. Einfach alles vorstellen, wie es sein würde, wie es sich anfühlen würde. Jede Einzelheit. Wie es riecht, wie es aussieht, wie es sich anfählt.

Und da habe ich es vor meinem inneren Auge: Das Bild des Siegers.
Es ist meine Badewanne. Gefüllt. Mit heißem Wasser. Und ich in ihr.

Laufen. Mal was anderes. Rollentraining ist bei mir in diesem Jahr nicht möglich, die Speedmachine ist in der Werft. Aber das ist ganz gut, denke ich mir. Mal was anderes. Denn das ist auch so ein Problem: Da fährst du 10.000 Kilometer Jahresleistung, deine Schenkel schwellen aufs Maximum, alles fein, aber dann machst du in der Wintersaison genau das selbe. Einseitig, sehr einseitig. Radprofis wirken dem entgegen, indem sie Krafttraining machen, Rückenmuskulatur, Oberkörper und Rumpf. Arme, naja, die kann man vernachlässigen, Muskeln hier kosten eh nur Gewicht und bringen beim Radfahren nix, aber die Stützmuskulatur, die trainieren sie.

Nun, beim Laufen trainiere ich zwar nicht wie in einer Muckibude, an meinen Muskelkatern aber merke ich, dass mir die Katzen aus ganz neuen Regionen meines Körpers zumauzen, und das ist gut - ich wirke dem einseitigen Training der Beinmuskulatur (und höchstens noch der Bauchmuskeln) beim Liegeradfahren entgegen, denn beim Laufen läuft der ganze Körper. Und am besten ist es für meinen Rücken, das merke ich. Zwar nicht jetzt, gerade jetzt, aber heute probiere ich ja auch was Neues.

Wieder einbiegen, vorbei am Sportzentrum Sachsenwald, wo die Squash-Speieler sich im Neonlicht die Bälle um die Ohren schlagen und sich Bi- und Trizepse an Stahlhanteln stählen, dann wieder durch die Einfamilienhäuser, meinen Aldi grüßend. Zielgerade. Meine Haustür. Finger abspreizen.

Leute, das tut weh!

10,7 km
Hälfte geschafft. Scheiße. Ich sterbe. Was für eine bekloppte Idee?! "Was Neues probieren." Aha. Aufhören geht nicht mehr. Ab der Hälfte muss mans durchziehen, nimmt einem ja keiner ab sonst, dass man zu schwach war. Wenn du die Hälfte von etwas schaffst, dann schaffst du auch das Ganze. Einfach. Klar. Logisch - denn ab er Hälfte muss du nur das selbe nochmal schaffen, nur, dass du zurück zählen kannst. Aha. Das hilft jetzt aber wirklich!

Und immer diese Frage: Wo wohnt hier denn nun Gudrun Landgrebe ...?

Ziel des Wintertrainings im letzten Jahr war es, meine Leistungsfähigkeit auf dem Rad zu verbessern. Viel GA1-Training. Viele Leistungsspitzen als Anreize zur Steigerung der Leistungsfähigkeit unter und über der Schwelle.

In diesem Jahr ist es anders. 2009 habe ich mit fast 10.000 Kilometern zwar mehr als 5.000 Kilometer weniger erreicht, als ich mir in meinem Hirn ausgemalt hatte, dafür aber in ziemlich harten Touren - Canada und Japan - meine Leistungsfähigkeit erhöht, wie in sonst keiner Saison.
Berge schrecken mich nicht mehr.

Also kann für mich im Training das Ziel eher lauten, diesen meinen Trainingszustand zu halten. Laufen, finden ich, ist da perfekt. Wirklich.

Zwar vermisse ich meine Speedmachine, keine Frage. Wie gern würde ich mich - gerade heute, an diesem tollen Samstag - einfach in den Sitz sinken lassen, die Steroanlage vor mir auf volle Lautstärke drehen, ein schnieke Set von einem meiner Lieblings House-DJs auflegen und zwei, drei Stunden reintreten. Ja, das wäre was.

Neben mir stehen lecker Dinge, die ich essen oder trinken kann. Oder einfach jemanden anrufen und schnacken. Aber nein. Heute muss ich ja was Neues ausprobieren.
Man, denke ich mir. Noch drei Runden.

Atmen. Ein und aus. Ein und aus. Linkes Bein. Rechtes Bein. Rotz läuft aus der Nase, jedes Mal, wenn ich nach unten schaue. Rotz, lange Fäden. Ach was solls, denke ich mir, und schnaube in meine Handschuhe. Die kommen eh gleich in die Wäsche. Scnaub. Ekelig. Gefriert bestimmt gleich. Gefrorener Nasenschnodder. Mal was anderes.

Ich biege wieder in den Märchenwald ein. Schaue nach unten. Sehe meine Schenkel. Sehe meine Schuhe. Sieht gut aus, befinde ich.

13,5 km
Noch vier Runden. Durch den Schnee. Durch Massen von Schnee. Es klingt still. Nur die Flugzeuge, die im Minutentakt vom Airport im Tiefflug unter Vollast über Niendorf starten. Meine Schritte hingegen machen keinen Lärm. Erhaben, jungfräulich fast.

Lieber Gott ... Mama ... Gudrun Landgrebe .... das tut weh hier!

17,5 km
Your Mind puts You forward! - sage ich mir immer wieder. Kann kaum noch meinen Kopf heben. Kann kaum noch ruhig atmen. Muss mich zwingen, nicht dem Impuls nachzugeben und einfach taktlos mit offenem Mund zu pumpen. Die Arme tun weh, der rechte schläft mir sogar immer wieder ein, meine Knie scheinen zu bluten, ich traue mich schon gar nicht mehr, nach unten zu sehen.

Und immer wieder zwinge ich mir motivierende Gedanken auf. Los, motiviert mich! Ja, genau. Es ist nicht der Oberschenkelmuskel, der dich ein Gebirge überfahren lässt, der dich die Steigungen hochpusht, der Dich schnell macht, der Dich ankommen lässt. Nein. Es ist Dein Geist.

Ein starker Wille lässt den Körper noch arbeiten, wenn der schon längst aufgegeben hätte. Es ist der Wille, der die Steigung ebnet. Es ist der Wille, der über die Laktate siegt. Und den, den kann ich nicht auf der Rolle trainieren, denn die Rolle ist viel zu nett. Sie steht im Trockenen, im Warmen. Hier habe ich Musik, hier habe ich TV, da steht Trinken neben ihr auf dem Wohnzimmertisch, da steht was zu Essen, es ist, wie von einer Sänfte getragen zu werden.

Nein, den Geist, den Willen, den kann ich nur hier trainieren. Nur hier draußen. Wo es kalt ist. Wo es feucht ist. Und wo jede Runde noch ein bisschen mehr weh tut, als die davor. Und hier, wo alle 3 Kilometer die Tür zu meiner Wohnung lockt, genauso unwiderstehlich wie die Sirenen einst Odysseus versuchten, ihn und die Argonauten vom Schiff zu locken.

Hier ist sie, keine 5 Wände, keine 2 Treppen entfernt: Meine Badewanne. Wonne.

Und ich? Ich spreize einen weiteren Finger ab und laufe vorbei. Grinse. Siehste, mein Geist ist stärker. Ha! Und schon fährt mir ein gewaltiger Schmerz das Knie hinauf. Und ich höre auf zu grinsen.

20,0 km
Langsam hat der Spaß aber ein Ende.
Zum siebten Mal vorbei an Gudrun Landgrebe. Ich habe ihr einfach die schönste aller Villen gegeben. Da sitzt sie wohl gerade. Frühstückt. Ein Golden Retriever liegt zu ihren Füßen. Leckere Croissants. Französische Marmelade. Kaffee. Sie sitzt bestimmt hinter dieser schicken weißen Fassade. Schaut vielleicht hinaus. Sieht mich und fröstelt - dann dreht sie den Wasserhahn auf und lässt noch etwas heißes Wasser nach. Gudrun frühstückt gern Sonntags im Bad ...

Schnauze voll. Echt. Wirklich. Selbst die Sonne auf der Gegengeraden kann mich nicht mehr erfreuen. Ich sterbe hier. Keine Energie mehr.

Letzte Runde. Zum letzten Mal Rentnerslalom. Zum letzten Mal durch den Märchenwald. Zum letzten Mal an den Muckisportlern vorbei, vorbei auch an diesem süßen Mädchen, das die letzten drei Runden schmächtig und unbeholfen versucht, den Weg freizuschaufeln. Aldi, voll wie immer, es gibt wohl frisches Gemüse? Die Kirche (die nicht ein bisschen den Schnee weg geräumt haben) und wieder eingebogen auf die Zielgerade.

Ein paar hundert Meter noch.
Ein paar hundert Schritte.
Hundert mal atmen.
Hundert Nadelstiche im Knie.
Hundert komische Gedanken.
Hundert Gründe, sofort aufzugeben.
Und hundert Siege über mein faules, schwaches Ich.

21 km
Der Halbmarathon. Das war er also.
Leer, mein Kopf, als ich die Wanne voller Wasser lasse. Heiß, heißer, so heiß, wie es nur geht.
Mal was Neues ausprobieren. Aha. So kann man Samstage auch verbringen.

Ich weiche mich ein. Nasse Hitze. Zieht ein in die geschundenen Knie. Ah, eine Wohltat. Das war er also. Der Halbmarathon. Denke ich mir, tauche meinen Kopf ein und freue mich still.

Sieben Runden. Sieg. Nicht schlecht für einen Samstag, an dem man auch gut auf dem Sofa im warmen Wohnzimmer hätte liegen und Zappen können.

Sieg, denke ich mir, gebe die Landgrebe, und drehe den roten Wasserhahn auf ...


P.S. - Sonntag. Ich kann kaum laufen. Schmerzen. Schmerzen. Ich schreibe diesen Blogpost und überprüfe noch einmal die exakte Länge meiner Hausrunde. Verdammt, durchfährt es mich - die ist nämlich nur 2,9 km lang. Also bin ich mit meinen sieben Runden nur 20,3 km gelaufen - ganze 700 Meter zu wenig für einen echten Halbmarathon. Also, denke ich mir, dann wieder alles auf Anfang. Ich habe ein Ziel.

20 Januar 2010

Celebrating Celeste: Mein Testrohr

UPS-Zettelchen im Briefkasten. Ich klingle bei meinen Nachbarn, tausend Schuhpaare vor der Tür. Durch diese dringt verhalten lautstarker Lärm - es wird gefeiert. Der Sohn öffnet, eine Welle Fröhlichkeit schwappt mir entgegen: "Hat jemand Geburtstag?", frage ich.
"Nein, nein - oder so ähnlich." Er erklärt es mir. "Jede jugoslawische Familie hat einen Schutzheiligen. Und unserer hat heute seinen Tag."
Ah. Eine schöne Tradition, finde ich, als er mir mein Paket gibt.

Ausgepackt. Das Testrohr vom Pulverbeschichter - 40 cm Alu. Beschichtet. Glänzend. Und wie es strahlt: Celeste und Weiß. Original Bianchi-Ton. So, wie mein Liegerad in dieser Saison erstrahlen soll.

"Wow!", entfährt es mir vor lauter Freude. Das Ding ist ja der Hammer! Der Ton genau so, wie ich ihn mir wünsche. Genau so, wie das Bianchi-Rennrad von meinem Spezi Jan auf unserer Schweden-Tour 2008 mir immer so imponiert hat. Genial mit dem Weiß, Wahnsinn, freue ich mich.

Jugoslawien. Bosnien. Serbien. Kroatien. Whatever, denke ich, als ich wieder von nebenan lautes Gelächter und treibende Bässe der Schutzheiligenparty höre: Wo auch immer in diesem Vielvölkerstaat auf dem Balkan Ihr Eure Wurzeln habt, es ist auf der anderen Seite der Adria. Gegenüber von Italien. Dem Bianchi-Land.

Vielleicht ja ein Geburtstagsgeschenk Eures Schutzheiligen an mich. Und wer weiß, ich kann mich ja demnächst revanchieren? Das Testrohr jedenfalls bekommt einen Ehrenplatz. Und ich kann es jetzt kaum noch erwarten, endlich meine neue Speedmachine wieder unterm Hintern zu haben. Denn da habe ich es mir testweise kurz mal hingehalten.

Passt!

16 Januar 2010

Sarah´s First Time Bent

Ach, ein herrlicher Tag. Nicht so sehr, weil Wochenende ist. Auch nicht so sehr, weil sich Hamburg mal wieder in perfektem Winterspaziergehwetter präsentiert. Nein. Es ist ein perfekter Tag, weil ich heute ins Liegeradstudio kann. Nicht wegen mir.

Nein, ich bin hier heute nur Staffage.

Sarah hat ihren großen Auftritt. Sie tut es heute zum ersten Mal. Im Liegen. Hohe Ziele: Eine Speedmachine will sie Probe fahren. Warum auch nicht? Ich hatte mir das damals bei meiner ersten Fahrt auch vorgenommen.

Und schnell ist sie organisiert, die Audienz beim Liegeradpabst. Bernd begrüßt uns mit großem Grinsen, wir grinsen noch größer zurück und da steht sie dann auch schon, die Speedmachine. Silber. Tief geduckt. Bereit.

Nun ist es aber dem guten Michael Schumacher auch nicht so ergangen, dass man ihn hat sich gleich in einen Formel 1-Boliden setzen lassen. Sarah startet gemächlich - mit dem Grashopper von HP Velotechnik.

Eine kleine Einführung in Sachen Sitzhaltung, wie das Lenken funktioniert und was man sonst noch alles beachten muss und schon lässt sie sich in den Sitz gleiten. Ungewohnt, befindet sie, aber spannend. Ich besehe mir das alles und muss staunen, mit welcher Unverkrampftheit sie sich auf das Rad einlässt, ihre Füße hochnimmt und die ersten Runden durchs überdachte Atrium dreht.

Irgendwann - und zwar ziemlich schnell - lässt Bernd sie einfach los. Sie fährt. Allein. Dreht Kurven. Fährt geradeaus. Schlängelt um die Schlingpflanzenkübel, unter Treppen und um die Pfeiler des Hauses herum, ganz so, als habe sie in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht.

Bernd steht neben mir. Und fragt anerkennend: "Sie macht macht das Spitze! Treibt sie denn Sport?" "Weiß nicht," antworte ich, "ich glaube, sie hat mal geturnt. Oder so."
Aha, nickt er. Und wieder schlängelt sie sich gekonnt zwischen den anderen Liegerädern und uns hindurch.
"Also. Sie hat die perfekte Liegeradhaltung."

Ein bisschen stolz bin ich jetzt auch. Wie Papa. Und mache noch ein paar Fotos.
Bernd schwärmt weiter: "Und schau Dir mal ihre Hebel an!"

Ja, Sarahs Hebel, die sind schon ´ne Wucht ...

Nun hat sie Feuer gefangen. Denke ich mir so. Denn sie bremst. Ein breiter Grien zieht sich von links nach rechts. "Mehr. Schneller. Speedy!", fordert sie.

Also gut, meint Bernd, und parkt den Grashopper.
Dann steigt sie um.
Lässt sich in die Speedmachine gleiten.

"Wow, tiefer.", sagt sie.
Ja, tiefer ist dieses Bike allemal!

"Leute - Bitte!", sage ich, "die muss doch tief sein, damit Du es all den selbstgeilen Rennrad-Typen zeigen kannst ..."

Und nervöser fährt sie sich am Anfang auch, die Speedmachine, denke ich mir so, als Bernd sie wieder anschiebt. Ich bin gespannt, wie sie das Umsteigen meistert. Es dauert genau eine Kurve.

Er lässt sie wieder los. Tadaaa - denke ich mir - da fährt sie wieder. Naturtalent. Sarah kann liegen. Steuert die Speedmachine immer sicherer durchs Atrium.
Und ich meine, dass auch ihr Grinsen breiter wird.

Gut sieht das aus. Von links nach rechts. Quer durch. Sie dreht ihre Runden. Beschleunigt mal, bremst dann ab. Schaltet hoch und runter. Bremst. Testet das Kurvenverhalten.

"Schneller! Schneller!", ruft sie. Leider ist es draußen zu eisig, als dass man mal flux die Bahrenfelder Chaussee entlang düsen könnte.

Rundenlang. Ich mache Fotos. Schnacke mit Bernd.
Speedmachine und Sarah werden Freunde.

Wie muss das erst mit ordentlichen Klick-Schuhen sein?
Wie muss das erst mit einer perfekt auf sie abgestimmten Konfiguration sein?

"Und hey," ruft sie, "Du hast mir wirklich nicht zu viel versprochen!"
Aha. Siehste, denke ich mir, das ist der Beweis: Liegeradfahren ist also nicht nur etwas für spinnerte Jungs, sondern durchaus auch was für schöne Frauen.

Und für diesen Beweis schuldet mir die Liegerad-Welt etwas.

Sie steigt ab. Grinst. Lacht. Ist ganz wuschig und zuppelt an meinem Arm.
Ob sie ihr Auto verkauft? Liegeräder, noch dazu die von HP Velotechnik, sind zwar die besten, aber nicht gerade die preiswertesten.

Ob sie von Chucks auf SPD-Cleats umsteigt?
Ob sie die Lose-fit Levi´s 501 gegen eine windschnittige Radkombi tauscht?

Jetzt, wo ihr das Adrenalin und die Endorphine nur so aus der Nase quellen, sicher ja.

Bernd nutzt die Gunst der Stunde: "Du hast eine FAST-Figur.", sagt er und stellt ihr ein weiteres Liegerad hin.

Es ist das kompromisslose, ungeferderte ZZ Horizont FAST, das er selbst konstruiert hat und seit Jahren baut, verkauft und schon erfolgreich bei diversen Rennen eingesetzt hat.
Ein Racer. Kein Schnickschnack. Alles, was bremst, ist weggelassen.
Alles, was schnell macht, bis zum Ultimativen getrieben.

Mich hat er noch nie in ein FAST setzen lassen. Vielleicht gefallen ihm meine Hebel nicht so?

Und wieder staune ich, wie natürlich es sofort bei ihr aussieht. Sie hebt ihr Bein, schwingt sich in den Carbon-Sitz und greift zum ultraschmalen Tiller-Lenker. Wenn es nach Bernd ginge, wäre da sowieso nur ein Joystick.

Sie wundert sich kurz. Und schon wird sie angeschoben. Füße hoch, eine Kurve - Bernd lässt los and off she goes.

Als ob sie den ganzen Tag nichts anderes macht.
Sie manövriert Blumenkübel aus.
Nimmt souverän das Kopfsteinpflaster, das der Innenhof teilweise bereit hält und fliegt schon einige Minuten später vollkommen sicher von einer Ecke in die andere.

Ein älterer Mann kommt vorbei und bleibt bei Bernd und mir stehen.
Er deutet auf sie und meint: "Beim Schlafen Radfahren, sowas hamwa gerne!"
"Haha," macht der Bernd da. Was soll man auf so viel Klugheit schon antworten? Und auch ich denke mir leise - wenn ich für jeden dieser dummen Sprüche nur einen Euro bekommen hätte, könnte ich ihr jetzt ihre eigene Speedmachine aus dieser Deppenkasse bezahlen.

Sarah stört es nicht.
Sie ist woanders.
Weit weg.

Irgendwo auf einer Straße. Vielleicht geht es ein bisschen bergab. Es ist Sommer. Es ist warm. Sie treibt sich nach vorn. Gibt Gas. Ihre Haare nass unter einem Helm, ihre Waden stramm und braun gebrannt. Und unter ihr das eigene Rad.

Pink soll es werden, hat sie mir mal gesagt.

Wir werden sehen, denke ich mir. Aber so, wie sie da gegrinst hat ... vielleicht in gar nicht allzu ferner Zukunft?

Ach, ein herrlicher Tag.
Im Liegeradstudio gewesen.
Mit einem Menschen eine Erfahrung geteilt, die so wenige verstehen, die mir aber so viel bedeutet.

Sarah, alles, was Du nun noch machen musst, ist, Deinen Stinker zu verkaufen und die aus der unendlichen RAL-Palette einen geilen Ton aussuchen. Und dann, das verspreche ich Dir, wird Dein Pink Panther den Asphalt zum Kochen bringen.

Aber dass sie es vielleicht wirklich ernst meint, kann ich mir schon denken. Immerhin hat sie sich gleich noch meine "Höllentour"-DVD ausgeliehen ...

09 Januar 2010

Neu im Club?

Dass einem als Liegeradfahrer die holde Damenwelt zu Füßen liegt, kann man nicht gerade behaupten: Wie im Rest der übrigen, dann doch bei allem Liberalismus überraschend konservativen Gesellschaft, sehen die weiblichen Zuschauer dem Liegeradler dann doch auch eher belustigt hinterher, als dass sie dahinschmelzen würden. Leider.

Und auch ein bisschen unverständlich, denn immerhin sind unsere Schambeine nicht gequetscht wie bei den schmalen Folterteilen, diesen Carbon-Sterilisatoren, die man als Rennrad-Sättel bezeichnet, immerhin schnüren wir nicht unsere Samenstränge ab und killen die Libido - nein, ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass gerade das Fahren eines Liegerades besonders sexy macht. Warum? Na, wir liegen schon.

Anyway. Gestern ist ein Wunder passiert. Wirklich. Ich habe es sogar schriftlich. Sarah, Musterfrau, ja, Traum in einem. Sie will ein Liegerad. Nee, im Ernst. Will sie. Probefahrt-Termin im Liegeradstudio steht schon. Ihre Beine sind ausgemessen, der Ausleger kann justiert werden.

Ach, und Nein, Jungs, haltet den Ball flach: Sie ist vergeben. Aber immerhin - sie wird sich hinlegen.

Sarah, dieser Blogpost ist für Dich - er soll Dir Mut machen, soll Dich ein bisschen einstimmen und Dir sagen: Neu im Club? Du bist herzlich willkommen. Und hey, Du wirst eine Menge, Menge Spaß haben.

Zehn Dinge, die Du vorher vielleicht noch wissen solltest ...

Erstens - Du stellst Dich auf eine Bühne.

Ja, das tust Du wirklich. Ein Liegerad zu fahren bedeutet, dass Dich alle anschauen werden. Sie werden sich nach Dir umdrehen, sie werden Dich anstarren. Einige werden Dich belächeln, wenige werden Dich auslachen und einige werden Dich anhupen, anbrüllen und beschimpfen. Die meisten, sie werden stehen bleiben und starren. Wie im Zoo. Man wird Dir Fragen stellen, die Dich am allgemeinen Wahlrecht zweifeln lassen: "Kann man damit fahren?" oder "Fallen Sie nicht um?"
Ja, Du wirst ein Star sein. Beim Warten an Roten Ampeln, wenn sie Dich anstarren, diese Radwegnazis. Wenn Kinder mit offenem Mund auf Dich zeigen.
Du wirst im Mittelpunkt stehen.
Immer.

Zweitens - Du wirst zum Kauz.

Ja, kann man so sagen. Du bist eine Frau und hast daher das Shoppen eh im Blut - ich als Kerl musste das erst noch lernen. Aber Dein Shoppingverhalten wird sich ändern. Du wirst keine Puma-Sneaker schießen, sondern Dich freuen, den neuen ultraleichten Racingschuh von Shimano ergattert zu haben. Du wirst Dich für Funktionsunterwäsche und Trikots interessieren und Dich mit Dir jetzt noch vollkommen unbekannten Produkten wie Power-Gel, Cleats oder Supremes auseinandersetzen.

Deine Freunde werden Dich nicht mehr verstehen, denn Du wirst die Freitagabend Cocktailparty schon um 22 Uhr verlassen, um am Samstag nicht auszuschlafen sondern Dich spätestens um 7 Uhr aufmachen zu einer 185 km-Tour nach Pellworm, damit Du noch unbedingt den Sonnenaufgang miterleben kannst.

Du wirst Dich um Deine Glykogenspeicher kümmern, Du wirst mit Spannung Deine Laktatschwelle bestimmen und Du wirst Dich freuen wie eine Schneekönigin, wenn Du den aktuellen Helm Deiner - Dich nun brennend interessierenden - favorisierten Tour de France-Equipe aufsetzen kannst.

Drittens - Du wirst sexy.

Ich hatte es ja angedeutet. Und das heißt nicht, dass Du jetzt nicht auch schon sexy wärst, aber Du wirst Deinen Körper in einer Weise neu entdecken, die Dir noch nicht einmal ansatzweise klar ist. Du wirst Muskeln ausdefinieren, die so wunderschon anzusehen sind, dass Du sie in Silikonabdrücken verewigen mögen wirst. (Wir verstehen uns? :o)

Du wirst so fit werden, wie Du noch nie fit warst.

Leute, die Rolltreppen und Fahrstühle benutzen, wirst Du mitleidsvoll anlächeln, während Du drei Strufen der Treppen mit einem mal nimmst und Dich freust über jede Bewegung, die Dich Deine kräftigen Liegeradschenkel nach oben drücken.
Du wirst nicht nur kräftig werden - Du wirst Dich kräftig fühlen.

Und Kraft ist sexy.
Selbstvertrauen ist sexy.
Liegerad - das ist purer Sex. Denn immerhin liegst Du die ganze Zeit und starrst Dir zwischen Deine tollen Beine, wie sie im Schweiß und Sonnenlicht glänzen und wie bei treibenden Beats aufregend auf und ab stampfen.
Wow, wirst Du denken. Und Dich selbst als ganz neu wahrnehmen.

Viertens - Du wirst zum Raumfahrer.

Schnell wird sich Dein Bild und Dein Verständnis von Zeit und Raum verändern. Denn bald wirst Du merken, dass diese Welt ein Klacks ist. Strecken, die Dir vorher unmöglich und nur mithilfe von Autos, Zügen oder gar Flugzeugen machbar erschienen, wirst Du Dir erobern. Und dann wirst Du zum Raum-Fahrer.

Du wirst eine Fähigkeit entwickeln, die so fantastisch ist, weil sie nur ganz wenige haben - Du wirst auf Landkarten schauen und sagen können: "Das sind vier Tage."

Kilometer verlieren ihre Bedeutung. Strecken wirst Du nicht mehr nach abstrakten Begriffen wie Entfernung oder dergleichen beurteilen. Du wirst Tage sehen. Und Dich in ihnen. Du wirst Dich sehen, wie Du Landschaften aufsaugst, wie Du Luft atmest, bewusst atmest, wie du Natur siehst und Wetter erleben wirst. Du schaust auf die Erde, wie es nur Raumfahrer können. Und das ist das größte Geschenk eines Liegerades.

Fünftens - Du wirst süchtig werden.

Ein Liegerad zu fahren heißt, Leidenschaft auszuleben. Das Liegerad wirst Du Dir nicht einfach nur kaufen, mal eben ab und zu damit herumkurven, mal hierhin, mal dorthin. Mal Brötchen holen und dann mal wieder nicht. Nein. Dein Liegerad wirst Du hegen. Tätscheln. Du wirst es zu erst vielleicht noch im Keller haben, aber schnell schon wird es einen Platz in Deinem Wohnzimmer bekommen, denn Du wirst es so sehr pflegen, dass es der glänzende Mittelpunkt Deiner Wohnung werden wird.

Du wirst dafür Sorgen, dass die Reifen immer genügend Luftdruck haben, Du wirst bei der kleinsten Schramme das Lenkerband austauschen. Du wirst morgens, wenn es regnet und Du ausnahmsweise mal die S-Bahn nehmen musst, nicht aus dem Haus gehen, ohne vorher wenigstens einen Blick auf das Rad geworfen zu haben.

Du wirst Dich schlecht fühlen, wenn Du an einem trockenen Tag nicht mindestens eine 50 km-Trainingsrunde in die Harburger Berge unternommen hast und Du wirst wie ein Junkie auf Kaltentzug fingernägelkauend bei Deinen Eltern am Kaffeetisch sitzen und es gar nicht erwarten können, endlich aus der Jeans raus und in Deine engen Bike-Klamotten zu kommen.
Morbus Recumbentis ist nicht heilbar!

Sechstens - Du wirst Pleite sein.

Oh ja, das wirst Du. Vom Anschaffungspreis mal abgesehen und der an eine rauschende Kokain-Tequillanacht in Vegas erinnernde Bestellorgie von allerlei geilen Zusatzoptionen wie hydraulischen Scheibenbremsen, BodyLink-Sitzen mit AirFlow-Auflage oder einem Speedhub in rotem Eloxal wirst Du Dir Websites bookmarken, bei denen Du immer die neuesten Bike-Computer, Trainingsklamotten oder Hohlkammerketten bestellen kannst.

Du wirst den 15ten des Monats mit Sehnsucht erwarten, denn Du hast Dir wie bei Peter Zwegat auf einem Chart Dein monatliches Budget für Liegerad-Spendings ausgerechnet, das nach Eingang Deines Gehaltes auf dem Konto sofort investiert werden muss. Sei es in neue Teile, in neue Schuhe oder in das neue Trikot.

Dispo. Umschulden. Raten. Alles keine Fremdworte mehr.

Aber weißt Du was? Es wird Dir scheißegal sein, denn Du wirst etwas sehr Essenzielles erkannt haben: Ein Konto mit einer Menge Geld nutzt Dir gar nichts, wenn Du dieses Geld nicht verwendest, um Dir diese Welt zu erobern. Denn was so unendlich wichtig für Dich geworden ist, wird die Natur sein, das Draußen, das Weg. Geld ermöglicht Dir das. Und deshalb ist das, was Du da tust, nicht sinnloser Konsum und Shoppingwahn, sondern das Erfüllen von Traum.

Siebtens - Du wirst unendlich reich werden.

Das Geld wird weg sein. Aber das spielt keine Rolle mehr für Dich, denn jeder Kilometer wird wie ein Zahltag werden. Wie die Gewinnausschüttung nach einem guten Börsenjahr. Du wirst Sonnenaufgänge erleben, wie sie selbst Steven Spielberg nie hinbekommen würde. Du wirst Tränen in Deinen Augen haben, wenn Du diesen unvergleichlich intensiven Duft eines Tannenwaldes nach einem Sommerschauer riechen wirst.

Du wirst auf Straßen fahren und links und rechts Deiner Route Tiere sehen, die sonst nur dein Unterbewusstsein als verzerrte Flecken hinter einer klimatisierten Scheibe eines 200 km/h schnellen ICE wahrgenommen hätte. Du wirst eines Morgens Dein Zelt am Ufer der Elbe öffnen und den Morgendunst durch das Schilf schleichen sehen, wo Du gestern noch einen intensiven Sternenhimmel bestaunt und Dich in ihm verloren hast.

Dir wird das Herz aufgehen, versprochen, denn Du wirst mit jeder Kurbelumdrehung, auf jedem Kilometer, an jedem Tag und auf jedem Trip so unglaublich viele ehrliche, reine und unbezahlbare Augenblicke erleben, dass Du Dich wie ein Millionär fühlen wirst.
Naja, nicht ganz. Im Unterschied zum Millionär wirst Du glücklich sein dabei.

Achtens - Du wirst gesund werden.

Schnell wird Dir der Zusammenhang von Leistung und Ernähung klar. Ich meine nicht dieses theoretische, das wir alles wissen, weil es uns Johann Lafer und die Becel-Werbung erzählen, nein, ich meine die wirkliche, bewusste Ernährung.

Du wirst wirklich wissen, was das Wort "Kohlenhydrate" bedeutet, weil Du sehen und merken wirst, welches Feuerwerk ein Teller Pasta in Deinen Oberschenkelmuskeln starten wird. Du wirst richtig tolle, gesunde Sachen esssen. Wirst wissen, wann Du was zu Dir nehmen wirst und trinken, Du wirst trinken, wie Du noch nie getrunken hast. Du wirst Dir wie ein Etappensieger am Mont Ventoux und Stolz wie Oskar ein riesiges Steak ordern, nach Deiner ersten 200 km-Etappe, und Du wirst wissen, dass dieser halbrohe Klumpen Fleisch da auf dem Tisch nicht ansetzen wird, Dich nicht fett machen wird - sondern Dich fit und schnell werden lässt auf Deiner nächsten Etappe.

Du wirst eine Gesichtsfarbe haben wie ein junger Gott.
Die wird die Gesundheit nur so aus den Ohren herauskommen.
Du wirst sie alle belächeln, wenn sie morgens mit ihren grauen Gesichtern in den grauen Fahrstuhl steigen. Wow, wie fit und gesund Du sein wirst!

Neuntens - Du wirst Entdecker.

Du wirst Dir die Welt erobern. Nein, nicht, indem Du auf ein Gaspedal trittst. Auch nicht, indem Du im TUI-Katalog eine "authentische Abenteuerreise" buchst. Nein, Du wirst sie Dir wirklich erobern. Die echte, wahre Welt da draußen. Du wirst keine Touristenkulissen besuchen, sondern zu den Menschen fahren. Du wirst fremde Stämme entdecken und ihre rätselhaften Sitten und Gebräuche studieren. Du wirst in Regionen kommen, die abgeschnitten von der "zivilisierten" Welt ihren ganz eigenen Charme bewahren konnten. Du wirst Zugang zu Leuten haben, über die noch nicht geschrieben wurde, die in keinem Film zu sehen sind und die sich nicht verstellen werden, weil sie darauf trainiert sind, Dir Dein Geld abzunehmen.

Du wirst reisen. Du wirst auf einmal all die verloren und verschütt geglaubten Träume wieder ausgraben, die Du als kleines Kind hattest. Old Shatterhand und der Wilde Westen - warum nicht die Rockies durchqueren? Tausendundeine Nacht - zwei Wochen durch die orientalische Estremadura radeln. Du wirst mutig sein. Voran gehen und sie verachten, diese teutonischen Möchtegern-Schliemänner, die ihre fetten, roten Leiber bei Schnitzel und Pommes am All-inclusive-Büffet von Lloret de Mar mästen.

Die Welt wird dir zu Füßen liegen - und die stete Umdrehung deiner Füße wird Dich zu ihr bringen. Zu ihr, dieser unendlich bunten, tollen und liebenswerten Erde, deren Abenteuer und Geheimnisse Dir nun auf einmal, da Du Dich frei gemacht hast vom Pauschaltouri und Frühbucherrabatt so nahe erscheinen.

Zehntens - Du wirst glücklich sein.

Dieses wissende Lächeln, das aus Siddharta Buddha werden ließ. Dass all jene haben, die "es" gesehen haben. Auch Dein Gesicht wird es zieren. Du wirst zu einem kleinen, feinen Kreis von Leuten gehören, die sensibel durch ihr Leben gehen. Die gelernt haben, wirklich zu genießen. Die diese Matrix, die unser Leben zwischen Büro, Internetflatrate und Steuererklärung ist, verlassen können, wenn nicht für immer, dann doch wenigstens an den Wochenenden und in den Urlauben.

Du wirst eine von denen werden, die sich an Dingen erfreuen können, deren bloße Existenz der Masse dieser an Große Koalitionen gewöhnten Bergström-Gucker da draußen nicht einmal bekannt ist.

Du wirst Dein Leben ganz anders gestalten, als Du es jetzt tust.
Denn Du wirst wissen, wie Du Dich glücklich machen kannst - wo alle anderen ihr Leben damit vergeuden, nach dieser einfachen Formel zu suchen. Du wirst sie kennen, diese Formel.

Hinlegen + Einklinken = Glück

Ich wünsche Dir viele tausend Kilometer Glück, liebe Sarah. Ich wünsche Dir viele tausend Liter Schweiß. Ich wünsche Dir, dass Du Dir mindestens ebensolches Glück erfahren wirst, wie ich es getan habe und noch immer tue, auf meiner Speedmachine.

Neu im Club? Es wurde Zeit, dass Du Mitglied wirst!

05 Januar 2010

Liegerad Kalender - der BentCal ist da!

Jaja, lange musstet Ihr warten, liebe Freunde - aber heute ist er gekommen und morgen geht er per Post raus, der BentCal 2010.

Ihr habt mir Eure besten Liegerad-Fotos des vergangenen Jahres geschickt and here we go now: 12 richtig schnieke Bilder im Liegen. Und praktisch ist er dazu auch noch.

Von der Velolsenbande, mit der ich kurz vor dem Japan-Trip mal eben noch eine Runde durch Dänemark gedreht habe, bis hin zu Freunden aus unserer Liegerad-Twitter-Gruppe. Spaß von Januar bis Dezember.

Und wisst Ihr was? Wir machen für den BentCal 2011 einen Fotowettbewerb. Mehr dazu später.

Also, alle, die einen bekommen - er dürfte morgen oder übermorgen bei Euch sein. Alle, die einen haben wollen oder auf den 2011er möchten - mailt mir.

Ride safe - keep it bent!

02 Januar 2010

Ein Neujahrslauf

Nun bin ich ja alles andere als ein Lauf-Freund. Jogging war für mich schon immer ein Graus. Nicht, dass ich es nicht könnte. Nee, auch damals schon in der Schule war das nie ein Problem. Egal ob schneller Sprint oder ausdauernde Langstrecke - kein Ding.

Aber das, wovon Freunde immer berichten, nämlich die Trance, dieses "Du spürst nur noch Tolles" - das kenne ich nur vom Radfahren. Beim Laufen hat sich das leider nie eingestellt.

Aber wie es nunmal so ist - ich komme vom Einkaufen zurück, der Himmel über Hamburg verwöhnt mich mit sattem Blau, Fetzen Weißes hängen vor meinen Lippen. Es ist kalt, aber ehrlich. Es ist stechend, aber frisch. Laufwetter, würden sie an der Alster jetzt sagen.


Also schnell heim, die Beute des Aldi-Gerangels verpackt und überlegt: Soll ich oder soll ich nicht? Nun ja, meine Speedmachine ist noch für Wochen beim Umlackieren und wie soll ich mich bis dahin fit halten? Zudem - ich sehe zwar nicht danach aus, aber die fleischlastige Weihnachtsorgie hat cholesterintechnisch sicher auch bei mir einige Werte in die Höhe schießen lassen.

Also machen wir es - Laufen. Ja, zum Laufen soll es heute gehen.


Gottseidank habe ich meine Erklätung ganz gut in den Griff bekommen. Kein Scherz, sobald es kratzt oder kribbelt in Nase und Hals, ist es eine Flasche Contramutan-Saft, die ich mir stündlich verabreiche das Beste. Und siehe da, die Klosterfrau verspricht nicht zu viel: Die Bakterien machen sich auf und davon.

Es muss wohl am Wasserdost liegen. Oder daran, dass dieses Arzneimittel auch in Celeste gebrandet ist - der Farbe des Jahres 2010, der neuen Farbe meines Liegerades.

Ich kleide mich an. Laufhose - die sich übrigens noch viel besser zum Liegeradfahren eignet, als gepolsterte Bike-Hosen - meine geliebten Pumas, die nur 150 Gramm pro Fuß auf die Waage bringen und dann Mutters Weihnachtsgeschenk.

Sie hat stundenlang in Internet und in Läden der Realwelt gesucht, bestätigte auch mein Daddy, um mir diesen Trainer zu kaufen - mit Streifen in Celeste. Na Mensch, da kann ja nix schief gehen. Ich greife mir vom Sportregal die Handschuhe, meine Helme rufen mir zu "Nimm uns mit!", sie können es gar nicht verstehen, dass ich einen Sport treibe, bei dem sie nicht mitmachen dürfen.

Dann gehts raus. Eine kleine Runde soll es heute nur sein. Ein mal um den Block sozusagen. 3 Kilometer sind das. Maximal. Ich will es ja nicht gleich übertreiben.

Ich laufe. Ich atme ruhig. Nase rein, Mund raus. Kalte Luft sticht mir die Lungenbläschen, räumt sie frei, raus, raus all der Müll und der Scheiß vom letzten Jahr. Ruß und Staub, Zigarettenqualm von der Silvesterparty. Ah, welch´ Wohltat, denke ich, und schaue mir auf die Füße, wie sie leicht wie Federn vom vereisten Aspahlt hochschnellen um einen Meter weiter mit sanftem Krachen wieder die Eiskristalle auf den Gehwegplatten zu zerbrechen.


Die Sonne blendet mich. Ich passiere Familienspaziergänge, andere Läufer, die mich grüßen, Hunde, die mit ihren Herrchen Gassi gehen und die Schwänze wedeln, ja, es ist auch Euer Wetter, ich weiß.

Langsam finde ich Gefallen hieran. Die Seiten stechen zwar schon, aber ich habe Spaß. Hätte ich nicht gedacht, denke ich und lenke meine Schritte durch ein kleines Wäldchen.


Licht fällt in hellen Streifen durch nacktes Gehölz, drüben kracht das Eis, wenn Hasen weghoppeln und hinter mir verwirbelt mein Atem, heißer Atem, guter Atem. Atmen. Frei, Sauerstoff. Muss aufpassen, dass ich nicht überdrehe. Overdose.


Irgendwann komme ich wieder zu Hause an. Schließe meine Wohnung auf und muss grinsen, als ich nackt in die Dusche steige, mein Körper dampft und ich mir das heiße Wasser befreiend über kalte Schultern spritzen kann: Wow, was für ein Gefühl, denke ich, bin glücklich und pumpe mit pochendem Herzen Endorphine und heißes Blut in jedes Kapillargefäß meines Körpers: Nein, Trance, ich habe sie auch heute nicht gespührt, aber dafür, glaube ich, ein ganz gutes Ersatztraining für meine fehlende Speedmachine gefunden.

Und morgen renne ich zwei Runden. Mit Stoppuhr. Es wäre doch gelacht, wenn ich mir hieraus nicht auch einen kleinen Trainingsplan zurecht zimmern könnte, bis ich mein Rad wieder habe?!

Ich sitze da, vor dem Rechner, trinke ein Glas eiskaltes Calpis, das ich in Japan so lieb gewonnen habe und das mir mein lieber SPMRider zu Weihnachten besorgt hat - AAAAHHH, mache ich genüsslich, fülle Glykogenspeicher mit einer süßen Banane auf und zwinkere meiner Couch zu: Und nun, nun bist Du dran!