09 Januar 2010

Neu im Club?

Dass einem als Liegeradfahrer die holde Damenwelt zu Füßen liegt, kann man nicht gerade behaupten: Wie im Rest der übrigen, dann doch bei allem Liberalismus überraschend konservativen Gesellschaft, sehen die weiblichen Zuschauer dem Liegeradler dann doch auch eher belustigt hinterher, als dass sie dahinschmelzen würden. Leider.

Und auch ein bisschen unverständlich, denn immerhin sind unsere Schambeine nicht gequetscht wie bei den schmalen Folterteilen, diesen Carbon-Sterilisatoren, die man als Rennrad-Sättel bezeichnet, immerhin schnüren wir nicht unsere Samenstränge ab und killen die Libido - nein, ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass gerade das Fahren eines Liegerades besonders sexy macht. Warum? Na, wir liegen schon.

Anyway. Gestern ist ein Wunder passiert. Wirklich. Ich habe es sogar schriftlich. Sarah, Musterfrau, ja, Traum in einem. Sie will ein Liegerad. Nee, im Ernst. Will sie. Probefahrt-Termin im Liegeradstudio steht schon. Ihre Beine sind ausgemessen, der Ausleger kann justiert werden.

Ach, und Nein, Jungs, haltet den Ball flach: Sie ist vergeben. Aber immerhin - sie wird sich hinlegen.

Sarah, dieser Blogpost ist für Dich - er soll Dir Mut machen, soll Dich ein bisschen einstimmen und Dir sagen: Neu im Club? Du bist herzlich willkommen. Und hey, Du wirst eine Menge, Menge Spaß haben.

Zehn Dinge, die Du vorher vielleicht noch wissen solltest ...

Erstens - Du stellst Dich auf eine Bühne.

Ja, das tust Du wirklich. Ein Liegerad zu fahren bedeutet, dass Dich alle anschauen werden. Sie werden sich nach Dir umdrehen, sie werden Dich anstarren. Einige werden Dich belächeln, wenige werden Dich auslachen und einige werden Dich anhupen, anbrüllen und beschimpfen. Die meisten, sie werden stehen bleiben und starren. Wie im Zoo. Man wird Dir Fragen stellen, die Dich am allgemeinen Wahlrecht zweifeln lassen: "Kann man damit fahren?" oder "Fallen Sie nicht um?"
Ja, Du wirst ein Star sein. Beim Warten an Roten Ampeln, wenn sie Dich anstarren, diese Radwegnazis. Wenn Kinder mit offenem Mund auf Dich zeigen.
Du wirst im Mittelpunkt stehen.
Immer.

Zweitens - Du wirst zum Kauz.

Ja, kann man so sagen. Du bist eine Frau und hast daher das Shoppen eh im Blut - ich als Kerl musste das erst noch lernen. Aber Dein Shoppingverhalten wird sich ändern. Du wirst keine Puma-Sneaker schießen, sondern Dich freuen, den neuen ultraleichten Racingschuh von Shimano ergattert zu haben. Du wirst Dich für Funktionsunterwäsche und Trikots interessieren und Dich mit Dir jetzt noch vollkommen unbekannten Produkten wie Power-Gel, Cleats oder Supremes auseinandersetzen.

Deine Freunde werden Dich nicht mehr verstehen, denn Du wirst die Freitagabend Cocktailparty schon um 22 Uhr verlassen, um am Samstag nicht auszuschlafen sondern Dich spätestens um 7 Uhr aufmachen zu einer 185 km-Tour nach Pellworm, damit Du noch unbedingt den Sonnenaufgang miterleben kannst.

Du wirst Dich um Deine Glykogenspeicher kümmern, Du wirst mit Spannung Deine Laktatschwelle bestimmen und Du wirst Dich freuen wie eine Schneekönigin, wenn Du den aktuellen Helm Deiner - Dich nun brennend interessierenden - favorisierten Tour de France-Equipe aufsetzen kannst.

Drittens - Du wirst sexy.

Ich hatte es ja angedeutet. Und das heißt nicht, dass Du jetzt nicht auch schon sexy wärst, aber Du wirst Deinen Körper in einer Weise neu entdecken, die Dir noch nicht einmal ansatzweise klar ist. Du wirst Muskeln ausdefinieren, die so wunderschon anzusehen sind, dass Du sie in Silikonabdrücken verewigen mögen wirst. (Wir verstehen uns? :o)

Du wirst so fit werden, wie Du noch nie fit warst.

Leute, die Rolltreppen und Fahrstühle benutzen, wirst Du mitleidsvoll anlächeln, während Du drei Strufen der Treppen mit einem mal nimmst und Dich freust über jede Bewegung, die Dich Deine kräftigen Liegeradschenkel nach oben drücken.
Du wirst nicht nur kräftig werden - Du wirst Dich kräftig fühlen.

Und Kraft ist sexy.
Selbstvertrauen ist sexy.
Liegerad - das ist purer Sex. Denn immerhin liegst Du die ganze Zeit und starrst Dir zwischen Deine tollen Beine, wie sie im Schweiß und Sonnenlicht glänzen und wie bei treibenden Beats aufregend auf und ab stampfen.
Wow, wirst Du denken. Und Dich selbst als ganz neu wahrnehmen.

Viertens - Du wirst zum Raumfahrer.

Schnell wird sich Dein Bild und Dein Verständnis von Zeit und Raum verändern. Denn bald wirst Du merken, dass diese Welt ein Klacks ist. Strecken, die Dir vorher unmöglich und nur mithilfe von Autos, Zügen oder gar Flugzeugen machbar erschienen, wirst Du Dir erobern. Und dann wirst Du zum Raum-Fahrer.

Du wirst eine Fähigkeit entwickeln, die so fantastisch ist, weil sie nur ganz wenige haben - Du wirst auf Landkarten schauen und sagen können: "Das sind vier Tage."

Kilometer verlieren ihre Bedeutung. Strecken wirst Du nicht mehr nach abstrakten Begriffen wie Entfernung oder dergleichen beurteilen. Du wirst Tage sehen. Und Dich in ihnen. Du wirst Dich sehen, wie Du Landschaften aufsaugst, wie Du Luft atmest, bewusst atmest, wie du Natur siehst und Wetter erleben wirst. Du schaust auf die Erde, wie es nur Raumfahrer können. Und das ist das größte Geschenk eines Liegerades.

Fünftens - Du wirst süchtig werden.

Ein Liegerad zu fahren heißt, Leidenschaft auszuleben. Das Liegerad wirst Du Dir nicht einfach nur kaufen, mal eben ab und zu damit herumkurven, mal hierhin, mal dorthin. Mal Brötchen holen und dann mal wieder nicht. Nein. Dein Liegerad wirst Du hegen. Tätscheln. Du wirst es zu erst vielleicht noch im Keller haben, aber schnell schon wird es einen Platz in Deinem Wohnzimmer bekommen, denn Du wirst es so sehr pflegen, dass es der glänzende Mittelpunkt Deiner Wohnung werden wird.

Du wirst dafür Sorgen, dass die Reifen immer genügend Luftdruck haben, Du wirst bei der kleinsten Schramme das Lenkerband austauschen. Du wirst morgens, wenn es regnet und Du ausnahmsweise mal die S-Bahn nehmen musst, nicht aus dem Haus gehen, ohne vorher wenigstens einen Blick auf das Rad geworfen zu haben.

Du wirst Dich schlecht fühlen, wenn Du an einem trockenen Tag nicht mindestens eine 50 km-Trainingsrunde in die Harburger Berge unternommen hast und Du wirst wie ein Junkie auf Kaltentzug fingernägelkauend bei Deinen Eltern am Kaffeetisch sitzen und es gar nicht erwarten können, endlich aus der Jeans raus und in Deine engen Bike-Klamotten zu kommen.
Morbus Recumbentis ist nicht heilbar!

Sechstens - Du wirst Pleite sein.

Oh ja, das wirst Du. Vom Anschaffungspreis mal abgesehen und der an eine rauschende Kokain-Tequillanacht in Vegas erinnernde Bestellorgie von allerlei geilen Zusatzoptionen wie hydraulischen Scheibenbremsen, BodyLink-Sitzen mit AirFlow-Auflage oder einem Speedhub in rotem Eloxal wirst Du Dir Websites bookmarken, bei denen Du immer die neuesten Bike-Computer, Trainingsklamotten oder Hohlkammerketten bestellen kannst.

Du wirst den 15ten des Monats mit Sehnsucht erwarten, denn Du hast Dir wie bei Peter Zwegat auf einem Chart Dein monatliches Budget für Liegerad-Spendings ausgerechnet, das nach Eingang Deines Gehaltes auf dem Konto sofort investiert werden muss. Sei es in neue Teile, in neue Schuhe oder in das neue Trikot.

Dispo. Umschulden. Raten. Alles keine Fremdworte mehr.

Aber weißt Du was? Es wird Dir scheißegal sein, denn Du wirst etwas sehr Essenzielles erkannt haben: Ein Konto mit einer Menge Geld nutzt Dir gar nichts, wenn Du dieses Geld nicht verwendest, um Dir diese Welt zu erobern. Denn was so unendlich wichtig für Dich geworden ist, wird die Natur sein, das Draußen, das Weg. Geld ermöglicht Dir das. Und deshalb ist das, was Du da tust, nicht sinnloser Konsum und Shoppingwahn, sondern das Erfüllen von Traum.

Siebtens - Du wirst unendlich reich werden.

Das Geld wird weg sein. Aber das spielt keine Rolle mehr für Dich, denn jeder Kilometer wird wie ein Zahltag werden. Wie die Gewinnausschüttung nach einem guten Börsenjahr. Du wirst Sonnenaufgänge erleben, wie sie selbst Steven Spielberg nie hinbekommen würde. Du wirst Tränen in Deinen Augen haben, wenn Du diesen unvergleichlich intensiven Duft eines Tannenwaldes nach einem Sommerschauer riechen wirst.

Du wirst auf Straßen fahren und links und rechts Deiner Route Tiere sehen, die sonst nur dein Unterbewusstsein als verzerrte Flecken hinter einer klimatisierten Scheibe eines 200 km/h schnellen ICE wahrgenommen hätte. Du wirst eines Morgens Dein Zelt am Ufer der Elbe öffnen und den Morgendunst durch das Schilf schleichen sehen, wo Du gestern noch einen intensiven Sternenhimmel bestaunt und Dich in ihm verloren hast.

Dir wird das Herz aufgehen, versprochen, denn Du wirst mit jeder Kurbelumdrehung, auf jedem Kilometer, an jedem Tag und auf jedem Trip so unglaublich viele ehrliche, reine und unbezahlbare Augenblicke erleben, dass Du Dich wie ein Millionär fühlen wirst.
Naja, nicht ganz. Im Unterschied zum Millionär wirst Du glücklich sein dabei.

Achtens - Du wirst gesund werden.

Schnell wird Dir der Zusammenhang von Leistung und Ernähung klar. Ich meine nicht dieses theoretische, das wir alles wissen, weil es uns Johann Lafer und die Becel-Werbung erzählen, nein, ich meine die wirkliche, bewusste Ernährung.

Du wirst wirklich wissen, was das Wort "Kohlenhydrate" bedeutet, weil Du sehen und merken wirst, welches Feuerwerk ein Teller Pasta in Deinen Oberschenkelmuskeln starten wird. Du wirst richtig tolle, gesunde Sachen esssen. Wirst wissen, wann Du was zu Dir nehmen wirst und trinken, Du wirst trinken, wie Du noch nie getrunken hast. Du wirst Dir wie ein Etappensieger am Mont Ventoux und Stolz wie Oskar ein riesiges Steak ordern, nach Deiner ersten 200 km-Etappe, und Du wirst wissen, dass dieser halbrohe Klumpen Fleisch da auf dem Tisch nicht ansetzen wird, Dich nicht fett machen wird - sondern Dich fit und schnell werden lässt auf Deiner nächsten Etappe.

Du wirst eine Gesichtsfarbe haben wie ein junger Gott.
Die wird die Gesundheit nur so aus den Ohren herauskommen.
Du wirst sie alle belächeln, wenn sie morgens mit ihren grauen Gesichtern in den grauen Fahrstuhl steigen. Wow, wie fit und gesund Du sein wirst!

Neuntens - Du wirst Entdecker.

Du wirst Dir die Welt erobern. Nein, nicht, indem Du auf ein Gaspedal trittst. Auch nicht, indem Du im TUI-Katalog eine "authentische Abenteuerreise" buchst. Nein, Du wirst sie Dir wirklich erobern. Die echte, wahre Welt da draußen. Du wirst keine Touristenkulissen besuchen, sondern zu den Menschen fahren. Du wirst fremde Stämme entdecken und ihre rätselhaften Sitten und Gebräuche studieren. Du wirst in Regionen kommen, die abgeschnitten von der "zivilisierten" Welt ihren ganz eigenen Charme bewahren konnten. Du wirst Zugang zu Leuten haben, über die noch nicht geschrieben wurde, die in keinem Film zu sehen sind und die sich nicht verstellen werden, weil sie darauf trainiert sind, Dir Dein Geld abzunehmen.

Du wirst reisen. Du wirst auf einmal all die verloren und verschütt geglaubten Träume wieder ausgraben, die Du als kleines Kind hattest. Old Shatterhand und der Wilde Westen - warum nicht die Rockies durchqueren? Tausendundeine Nacht - zwei Wochen durch die orientalische Estremadura radeln. Du wirst mutig sein. Voran gehen und sie verachten, diese teutonischen Möchtegern-Schliemänner, die ihre fetten, roten Leiber bei Schnitzel und Pommes am All-inclusive-Büffet von Lloret de Mar mästen.

Die Welt wird dir zu Füßen liegen - und die stete Umdrehung deiner Füße wird Dich zu ihr bringen. Zu ihr, dieser unendlich bunten, tollen und liebenswerten Erde, deren Abenteuer und Geheimnisse Dir nun auf einmal, da Du Dich frei gemacht hast vom Pauschaltouri und Frühbucherrabatt so nahe erscheinen.

Zehntens - Du wirst glücklich sein.

Dieses wissende Lächeln, das aus Siddharta Buddha werden ließ. Dass all jene haben, die "es" gesehen haben. Auch Dein Gesicht wird es zieren. Du wirst zu einem kleinen, feinen Kreis von Leuten gehören, die sensibel durch ihr Leben gehen. Die gelernt haben, wirklich zu genießen. Die diese Matrix, die unser Leben zwischen Büro, Internetflatrate und Steuererklärung ist, verlassen können, wenn nicht für immer, dann doch wenigstens an den Wochenenden und in den Urlauben.

Du wirst eine von denen werden, die sich an Dingen erfreuen können, deren bloße Existenz der Masse dieser an Große Koalitionen gewöhnten Bergström-Gucker da draußen nicht einmal bekannt ist.

Du wirst Dein Leben ganz anders gestalten, als Du es jetzt tust.
Denn Du wirst wissen, wie Du Dich glücklich machen kannst - wo alle anderen ihr Leben damit vergeuden, nach dieser einfachen Formel zu suchen. Du wirst sie kennen, diese Formel.

Hinlegen + Einklinken = Glück

Ich wünsche Dir viele tausend Kilometer Glück, liebe Sarah. Ich wünsche Dir viele tausend Liter Schweiß. Ich wünsche Dir, dass Du Dir mindestens ebensolches Glück erfahren wirst, wie ich es getan habe und noch immer tue, auf meiner Speedmachine.

Neu im Club? Es wurde Zeit, dass Du Mitglied wirst!

15 Kommentare:

velolars hat gesagt…

Schöner Eintrag! Mit den fremden Stämmen spielst du auf deine Schweden-Tour an? ;-)

Viele Grüße

Lars

Unknown hat gesagt…

ich meinte die westfalen ... :o)

Anonym hat gesagt…

..wieviele Westfalen kennst du denn?! ;)

Unknown hat gesagt…

... genug :o)

Anonym hat gesagt…

Dann scheint das ja eine repräsentative Aussage zu sein! Ich dachte schon du machst das an einigen wenigen speziellen Exemplaren der Gattung fest! ;)

Unknown hat gesagt…

naja, um ehrlich zu sein, ich kenne nur 2 westfalen. aber die sind beide ganz große spitze ... :o)

Anonym hat gesagt…

Ich beanspruche das Kompliment zur Hälfte für mich und bedanke mich recht herzlich. ;)

Unknown hat gesagt…

wenn du bist, wer ich denke, der du bist, dann bist du damit auch sehr sehr herzlich gemeint ... 8o)

Olli hat gesagt…

Oh Gott, er ist abgedreht, er ist reif für

...

die nächste Tour :-)

Unknown hat gesagt…

UND WIE!

Anonym hat gesagt…

*lach
Ich bin die Person, die mit der Technik hier nicht klar kommt und daher immer anonym schreibt, weil sie´s nich besser kann. Warscheinlich bin ich blond. ;)

Unknown hat gesagt…

oh ja, ich denke, du bist blond. aber das ist auch ganz gut so.

Anonym hat gesagt…

*lach
Ohhja ich bin blond, damit man(n) sich überlegen fühlen kann.

Anonym hat gesagt…

immer wieder ein genuss-gruß aus tirol-manfred

Unknown hat gesagt…

hi manfred.

und immer wieder: danke fürs lob. :-)

grüße aus dem norden.

L